Harry Paul

Plauderei über natürliche und künstliche Intelligenz


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war kein anderer auf die gleiche Idee gekommen. Folgendes ereignete sich. Es wurde eine Lotterie aufgelegt, und Voltaire stellte an Hand einer simplen Rechnung fest, dass der auszuschüttende Gewinn die Summe aller Lospreise deutlich überstieg. Er zog daraus sogleich die Konsequenz: Er pumpte sich so viel Geld, dass er sämtliche Lose aufkaufen konnte, und sicherte sich so den Gewinn. – Ich finde, man sollte diese Geschichte den Schülern erzählen, damit sie sehen, dass “Mathe“ doch zu etwas nütze ist.

      Selbstverständlich haben auch wir normalen Menschen Aha-Erlebnisse. Man grübelt manchmal tagelang über ein Problem, und plötzlich “fällt es einem wie Schuppen von den Augen“. Ich muss allerdings zugeben, dass solche Momente der “Erleuchtung“ recht selten sind. Werfen wir daher lieber einen Blick auf das Alltagsleben, in dem Intelligenz bekanntlich schon eine große Rolle spielt. Zur Illustration eignet sich der folgende Witz. Ein verliebter Mann und seine Begehrte unterhalten sich. Er: “Du bist die schönste Frau, der ich jemals begegnet bin. Ich bewundere dich.” Sie: “Du willst mich doch bloß ins Bett kriegen! “Er: “Und intelligent bist du auch noch! “Intelligent sein bedeutet also in erster Linie, nicht alles zu glauben, was einem erzählt wird, oder, wie man so schön sagt, sich kein X für ein U vormachen zu lassen. Und man kann natürlich seine Intelligenz auch dazu benutzen, sich einen Vorteil zu verschaffen, sprich, einen anderen “hinters Licht zu führen“ oder ihn gar hereinzulegen. Ein Beispiel hierfür findet sich im nächsten Abschnitt. ‘

      Schließlich rechne ich auch Schlagfertigkeit zu den Zeichen von Intelligenz. Hierzu möchte ich ein eigenes Erlebnis zum Besten geben. Ich war vor ein paar Jahren im Publikum, als der renommierte Wiener Quantenphysiker Anton Zeilinger zum Ehrenmitglied der Berliner Urania ernannt wurde. Klaus Wowereit, der damals noch Regierender Bürgermeister von Berlin war, ließ es sich nicht nehmen, selbst die Laudatio zu halten (sprich, abzulesen). Und dabei unterläuft ihm doch ein Versprecher. Er wendet sich mitten in seiner Rede an Zeilinger mit den Worten “Sehr geehrter Herr Heiliger! “ Und wie reagiert er darauf? Ohne einen Augenblick zu zögern, sagt er “So weit sind wir noch nicht! “ Ich fand das einfach großartig (zumal mir selbst Schlagfertigkeit abgeht).

      Übrigens kann man, wenn man Glück hat, Zeuge eines spontanen Aufblitzens von Intelligenz werden. So erzählten mir zwei ältere Damen, welches Erlebnis sie auf einem Friedhof hatten. Sie hatten nicht daran gedacht, dass es schon Herbst war und demzufolge die Öffnungszeiten verkürzt waren. Als sie den Friedhof wieder verlassen wollten, standen sie daher vor einem verschlossenen Tor. Sie versuchten es zunächst an den anderen Ausgängen, aber – wie zu erwarten – ohne Erfolg. Sie gingen daher zum Hauptausgang zurück und warteten auf Passanten, die ihnen mit ihrem Handy helfen könnten. (Ihr eigenes hatten sie zu Hause gelassen.) Doch sie hatten kein Glück. Schließlich kam eine Gruppe junger Männer vorbei, die aber auch keine Hilfe waren. Beim Weitergehen stellte einer von ihnen jedoch eine intelligente Frage: “Ich frage mich bloß, wie die da reingekommen sind.“

      Mitfühlenden Seelen kann ich erfreulicherweise versichern, dass die Geschichte doch noch gut ausging. Eine jugendliche Passantin lieh ihnen ihr Handy, sodass sie die Polizei anrufen konnten. Die Beamten reagierten prompt und erfolgreich. Sie besorgten sich einen Ersatzschlüssel, befreiten damit die Eingeschlossenen und brachten sie sogar im Polizeiwagen nach Hause (was seine Wirkung auf die aufmerksam beobachtenden Nachbarn nicht verfehlte).

      Kann man die Intelligenz stärken?

      Wenn man Intelligenz auch nicht erwerben kann (sie scheint angeboren zu sein), so kann man sie vielleicht trainieren. (Ich bin mir nicht sicher, ob manche Lehrer das glauben.) Fragt sich nur, wie. Mir fällt dazu nur ein Spruch aus meiner Schülerzeit ein: “Doof bleibt doof, da helfen keine Pillen! “

      Erfreulicherweise hat sich zu dieser Frage ein zweifellos intelligenter Mensch die folgende hübsche Anekdote ausgedacht. In einem Eisenbahnabteil sitzt ein Mann, der genüsslich Apfelkerne kaut, die er einer kleinen Tüte entnimmt. Ein hinzu kommender Passagier fragt ihn, warum er das denn tue. Der Mann antwortet: “Ja, wissen Sie denn nicht, dass das die Intelligenz stärkt? “, und als er das ungläubige Gesicht seines Gegenübers sieht, setzt er hinzu: “Probieren Sie es doch einmal aus. Ich verkaufe Ihnen gern ein Tütchen.“ Der Mitreisende ist verblüfft, aber da man nie wissen kann, welche Wundermittel die Natur für uns bereithält (man liest ja in der Zeitung ständig von verblüffenden Heilerfolgen, die man mit ganz gewöhnlichen Kräutern, Samen u. ä. erzielt), nimmt er das Angebot des

      freundlichen Herrn an, kauft ihm ein Tütchen zum Preis von 5 Euro ab und beginnt ebenfalls zu kauen. Plötzlich schießt ihm ein Gedanke durch den Kopf, dem er sogleich sprachlichen Ausdruck verleiht: “Ich bin doch ein Idiot. Für das gleiche Geld hätte ich wenigstens zwei Kilo Äpfel bekommen.“ Freundlich lächelnd erwidert darauf der Verkäufer: “Sehen Sie, es wirkt schon! “

      Sprache

      Zu den großartigsten Intelligenzleistungen der Menschen gehört zweifellos die Sprache. Entscheidend ist, dass die einzelnen Wörter eine Bedeutung, einen Sinn haben. Das macht die Sprache zu einem einzigartigen Kommunikationsinstrument. Und wie groß ist das Spektrum der Ausdrucksmöglichkeiten! Es reicht von Grobheiten bis zu zartesten Andeutungen. Tatsächlich genügt oft schon ein einziges Wort, um, Neudeutsch gesprochen, “die Message ’rüberzubringen. “ Hierzu ein Beispiel aus der frühen Entwicklungsphase meiner beiden Enkel! (Es handelt sich übrigens um Zwillinge.) Vorausschicken muss ich, dass sie bereits schlimme Erfahrungen mit Ärzten gemacht hatten. Das waren doch Menschen, die ihnen Schmerzen zugefügt hatten, indem sie ihnen Spritzen in den Po gejagt hatten! Nun ereignete sich folgendes. Die beiden wurden von ihren Eltern in ein ihnen vollkommen unbekanntes Krankenhaus gebracht. Dort sollte nur eine harmlose Untersuchung statthnden, was die beiden aber nicht wussten. Als sie die Tür des Krankenhauses erreicht hatten, erkannte der eine sofort, um was für eine Institution es sich handelte, und er rief nur das eine Wort “Doktor! “ Anschließend fingen beide an, so laut zu schreien, dass die Schwestern angerannt kamen und alles taten, um die beiden schnellstens loszuwerden.

      Auf dem erwähnten primitiven Niveau “äußern“ sich übrigens schon Tiere. Denken wir nur an Hunde! Die verfügen ja über eine ganze Skala von Ausdrucksmöglichkeiten, die bekanntlich von drohendem Gebell bis zu leisem Winseln reicht. Da stehen natürlich unsere tierischen Verwandten nicht zurück. Oft sind es spezifische Warnungen, die sie den Mitgliedern ihrer Gruppe übermitteln wollen. Beispielsweise unterscheiden grüne Meerkatzen bei ihren Warnrufen zwischen verschiedenartigen Angreifern, nämlich Bodentieren (Leoparden), Raubvögeln (Adlern) und Kriechtieren (Schlangen).

      Offensichtlich haben kleine Kinder keinerlei Schwierigkeiten damit, in den Worten einen Sinn zu erkennen. Manches werden sie einfach erraten, aber vieles kann man ihnen durch bloßes “Aufzeigen“ beibringen. So zeigt der Papa beispielsweise mit dem Finger auf ein Auto und sagt “Auto“. Ich finde es faszinierend, dass es gar kein reales Auto zu sein braucht, eine Darstellung in einem Bilderbuch reicht völlig aus! Unser optisches Wahrnehmungssystem ist offenbar in wunderbarer Weise darauf vorbereitet, Muster zu erkennen.

      Umso erstaunlicher ist es, dass es tatsächlich gelang, einem infolge einer Krankheit im Alter von neunzehn Monaten blind und taubstumm gewordenen Mädchen die englische Sprache beizubringen. Dabei war die Erkenntnis, dass die Wörter eine Bedeutung haben, ein überwältigendes Glückserlebnis für das Kind. Ich spreche von Helen Keller, die das große Glück hatte, in ihrer Erzieherin Anne Sullivan eine äußerst begabte und zugleich liebevolle Lehrerin zu finden. Diese vollbrachte ein wahres Wunder: Sie ermöglichte Helen nicht nur die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben, sondern erschloss ihr auch den Zugang zur geistigen Welt. (Helen promovierte im Jahre 1904 am Radcliffe-College.) Annes Erfolgsgeheimnis war die Benutzung des Fingeralphabets. Sie konnte so mit ihrem Schützling in normaler Sprache kommunizieren, indem sie ihm zuerst einzelne Wörter und später ganze Sätze auf die Handfläche buchstabierte. Anne Sullivan berichtet von dem Tage, als Helen schlagartig begriff, dass mit dem Wort “water“ allein das Wasser gemeint war und nicht gleichzeitig die damit zusammenhängende Tätigkeit des Waschens. Bis dahin hatte sie nämlich generell keine Trennung von Objekt und zugehöriger Tätigkeit vorgenommen; so bedeutete beispielsweise “doll “ für sie nicht nur ihre Puppe sondern auch das Spielen mit ihr. Anne Sullivan schreibt in einem Brief (wiedergegeben in dem Buch: Helen Keller, Geschichte meines