A. F. Morland

Arztroman Sammelband: Drei Romane: Ihre Verzweiflung war groß und andere Romane


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      10

      „Auch mal zu Hause?“ Mit dieser provokanten Bemerkung betrat Sonja Winter das luxuriöse Wohnzimmer. „Übernachtest du heute gar nicht in deinem Büro?“

      Patrick Winter saß auf der cremefarbenen Ledercouch. Er war umgeben von Geschäftspapieren, die er noch heute durcharbeiten musste. Seine Beine lagen auf dem Couchtisch aus Carrara-Marmor. Daneben stand eine Flasche Bier. Essensreste lagen auf einem Teller. Patrick hatte das Anzugjackett ausgezogen und über eine Sessellehne geworfen. Müdigkeit umschattete seine Augen.

      Er hob den Kopf und sah seine Frau forschend an. „Wo kommst du her?“

      „Ich war aus.“

      „Mit wem?“

      Sie zog die Clips von den Ohrläppchen und tat so, als habe sie die Frage nicht gehört. Sie ging zur Hausbar und nahm sich einen Drink.

      „Ich fliege morgen früh nach Hongkong“, sagte Patrick.

      „Und wie lange bleibst du da?“

      „Voraussichtlich eine Woche.“ Er stand auf. Er war ein großer, dunkelhaariger Mann mit markant geschnittenen Zügen. Trotz der Müdigkeit im Blick, sah er sehr gut aus, aber Sonja empfand nicht mehr allzu viel für ihn.

      Die Flamme der Liebe hatte einmal sehr hoch gelodert, doch nun war sie schon sehr tief niedergebrannt, und wenn kein Wunder geschah, würde sie wohl bald erlöschen.

      Sonja gab niemandem die Schuld an dieser Entwicklung. Wahrscheinlich waren sie zu verschieden und hätten niemals heiraten und ein Kind haben dürfen. Aber sie waren nicht die einzigen auf der Welt, denen so ein Fehler unterlaufen war, sonst hätte es wohl kaum so viele unglückliche Ehen gegeben.

      „Packst du mir meinen Koffer?“, sagte Patrick Winter.

      Seine Frau nickte. „Natürlich.“

      „Danke. Mach mir bitte auch einen Drink.“

      Sonja erfüllte ihm den Wunsch. Sie reichte ihm das Glas mit den Worten: „Warum kommst du eigentlich nie auf die Idee, mich zu fragen, ob ich mitkommen möchte?“

      „Du würdest dich nur langweilen. Mein Terminkalender ist zum Bersten voll. Ich hätte keine Minute Zeit für dich.“

      Sie lächelte bitter. „Es wäre wie zu Hause.“

      „Möchtest du denn mitkommen?“, fragte Patrick und nahm einen Schluck vom wasserklaren Gin.

      „Nein, ich hab’ schon etwas vor.“

      Patrick musterte sie mit schmalen Augen. „Darf man fragen, was? “

      „Ich werde einige Tage in Kaprun verbringen“, antwortete sie leichthin. Sein Blick erforschte ihr schönes Gesicht. „Allein?“

      „Was soll ich allein in Kaprun?“

      „Wer wird dich begleiten?“, wollte Patrick wissen.

      „Joachim Aiger. Er ist Mitglied unseres Clubs. Du kennst ihn – wenn auch nur flüchtig.“

      Patrick dachte kurz nach. „Ja, ich glaube, mich an ihn zu erinnern. Trägt er nicht einen Vollbart?“

      „Nicht mehr“, antwortete Sonja, den Blick ins halbleere Glas gerichtet.

      Ein nervöses Lächeln zuckte um Patricks Mundwinkel. „Ich hoffe, ihr wohnt in separaten Zimmern.“

      Sonja sah ihn mit entwaffnender Offenheit an.„Aber natürlich! “

      „Und Iris?“, fragte Patrick.

      „Sie wird bei den Kaspareks wohnen. Sie freuen sich schon sehr auf sie.“

      „Du schiebst sie mal wieder ab“, knurrte Patrick.

      Sonja sah ihm kriegerisch in die Augen. Sie hatte keine Angst vor Patrick. „Ich hoffe, du legst es nicht wieder darauf an, mit mir zu streiten.“

      „Iris ist dir im Weg, nicht wahr?“

      „Überhaupt nicht – solange ich auf meine Freiheit nicht zu verzichten brauche“, erwiderte Sonja kühl.

      „Du bist eine Rabenmutter, weißt du das?“

      „Wenn ich eine Rabenmutter bin, bist du ein Rabenvater. Oder kümmerst du dich etwa mehr um Iris als ich?“, fauchte Sonja.

      „Ich habe immerhin noch einen kleinen Nebenjob. Du hingegen brauchst bloß Mutter zu sein.“

      Sie hob trotzig ihr Kinn. „Ich habe gesellschaftliche Verpflichtungen.“

      Er winkte gereizt ab. „Ach, zum Teufel damit. Das Wichtigste in deinem Leben sollte dein Kind sein. Du solltest Iris nicht fortwährend abschieben und vernachlässigen. Ich komme heim und treffe Iris in diesem großen Haus mutterseelenallein an.“

      „Was ist so schlimm daran?“, gab Sonja spitz zurück. „Sie hat ein sehr schönes Zuhause.“

      „Und warum bist du dann so selten daheim?“, fragte Patrick scharf.

      „Weil ich etwas erleben möchte. Weil ich nur einmal lebe, und weil ich aus meinem Leben herausholen möchte, was möglich ist. Daran wird mich niemand hindern. Auch du nicht. Also versuch es erst gar nicht.“

      Patrick schüttelte ernst den Kopf. „Was ist bloß aus uns geworden, Sonja?“

      „Ich kann nichts dafür, dass sich die Dinge so entwickelt haben.“

      „Wenn eine Ehe so stark ins Trudeln gerät wie die unsere, haben immer beide Partner ... Schuld“, behauptete Patrick laut.

      „Warum schreist du? Soll Iris hören, dass wir uns mal wieder in die Wolle geraten sind?“

      Er leerte sein Glas mit einem schnellen Ruck. Es fiel ihm von Streit zu Streit schwerer, seine Frau nicht zu hassen. Gott, war er froh, dass er morgen nach Hongkong flog!

      Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. „Du hast mir noch immer nicht gesagt, mit wem du den heutigen Abend verbracht hast.“

      „Mit Thomas.“

      Patrick riss die Augen auf. Er hoffte, sich verhört zu haben. „Mit wem?“

      „Mit deinem Bruder. Er ist nach München zurückgekehrt.“

      Patrick wurde blass. „Du hast vielleicht Nerven, das muss ich schon sagen.“

      „Wieso denn?“, fragte Sonja naiv.

      „Na, hör mal“, brauste Patrick Winter auf, „du triffst dich hinter meinem Rücken mit diesem – diesem Verbrecher ...“

      „Warum nicht? Er ist mein Schwager. Und ich mag ihn.“

      Wut funkelte in Patricks Augen. „Er hat mich belogen, betrogen und bestohlen.“

      Sonja zuckte gleichgültig die Schultern. „Der Grund, weshalb ihr euch entzweit habt, interessiert mich nicht. Ich habe nichts gegen Thomas.“

      „Aber ich, und ich verbiete dir, diesen Halunken noch einmal zu sehen! Hörst du? Ich verbiete es dir!“