Peter Schrenk

Die Fälle des Kommissar Benedict: 6 sehr fette Krimis in einer Bibliothek


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bringt ein silbernes Tablett mit zwei dampfenden Teegläsern herein, das er auf dem Rand des Schreibtisches abstellt, und verlässt salutierend das Zimmer.

      Die Uschakowa nimmt sich eine Tasse vom Tablett herunter, aber bevor sich auch Benedict bedienen kann, steht sie auf, geht um den Schreibtisch herum und bringt ihm seine Tasse auf dem Silbertablett. Sie beugt sich zu ihm herunter. Er spürt ihren Atem im Gesicht und einen Wimpernschlag lang fühlt er die Berührung ihrer Brust an seinem Oberarm.

      „Sie riechen gut!“

      „Tut mir leid, das sind diese Sachen aus dem Zoo, die ..."

      „Ach das ... nein, ich meine Ihr Rasierwasser. Das kenne ich gut. Old Spiee. Mein Vater benutzt es. Ich liebe diesen Geruch!“

      Ihr Vater? Wie alt mochte sie sein. So um die Dreißig vielleicht, aber er tat sich da bei Frauen immer schwer. Die Berührung ihrer Brüste durch den Stoff hindurch hatte wie ein Elektroschock auf ihn gewirkt. Ob sie das absichtlich getan hatte? Oder war sie sich der Auswirkungen ihrer eigenartigen „Teezeremonie“ gar nicht bewusst?

      „Also, Ihr Problem, Herr Benedict!“

      Ja, sein Problem. Welches Problem? Ach ja ... das auch.

      „Es ist gut, dass Sie darüber mit dem Genossen Meißner gesprochen haben. Wir haben großes Interesse daran, an die Leute heranzukommen, die Material unserer Archive auf dem freien Markt zu verkaufen versuchen. Und natürlich ist es besonders wichtig für uns, die Verräter aus den eigenen Reihen unschädlich zu machen. Die Ratten verlassen das sinkende Schiff, sagt man bei Ihnen wohl, aber sie wollen sich auch noch daran bereichern. Das können wir nicht dulden, auf keinen Fall!“

      Bei den letzten Worten hat die Stimme der KGB-Majorin einen harten Klang angenommen, und sie klatscht mit der flachen Hand auf die Schreibtischplatte.

      Wie gebannt starrt Benedict auf die sehnige Hand der russischen Frau. Diese Schreibtischplatte ... was für ein Einfall ... eine KGB-Majorin hier in ihrem Büro, auf dieser Schreibtischplatte ... er muss schlucken und kämpft einen aufopferungsvollen Kampf gegen seine Phantasien.

      „Wie gehen wir in dieser Sache also vor?“ Er scheint diesen Kampf dann doch gewonnen zu haben.

      „Im Laufe des Vormittags werde ich mit unseren Spezialisten einen Operationsplan entwickeln und Sie heute Abend darüber informieren.“

      „Die Leute wollten sich aber heute noch mit mir in Verbindung setzen. Was soll ich denen sagen?“

      „Hm ... halten Sie sie irgendwie hin ... verlangen Sie eine Kostprobe des Materials oder etwas ähnliches. Sie müssen sich doch von der Qualität der Ware überzeugen, oder?“

      Ja. Das wäre schön, denkt Benedict und muss wieder schlucken.

      „Sicher. Das könnte hinhauen. Und wie machen wir das heute Abend mit der Information?“

      „Wir arrangieren einen unauffälligen Treff. Sie haben doch heute Abend noch nichts vor?“

      „Nein...“

      „Gut. Ich habe zwei Karten für die Deutsche Staatsoper. Wir treffen uns vor dem Eingang. Mögen Sie Mozart? Die ,Zauberflöte‘?“

      Natürlich mochte er die ,Zauberflöte‘, aber vor der Aussicht auf einen Abend mit Vera Uschakowa, Major des KGB in Berlin-Karlshorst, hätte er sogar Wagners ,Ring‘ überwältigend gefunden.

      *

      „Die Jungs werden ganz schön Schaum vorm Mund haben!“

      Hauptkommissar Meißner grinst schadenfroh, als er mit Benedict, der erleichtert ist, aus der stinkigen Tierpflegerkluft wieder herausgekommen zu sein, vor dem Tierpark Friedrichsfelde in den Wartburg steigt. Und nicht nur die, denkt der Westkommissar etwas besorgt, denn auch Dr. Siegfried Huber würde der soeben beendeten Charade zum Opfer gefallen sein.

      „Nu? Wie hat Ihnen die Genossin Vera gefallen? Sie müssen doch zugeben, dass ooch der Sozialismus reizvolle Früchte hervorbringt, nu?“

      Vitus H. Benedict kann nicht umhin, dem zuzustimmen und lächelt versonnen vor sich hin.

      „Hab ich mir doch gleich gedacht, dass Ihnen die behagen würde! Und sonst? Haben Sie mit unseren Freunden ein Arranschemang treffen können? Wegen der Sanger-Geschichte?“

      Er berichtet Meißner über den Ablauf des Treffens in der KGB-Villa, soweit er das für sinnvoll erachtet, aber als der ihn an der Normannenstraße wieder absetzt, geht er doch davon aus, dass sich der MUK-Leiter unverzüglich mit Vera Uschakowa in Verbindung setzen wird. Die beiden kennen sich mit Sicherheit länger und besser und sprechen außerdem die gleiche Sprache.

      „Wenn’s heute Abend nicht zu spät wird, sprechen wir uns noch!“, verabschiedet Meißner sich durch das heruntergekurbelte Wagenfenster hindurch.

      „In Ordnung!“, antwortet Benedict, aber das geht in einem plötzlichen Quietschen und Knallen von Blech auf Blech unter. Vielleicht hatte Meißner zu schnell vom Straßenrand zur Mitte gezogen, vielleicht war der andere Wagen auch einfach mit zu hoher Geschwindigkeit herangebraust. Das Ergebnis war der nicht schwerwiegende Auffahrunfall eines West-Golfs auf einen Ost-Wartburg, der aber, wenn man nach der Lautstärke des in bayrische Loden gekleideten Golf-Fahrers ging, mindestens drei Menschenleben gekostet und einen Millionenschaden verursacht hatte.

      „Ja kreuzsapperlot! Könnt’s ihr verdammten Saupreißn, kommunische, nicht aufpassen!? Habt’s ihr net Audo fahrn gelernt, auf eure roten Parteischul’n?“, schnauft der Massige mit dem Filzhut auf dem Kopf, und der Gamsbart zittert vor Empörung mit.

      Als Benedict sieht, wie sich Meißners Gesicht zu einer eisig-dienstlichen Grimasse verzieht, scheint es ihm an der Zeit einzugreifen, und er tritt mit einem hastigen Schritt zwischen die beiden Kontrahenten.

      „Geht in Ordnung, Kollege“, zischt er zwischen den Lippen heraus, „der Mann gehört zu mir. Was ist los, Huber?“

      „Na, das will ich Sie fragen? Auf einmal war’n Sie verschwunden. Dachte schon, die hätten Sie im Zoo hinter Gitter gebracht!“

      „Da wusste ich selbst nichts von. War ’ne Überraschung von meinem Kollegen hier. Es ist alles soweit in Ordnung. Ich werde hier noch ein paar Stunden absitzen und heute Abend in die Staatsoper gehen. Aber bemühen Sie sich nicht, die Vorstellung ist ausverkauft. Und jetzt“, wendet er sich wieder Meißner zu, „tun Sie so, als ob Sie mit ihm Adressen austauschen oder so was, das muss schließlich echt aussehen!“

      Mit einem zünftigen „Pfüeti, Saupreiß!“, verabschiedet sich der Golf-Fahrer alsbald, und Meißner sieht ihm kopfschüttelnd nach.

      „Scheint wohl Theatertag zu sein, heute!“

      Dann ist auch der MUK-Leiter weg.

      *

      Gleich der erste Raschke-Vorgang birgt eine Überraschung.

      Als er das Deckblatt umblättert, fällt ihm ein Fetzen Papier entgegen, der da nichts zu suchen hat. Eine Telefonnummer und zwei Buchstaben. DS. Unwohl starrt Benedict auf das Gesicht des Bürgerkomiteelers. Sollte der... oder die Staatsarchivarin? Der Mann vom Amt für Nationale Sicherheit vormals MfS? Es hilft trotzdem nichts. Er muss sich mit den Leuten in Verbindung setzen, damit sie keinen Verdacht schöpfen. Aber von hier? Aus der Höhle des Löwen? Lächerlich! Wenn es denen möglich war, ihm sogar in das Allerheiligste hinein Nachrichten zukommen zu lassen, konnte er sie auch geradeso von hier aus anrufen.

      „Hör’n Sie, ich muss da mal ’ne Flamme von mir anrufen ... wäre es möglich, dass Sie gerade mal... nur ’ne Minute! Bitte!“

      Nach einer Weile löst sich das mürrische Gesicht des Bürgerkontrolleurs glücklicherweise in einen Ausdruck von Verständnis