Alfred Bekker

Sammelband 7 Krimis: Tuch und Tod und sechs andere Thriller auf 1000 Seiten


Скачать книгу

      „Ich bin manchmal so“, sagte er. „Und ich lasse es behandeln. Wenn mich nicht jemand in meinen eigenen vier Wänden überrascht, dann bekommt das normalerweise auch niemand mit ...“

      Was er nur nicht garantieren konnte, wie ihm die vom Widerspruchsgeist geprägte Stimme in seinem Hinterkopf erklärte. Es konnte immer und überall passieren, wenn die Auslöser – die sogenannten Trigger - vorhanden waren. Das wusste er sehr gut.

      „Ich habe es unter Kontrolle“, behauptete Berringer.

      Sagte er das, um dich selbst zu beruhigen oder um Vanessa etwas vorzumachen?

      Letztere konnte er vielleicht belügen. Aber sich selbst konnte er nichts vormachen.

      „Es sah sehr gefährlich aus“, sagte sie.

      „Das ist es aber nicht. Und im Übrigen ist dieses Schiff eigentlich für jeden Außenstehenden ein Tabu-Gebiet. Was glaubst du, weswegen ich ein Büro habe?“

      „Ich bin eine Außenstehende?“, wunderte sich Vanessa und zuckte mit den Schultern.

      „Du bezahlst mich, deswegen bist du auch der Boss. Dein Wort ist Gesetz, und wenn du das so siehst, soll es mir recht sein.“

      „Nimm es nicht persönlich, aber ...“ Berringer sprach nicht weiter.

      Vanessa nutzte die Pause, um das Gespräch auf ein Thema zu lenken, das ihr unter den Nägeln brannte. „Zieh dir was Vernünftiges an. Der Mann, der bisher vergeblich unser Klient werden wollte, ist sehr stilvoll gekleidet. Wegen unserem Büro hat er schon ganz komisch aus der Wäsche geguckt! Ich habe dir ja von Anfang an gesagt, dass du mal etwas Geld für eine saubere Tapete investieren solltest. Manche Kunden legen nämlich Wert auf so was!“

      „Ich kann nur eins bezahlen: Die Tapete oder dich.“ Sie grinste schelmisch. „Dann will ich nichts gesagt haben. Vielleicht wird dieser fleckige Retro-Look aus den Siebzigern irgendwann wieder modern, und dann kann man jedem erzählen, dass die getrockneten Wasserschäden auf den Blumenmotiven in Wahrheit ein gewollter Aquarell-Effekt sind.“

      „Du solltest in die Werbung gehen“, meinte Berringer. „Oder in die Politik.“ Sie runzelte die Stirn. „Wieso?“

      „Na, wer fleckige Tapete zum Design definieren kann, der kann alles verkaufen!“ Schon drei Jahre betrieb Berringer die Detektei. Er hatte sie gleich nach seinem freiwilligen Ausscheiden aus dem Polizeidienst gegründet. Nach dem Tod seiner Familie war es ihm unmöglich gewesen, einfach so weiterzumachen, als wäre nichts gewesen. Er hatte sein Leben damals neu erfinden müssen, und manchmal konnte er immer noch nicht glauben, dass es dieses Attentat auf seine Familie tatsächlich gegeben hatte. Wenn er die Augen schloss und schlief, hoffte er insgeheim, dass ihn jemand weckte und darauf hinwies, dass alles nichts weiter als ein böser Traum war.

      Aber so ging das nicht.

      Berringer wusste es selbst am besten.

      „Hat dieser Kunde dir gesagt, worum es geht?“, fragte Berringer.

      „Als ob du da wählerisch sein könntest!“

      „Ich frage ja nur.“

      „Dieser Mann wollte den Chef persönlich sprechen“, berichtete Vanessa. „Davon war er nicht abzubringen.“

      „Was hast du ihm gesagt?“, fragte der Detektiv.

      „Dass du bei einem wichtigen Einsatz bist, der sich etwas verzögert hat ...“ Berringer schmunzelte. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. Sein Blick wirkte deutlich entspannter als zuvor.

      „Eine gute Ausrede. Die solltest du dir merken.“

      „Der Mann hat Geld. Glaub mir, ich habe einen sechsten Sinn dafür. Bis ins kleinste Detail ist er sehr stilvoll gekleidet, und die Rolex an seinem Handgelenk habe ich auch nicht übersehen.“

      „Fahr schon mal zurück. Ich komme dann nach“, sagte er.

      Aber sie machte keinerlei Anstalten zu gehen.

      Vanessa musterte Berringer einige Augenblicke stirnrunzelnd.

      Berringer stutzte. „Was ist los? Stimmt was mit mir nicht – abgesehen davon, dass mein Sweatshirt wahrscheinlich im Moment nicht unbedingt gut riecht?“

      „Du bist dir sicher, dass alles in Ordnung ist?“

      „Ja.“

      Die Vertraulichkeit, mit der Vanessa ihn vom ersten Augenblick an angesprochen hatte, ging ihm auf die Nerven. Aber andererseits war es nicht leicht, jemanden zu finden, der mit der eher chaotischen Büroorganisation der Detektei Berringer zurechtkam.

      Wortlos drehte sich Vanessa um und ging.

      Berringers Büro lag auf dem Fürstenwall im Stadtteil Bilk – nur eine Viertelstunde Fußweg vom Hafen entfernt und in direkter Nähe zur Universität und der Düsseldorfer Altstadt. Viele Kneipen prägten das Erscheinungsbild dieser Gegend.

      Die Mietpreise waren niedrig und sorgten zusammen mit der Uni-Nähe dafür, dass das Durchschnittsalter sehr viel jünger war als im Rest der Landeshauptstadt.

      Außerdem siedelten sich in der Gegend auch viele Angestellte aus den Medien- und Werbeagenturen an, die im benachbarten Hafenviertel wie Pilze aus dem Boden schossen und das Gebiet dort zum In-Viertel gemacht hatten.

      Berringers Büro lag im vierten Stock eines Altbaus ohne Fahrstuhl. Wer hier residierte, brauchte keinen Heimtrainer mehr, hatte Berringer gedacht, als er sich die Räumlichkeiten zum ersten Mal angesehen hatte. Noch zwei Stockwerke höher und man hätte von der Fensterfront aus sogar das Polizeipräsidium am Ende des Fürstenwalls sehen können. Aber diese tägliche Erinnerung an sein erstes Leben blieb ihm glücklicherweise erspart.

      In der ersten Zeit seiner Selbstständigkeit als Privatdetektiv hatte Berringer ganz auf ein eigenes Büro verzichtet und Klienten auf seinem Hausboot empfangen. Einer dieser Klienten war Unternehmensberater und Marketingspezialist, für den Berringer ausstehende Honorarzahlungen hatte eintreiben sollen, wobei das Hauptproblem darin bestanden hatte, überhaupt eine ladungsfähige Adresse für die Zustellung gerichtlicher Mahnbescheide zu finden. Jedenfalls hatte dieser Klient Berringer seinerzeit dringend empfohlen, sich eine repräsentative Büroadresse mit hoher Publikumsfrequenz zu suchen. „Wenn jemand zum Beispiel in den Schadow-Arkaden ein paar Blumen kauft und gleichzeitig daran zweifelt, ob seine Partnerin ihn vielleicht betrügt, braucht er nur zufällig Ihr Schild mit der Aufschrift ROBERT

      BERRINGER – PRIVATE ERMITTLUNGEN zu sehen und Sie haben einen Klienten gewonnen!“, war seine Ansicht gewesen.

      Allerdings hatte Berringer einfach nicht das Geld, um sich eine so repräsentative Büroadresse leisten zu können.

      Irgendwann mal!, hatte er sich vorgenommen. Aber das waren Zukunftsträume. Im Moment kämpfte er noch um das geschäftliche Überleben.

      Die Investition hätte sich zwar vermutlich schon deswegen gelohnt, weil nicht nur die Zahl der Kunden sich verändert hätte, sondern auch deren Art. Sicherheitskonzepte für Großunternehmen brachten einfach mehr Geld in die Kasse als Ermittlungen über untreue Ehepartner. Aber zurzeit war ein nicht unbeträchtlicher Teil seiner Kundschaft wohl ganz froh darüber, ihn an einem unscheinbaren, nicht so im Fokus der Öffentlichkeit stehenden Ort aufsuchen zu können. Schließlich waren manche der Aufträge, die Berringer übernahm, hart am Rande der Legalität.

      Vor Berringers Bürotür wartete ein breitschultriger Kerl im dunklen Anzug auf dem Flur und spielte mit einem Jojo. Berringer musterte ihn und fragte sich, ob es einen Studiengang gab, in dem man BWL zusammen mit Sport belegen musste.

      „Kann ich was für Sie tun?“

      „Sind Sie der Detektiv?“

      „Ja.“

      „Mein Chef wartet da drinnen auf Sie.“

      Als Robert Berringer sein Büro betrat, zog er seinen