Frank Rehfeld

Der Tempel der Drachen


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Geheimnis zu ergründen, das diese Ort im absoluten Nichts umgab; so wenig, wie es ihm jemals gelingen würde. Niemand wusste, wer die Dämmerschmiede erbaut hatte. Sie existierte seit Äonen von Jahren, das Relikt einer lange vergangenen und vergessenen Epoche; eine kosmische Burg, die so unwirklich und gleichzeitig real wie alles andere hier war. Möglicherweise war sie nur eine gestaltgewordene Illusion, ebenso wie die kristallene, in den Farben des Regenbogens funkelnde Brücke, auf der er stand.

      Obwohl nicht der leichteste Wind wehte, schien ein kalter Hauch den Mann zu streifen. Unheimliche, fremdartige Laute drangen aus der Tiefe der Nebelschründe an sein Ohr und erinnerten ihn daran, dass es nicht ungefährlich war, sich länger als nötig hier aufzuhalten. Die Brücke war mehr als nur irgendein Viadukt, der über irgendeine Schlucht führte. Sie bildete einen Pfad zwischen den Welten, und so rätselhaft die sternenlose Schwärze war, die sich anstelle eines Himmels darüber spannte, so unergründlich blieben die Mysterien, die sich am Grund der Schründe unter dem wogenden Nebel verbergen mochten.

      Der Mann setzte seinen Weg fort. Ein enttäuschtes Seufzen und Wispern verklang in der Leere hinter ihm. Auch als er sich der Dämmerschmiede weiter näherte, vermochte er sie nicht deutlicher zu sehen, ihm blieb nur die flüchtige Vision eines unermesslich großen Bauwerks - voller aus sich selbst heraus strahlender Kuppeln, filigraner Türmchen und kühn geschwungener Brücken, doch sobald er es genauer zu betrachten versuchte, schien es sich seinen Blicken immer wieder zu entziehen. Auch seine Magie versagte gegenüber den hier herrschenden Kräften, die zu begreifen er sich nicht einmal die Mühe machte. Die gewohnten Gesetze von Raum und Zeit verloren an diesem Ort ihre Gültigkeit, und wer sich allzu intensiv damit beschäftigte, dessen Verstand würde sich verwirren.

      Die Brücke endete vor einem weit geöffneten Portal, und der Mann betrat die Dämmerschmiede. Wie bei ihrer äußeren Form, trogen ihn auch in ihrem Inneren seine Wahrnehmungen. Die Halle schien endlos sein, aber die Perspektiven verschoben sich ständig, sodass er nicht mit Sicherheit zu sagen wusste, wo die Realität endete und die Trugbilder begannen.

      Er wurde bereits erwartet. Eine hünenhafte Gestalt mit wallenden schwarzen Haaren und einem edel geschnittenen Gesicht trat ihm entgegen.

      Charalon, der Ewige, der tiefer als jeder andere in die Geheimnisse der Magie vorgedrungen und dabei auf Dinge gestoßen war, die ihn gestärkt und verändert hatten. Der Legende nach hatten die Götter selbst ihm den Weg über die Regenbogenbrücke gewiesen und ihm den Auftrag erteilt, den Orden der Ishar zu gründen. Aber er hatte in seiner Wissbegier an Mächte gerührt, die sich nicht ungestraft heraufbeschwören ließen, und einen hohen Preis dafür bezahlen müssen. Er war zu einem Gefangenen der Dämmerschmiede geworden, ein körperloses Gespenst, dazu verdammt, bis ans Ende aller Zeiten ihre Geheimnisse zu hüten.

      "Sei gegrüßt, Bruder Wolf", sagte er mit volltönender Stimme, die so wenig wirklich wie sein ganzer Körper war. Er bot eine imposante Erscheinung, die durch seine eng anliegende silberne Kleidung und den schwarzen Umhang noch betont wurde, aber es war nur eine durch seinen Geist erschaffene Illusion.

      Der Mann mit der Maske schaute sich nach den anderen elf Magiern des Inneren Zirkel um, doch obwohl er befürchtet hatte, als Letzter einzutreffen, konnte er sie nirgendwo entdecken.

      "Sie wissen nichts von diesem Treffen, ich habe nur dich gerufen", erwiderte Charalon, der seinen fragenden Blick bemerkte. "Ich weiß, das ist ungewöhnlich, aber ich möchte etwas mit dir allein besprechen. Wir sind unter uns, du brauchst dein Gesicht also nicht zu verbergen."

      Der Mann nahm die Wolfsmaske ab und schlug auch die Kapuze seines Mantels zurück. "Es geht um Aylon", vermutete er.

      Charalon nickte. "Ich finde, es ist an der Zeit, dass er die Weihe erhält."

      "Aber er ist noch ein halbes Kind. Seine Ausbildung ist längst nicht abgeschlossen."

      "Was ihm noch fehlt, ist in erster Linie Erfahrung, er muss lernen, sich aus eigener Kraft in der Welt zu behaupten. Am besten wäre es, er würde für eine Weile nach Maramon gehen. Ich habe seine Entwicklung aufmerksam verfolgt, und er scheint mir reif genug für die Magierweihe."

      Unschlüssig drehte Bruder Wolf die Maske in den Händen. "Warum diese plötzliche Eile?", erkundigte er sich. "Es kommt doch auf ein oder zwei weitere Jahre nicht an."

      "Wenn es nur um die Weihe ginge, dann nicht, aber ich habe noch etwas anderes mit Aylon vor. Dank seiner Begabung könnte er meinen Reif bergen."

      "Der Reif? Niemand ..."

      "Glaub mir, ich habe mir diesen Schritt gründlich überlegt. Aylon wäre aufgrund seiner Herkunft als Einziger in der Lage, das Siegel zu umgehen."

      "Und wenn nicht, sprechen wir sein Todesurteil!"

      "Auch das ist möglich", räumte Charalon ein. "Doch uns bleibt keine andere Wahl, als es zu riskieren, das weißt du so gut wie ich. Die Lage auf Arcana verschlimmert sich immer mehr. Wir dürfen den Reif nicht mehr länger versteckt halten. Sorge dafür, dass Aylon ihn aus der versiegelten Kammer holt. Er wäre ein würdiger Träger."

      "Aber das bedeutet auch, ihn in Geheimnisse einzuweihen, die seit Jahrhunderten gehütet werden", wandte der Mann ein. "Dieses Wissen könnte seinen Geist überfordern. Er wird in die verbotete Zone gehen müssen."

      "Das ist unvermeidlich. Aber er ist intelligent und stark. Sofern ihn nicht das Siegel vernichtet, wird ihm nichts passieren."

      Der Mann schwieg. Schließlich nickte er zögernd. "Ich fürchte, du hast recht, auch wenn es mir nicht gefällt. Ich werde alles Nötige veranlassen."

      Kurz darauf machte er sich über die Regenbogenbrücke auf den Rückweg in seine Welt. Stille senkte sich wieder über die Dämmerschmiede und ihren zu ewigem Leben verdammten Hüter; Stille und Einsamkeit.

      Cavillon

      Aylon blinzelte und schirmte seine Augen instinktiv mit der Hand ab, als er ins Freie trat. Das Licht war nicht wirklich grell, nicht mehr um diese Zeit, aber nach dem Halbdunkel in Mazirocs Arbeitszimmer dauerte es einen Moment, bis seine Augen sich daran gewöhnt hatten. Die Sonne war bereits tief gesunken und hatte begonnen, sich rötlich zu färben. Es sah aus, als würden die dreieckigen Zinnen der Türme mit spitzen, schwarzen Zähnen an ihr nagen. Der Tag war so warm gewesen, wie es sich für den Spätsommer gehörte, aber mit dem Einbruch der Dämmerung wurde es merklich kühler. Die Luft roch nach Reif und Nebel, und der Biss des Windes wurde so kalt, dass Aylon sein Gewand fester um den Körper schlang. Der Herbst würde nicht mehr lange auf sich warten lassen, das vermochten auch die Klarheit der Luft und die noch grünen Bäume und Büsche nicht mehr zu verbergen, und - wie stets hier im Norden Arcanas - würde es ein rauer, stürmischer Herbst werden, gefolgt von einem noch grimmigeren Winter. Lange, dunkle Monate voller Schnee und Eis, in denen das Leben in Cavillon noch trostloser als während des übrigen Jahres zu werden versprach.

      "Wo bleibst du?", riss Mazirocs barsche Stimme ihn aus seinen Gedanken. Der übergewichtige Magier hatte bereits den Fuß der Treppe erreicht und winkte ungeduldig. Sein schlohweißes Haar und der ebenfalls weiße Vollbart wurden vom Wind zerzaust.

      Leichtfüßig folgte Aylon ihm die Stufen zu einem der zahlreichen Innenhöfe Cavillons hinab, wo einige seiner Altersgenossen sich damit vergnügten, einem Spunk nachzujagen. Mit magischen Sperren verstellten sie dem kleinen, aber wieselflinken Tier alle Auswege und trieben es so immer mehr in die Enge. Aylon spürte ihre schwache, noch in