Dennis Dunaway

Schlangen, Guillotinen und ein elektrischer Stuhl


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meinem Leben erkannte. Im Laufe der Jahre wiederholte sich diese kleine Szene unzählige Male.

      Glen zog mich in eine reale Welt, die bislang nur in meiner Phantasie existiert hatte. Das war Glen – scheinbar verloren in einem Traumland aus zerbrochenem Kitsch, doch wiedererweckt durch das Musikmachen. Wenn er mit den Fingern Noten hervorzauberte, betrat er eine Übergangszone, in der sich sein Weltklasse-Talent zeigte.

      Er warf mir einen verschwörerischen Blick zu. „Wenn Gerry fragt“, begann er, damit seine Mutter Geraldine meinend, „erzählst du ihr einfach, wir würden Hausaufgaben machen.“

      „Euer Wohnzimmer sieht nett aus“, lenkte ich ab.

      Er sah mich an: „Man darf aber nicht direkt auf den Möbeln sitzen. Die Plastikabdeckungen sind dazu gedacht, dass sie niemand mit dreckigen Händen berührt. Gerry kauft alles in bar. Es soll für immer und ewig halten, und somit darf niemand das Mobiliar benutzen. Meine Eltern haben die meisten Anschaffungen noch in Akron gemacht, aber sie sehen noch nigelnagelneu aus. Fliegen müssen auf der Hut sein, bevor sie sich dorthin setzen. Weißt du, was ich meine?“

      Ich wusste, was er meinte, hatte jedoch noch nie jemanden so reden gehört.

      Dann ging es zur Sache. Er zeigte mir die Grundlagen, die jeder Anfänger draufhaben muss: Die Namen der Noten, wo man die einzelnen Töne auf dem Griffbrett fand, wie sich ein Akkord zusammensetzte und welche Wirkung er erzielte. Glen beruhigte mich und versicherte mir, alles so oft zu wiederholen, bis ich es kapiere. Ich war inmitten von Gitarristen aufgewachsen, doch das hier stellte eine neue Erfahrung dar. Der Typ wusste, wie man rockte.

      Bislang war Glen immer der Junge in der Klasse gewesen, der so wenig wie möglich machte, abgesehen von einigen Witzeleien, die er leise aus der letzten Reihe von sich gab. Doch nun hatten Vince und ich ihn entdeckt, womit er zum inneren Kreis gehörte. Glen stieg zum Hauptfotografen des Tip Sheet auf, woraufhin wir uns alle in die Dunkelkammer verdrückten und vorgaben, wir würden an einem wichtigen Foto arbeiten.

      Er nahm auch am Sportunterricht teil. Seine durchgedrückten Beine ähnelten zwei Albino-Schlangen. Nach dem Kurs verhüllte er sie wieder mit der zerrissenen Jeans. Auch die Arme blitzen schneeweiß, was in Arizona so gut wie nie vorkam. Er versteckte sie immer in langärmeligen Hemden.

      Beim nächsten Besuch brachte ich meine Duane-Eddy-Platte mit. Glen hörte in kürzester Zeit die Noten heraus und spielte zum Song. Dann reichte er mir die Gitarre. Ich sah, dass er ein wenig ängstlich war und befürchtete, ich würde eine Macke in den perfekten Lack hauen.

      „Entspann dich“, meinte er, auf einen Bund deutend. „Das ist ein G.“ Er half mir bei der richtigen Handhaltung der Linken und erklärte mir, wie ich mit der Rechten das Plektrum halten musste. Ich fand die Bespielbarkeit der E-Gitarre deutlich einfacher als das Spiel auf der Cowboy-Klampfe von Dad, was nicht zuletzt am geringeren Abstand der Saiten zum Griffbrett lag. Innerhalb weniger Minuten hatte Glen mir das zentrale Riff von „Rebel Rouser“ beigebracht.

      Langsam nahm alles Form an. Vince entschied sich zum Mundharmonika-Spiel und John Speer für das Schlagzeug. Für mich blieb der Bass übrig. Eigentlich wusste ich nicht, was ein Bass war. Auf jeden Fall konnte ich kein solches Instrument auf meinem schäbigen kleinen Plattenspieler heraushören. Ein Bass schien nicht sonderlich herauszuragen. Wenn ich nun Bass spielen musste, würde ich das Instrument aber an die vorderste Stelle bringen!

      Unsere Pläne wurden von der Dringlichkeit bestimmt. Doch zuerst musste ich mir einen Bass und einen Verstärker anschaffen, was aus finanzieller Sicht einer Mammut-Aufgabe glich. Die Rettung kam nicht vom Himmel herab, sondern aus einer unerwarteten, verdammt coolen Richtung. Eines Tages reichte mir Mum einen Brief und meinte: „Hier. Lies das. Es ist von deinem Großvater.“

      Auf dem Papier standen folgende Sätze in perfekter Sprache und Schrift: „Du kannst gerne bei mir und deiner Großmutter wohnen. Wir werden dich durchfüttern und grüne Bohnen anbauen. Und wenn du ein guter Arbeiter bist, gehst du mit genügend Geld nach Hause, um dir diese Bass-Gitarre zu kaufen.“

      Zwischen dem üppig grünen Farmland Oregons und der sonnengebleichten Wüste Arizonas lagen Welten. Ich kannte Oregon, da ich neben der Farm meines Großvaters ausgewachsen war. Als Kids rannten mein Bruder Dean und ich mit Spielzeug-Revolvern durch seine Felder, vorgebend, wir wären plündernde und um sich schießende Cowboys. Und so fuhr ich jetzt für einen dreimonatigen Aufenthalt dorthin.

      Man könnte leicht der Ansicht verfallen, dass ein sommerlicher Farm­aufenthalt für jeden angehenden Rock’n’Roller wie eine Zwangseinweisung in der Hölle wirkt. Doch es war ein großartiger Sommer. Ich lernte das Traktorfahren, das Pflügen einer geraden Furche und das Hochbinden junger Triebe. Nach drei Monaten, verbracht mit dem Wuchten von Säcken mit grünen Bohnen, hatte mein Muskelumfang deutlich zugenommen. Mein dunkler, von der Sonne Arizonas gebräunter Teint, die langen Haare und die Jeansjacke mit einem aufgestickten Indianer veranlassten die anderen Arbeiter zum Irrglauben, ich sei tatsächlich ein Indianer. Ich blieb ruhig und dachte viel darüber nach, wie sich die Band entwickeln könnte.

      Eines Morgens lief ich die lange, schmutzige Zufahrt zum Briefkasten an der River Road hoch. Dort fand ich einen Brief von Vince. Hastig riss ich ihn auf. Er hatte sich beim Sommerschlussverkauf ein Shark­skin-Jackett zugelegt. Momentan trainierte er täglich und legte dabei drei Meilen zurück. Er schrieb, dass er nach meiner Rückkehr gerne „Mr. Moonlight“ ausprobieren würde.

      Zurück in Phoenix ging es nach nur einem Tag wieder in die Vollen. Glen begleitete mich zum Montgomery-Ward-Kaufhaus, wo wir uns die Airline-Model-Bässe ansahen. Wir standen auf dem Gang, spähten zu den Instrumenten hoch und schlugen abwechselnd die Saiten an. Mit treffsicherem Blick schaute Glen den Hals eines Basses hinunter, um die Verarbeitung und Gleichmäßigkeit zu prüfen. Zufrieden reichte er ihn mir und resümierte: „Hier ist er, Mr. Bassman.“

      Mich beschlich das Gefühl, er hätte mir das Zepter gereicht, mit dem ich zum König der Welt aufsteigen würde. Schleunigst drängten wir zur Kasse, an der ich den Sommerverdienst ablieferte.

      Nun fehlte noch ein Verstärker. Die göttliche Vorsehung erschien mir dann in Form meiner Kusine Glynnell, die einen gewissen Tyke geheiratet hatte, der in einer Country-Band aus Oregon Steel-Gitarre spielte. Tyke vermachte mir seinen alten Fender-Verstärker. Er war mit dem braunen Material bezogen worden, das man als „Tweed“ kannte, und schien geradezu nach erdiger und urwüchsiger Musik zu riechen.

      Nun war ich ganz offiziell bereit zum Rocken!

      John Speer meldete sich auf eine Anzeige in der Phoenix Gazette hin und fand auf diesem Weg ein bescheidenes, aber ordentliches Drum-Set. Vince beschaffte sich ein Tamburin, Maracas und eine Mundharmonika. Obwohl man ihn nie beim Üben „erwischte“, schien er ein gutes Rhythmusgefühl zu haben. Auch entlockte er der Mundharmonika einen intensiven, klagenden Ton.

      Natürlich hätte ihn niemand gefragt, ob er einen Gitarrenkoffer oder sogar ein komplettes Schlagzeug in die Höhe wuchtet. Diese Art von Frondienst schien seine Möglichkeiten witzigerweise zu übersteigen. Darüber hinaus hatte er allein schon seine Schwierigkeiten dabei, auf den Inhalt des kleinen Instrumenten-Köfferchens zu achten. Aufgrund dieser „Unfähigkeit“ hinterließ Vince auf seinem Lebensweg eine Spur verschiedenster Gegenstände, sich darauf verlassend, dass sich andere einen krummen Rücken machten, zurückrannten und das Zeug wiederbeschafften. So lebte er nun mal. Vince war mit einer Mutter aufgewachsen, die ihn ständig als kleinen Prinzen verehrte. Diese Angewohnheit lässt sich möglicherweise auf die Kindheit zurückführen, in der man ihn nach zahlreichen Operationen überfürsorglich behandelt hatte. Deshalb wandelte er durch das Leben und verließ sich darauf, dass gewissermaßen alles, was er auf den Boden warf, wieder den Weg in seine Hände fände.

      Vince hatte eine dünne nasale Stimme, doch er traf die Noten und behielt die Texte. Sein wohl größter Vorzug lag in der wundervollen geselligen Persönlichkeit, die ihn zum geborenen Frontmann machte. Er war einfach ein sympathischer Typ. Hatte er Charisma? Tja, wenn man mal über den spindeldürren Körper und den riesigen Zinken hinwegsah, erkannte man sein brennendes Verlangen, in jedem sozialen Umfeld zu unterhalten. Und das war so tief verwurzelt und verlief so gleichmäßig