Peter Schrenk

Die Fälle des Kommissar Benedict: 6 sehr fette Krimis in einer Bibliothek


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Auftritt im Foyer war ein Ereignis gewesen. Unter dem leichten Sommermantel trug sie eines dieser einfachen, schwarzen Kleidchen, wie sie nur junge oder sehr attraktive Frauen wirklich tragen konnten. Ihr schmales Gesicht, dessen weißer Teint nicht überschminkt wirkte, vor einem Hintergrund locker aufgeföhnter, blauschwarzer Haarpracht. An ihren Ohren blitzte das Feuer geschliffener Rubine, und auch auf dem vielleicht etwas zu schüchtern geschnittenen Dekollete leuchteten die zu einer Halskette gearbeiteten edlen Steine. Über allem aber dieses in festlicher Erwartung strahlende Augenpaar, mit dessen Wirkung die alten Preziosen nicht konkurieren konnten. Kaum, dass er sich von ihrem Anblick losreißen mochte. Und auch den Umstehenden schien es nicht anders zu ergehen. Mehr oder minder auffällig verrenkten die Männer ihre Hälse, während die Augenfarben der Frauen zwischen giftgrün und natterngelb changierten. Und er? Wie ein balzender Gockel hatte er seine Dame mit stolzgeschwellter Brust zu ihrem Platz im Parkett geführt. Was interessierte ihn, dass oben auf der Bühne unter der Mondsichel auf sternglänzendem Himmelsblau die „Königin der Nacht“ auftrat. Er hatte seine „Königin“ hier unten neben sich. Roch ihren Körper. Fühlte ihre Wärme. War gefangen von ihrer Nähe.

      In der Pause war es mit dem Operntraum vorbei.

      Mit entschlossenen Schritten ging sie zur Garderobe und ließ sich ihren Mantel zurückgeben. Dann, sie schien sich wortlos mit der Garderobiere verständigt zu haben, folgten sie dieser bis zu einem kleinen Nebenausgang, wo diesmal keine russische Limousine auf sie wartete. Ein Opel Omega. Wie Benedict durch einen raschen Blick feststellen konnte, mit West-Berliner Kennzeichen. Im Wagen wechselte die Uschakowa ein paar rasche Worte mit dem russischen Fahrer, und sie fuhren durch die abendliche Stadt. Nach einer Weile schienen die ständigen Blicke in den Rückspiegel den Chauffeur zufriedengestellt zu haben, denn er hielt in einer dunklen Nebenstraße und verließ das Fahrzeug.

      „Haben Sie mit den Leuten Kontakt gehabt?“

      Benedict, der endlich begriffen hatte, welchem Zweck die nächtliche Pausenfahrt dienen sollte, berichtete ihr kurz von dem Probeband mit dem Fetzen eines Telefonats zwischen Dean Sanger und Dixie Lupinsky in den USA.

      „Gut. Sehr gut! Ich nehme an, dass diese Verbrecher morgen mit Ihnen Verbindung aufnehmen

      werden, um die Modalitäten der Übergabe mit Ihnen zu vereinbaren. Passen Sie genau auf: die werden Ihnen einen Übergabeort vorschlagen, den Sie natürlich ablehnen werden! Zögern sie erst. Tun Sie so, als suchten Sie selbst nach einem Ihnen sicherer erscheinenden Platz. Dann schlagen Sie denen das Filmgelände in Babelsberg vor. Sagen Sie, Sie hätten es am Wochenende besichtigt oder so etwas. Es ist wichtig, dass Sie die Leute überzeugen. Hier, sehen Sie!“, reichte sie ihm einen kleinen Plan des Filmgeländes und zeigte mit dem Finger auf einen Platz links vom Haupteingang. „Dort gibt es einen Nebeneingang, der geöffnet sein wird. Da steht so eine alte Filmrequisite, ein deutsches Nazi-Flugzeug aus dem 2. Weltkrieg. Genau daneben findet die Übergabe statt. Schlagen Sie 20 Uhr vor, denn bis dahin können wir unsere Leute unauffällig in Position bringen!“

      „Und an welchem Tag?“

      „... morgen!“

      „Morgen schon?“

      „Ja, denn jeder Tag Verzögerung würde die Geheimhaltung erschweren, und gerade von unserer Seite dürfen so wenig Leute wie möglich darüber Bescheid wissen!“

      „Na, Sie muten mir ja ’ne ganze Menge zu ... und wie soll das dann ablaufen?“

      „Sagen Sie den Leuten, dass sie die Videos an Ort und Stelle mit einem tragbaren Abspielmonitor begutachten würden. Erst, wenn Sie das Material als echt identifizieren, gibt es das Geld!“

      „Ja, und da sind wir dann beim casus cnactus! Woher...“

      „Bei was, bitte?“

      „Ach, nur so eine Redensart. Woher soll ich denn an soviel Geld kommen? 50 000 DM?“

      „Keine Sorge. Sie werden denen das Geld zeigen können. Aber wenn alles so läuft, wie wir geplant haben, werden die davon nichts mehr ausgeben können!“

      „Und was passiert mit dem Material? Ziehen Sie das auch ein?“

      „Selbstverständlich. Oder was dachten Sie? Schließlich handelt es sich um Eigentum der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken. Aber... wenn Sie Ihre Rolle gut machen, lassen wir Sie vielleicht vorher einen Blick drauf werfen!“

      *

      Wenn sie diese Augen macht, sieht sie aus wie ein Kind.

      Er hat beim Tastenklimperer auch noch „Moskauer Nächte“ in Auftrag gegeben, und sie scheint entzückt.

      „Das ist aber nett!“, gurrt sie, und ihr Oberkörper vibriert im Rhythmus der locker dahinschmelzenden Tonkaskaden. Als er sich jetzt eine „Monte Christo“ anstecken will, nimmt sie ihm das Holz aus der Hand und entzündet seine Zigarre. Die ersten blauen Wolken formen schon zerfasernde Kringel in der Luft, bevor er mit rauer Stimme sagt: „Wissen Sie, was es bei uns in Deutschland bedeutet, wenn eine Frau dem Mann Feuer gibt?“ Plötzlich fühlt er ihre Hand in seinem Haar und das weiche Fleisch ihrer Brüste drängt sich an seinen Oberkörper. Und die Farbe ihrer Augen verspricht die Piratenschätze der Karibik.

      „Natürlich weiß ich, was das heißt. Küss mich endlich, du deutscher Idiot!“

      Sie hatte nach ihrer Lagebesprechung keine Lust mehr gehabt, zur Lindenoper zurückzufahren. „Die Pause ist schon lange vorbei, und jetzt steht mir der Sinn sowieso nach anderer Musik und einem Drink! Fahren wir in den Westen!“

      Dem Fahrer schien der Weg geläufig, denn zielsicher hatte er sie vors Intercontinental gebracht. Bevor sie das Fahrzeug verließen, gab ihm die Uschakowa in herrischem Ton noch einige Anweisungen, wohl den genauen Abholtermin, und der Wagen rauschte wieder ab. dass auch der Russin dieser Platz nicht völlig unbekannt war, merkte er spätestens, als sie zielsicher den Weg zur Bar des Intercontinental einschlug.

      „Ich komm doch gar nicht aus Moskau, du!“, kichert sie und hört auf, an seinem Ohr rum zu knabbem, „bin doch aus Leningrad, hörst du! Warst du schon mal in Leningrad?“

      Nein, war er noch nicht. Langsam beginnt die Geschichte kritisch zu werden. Ihre warmfeuchten Hände haben im Halbdunkel der Bar eine Wanderung begonnen, die, wie er befürchtet, erhofft, nur dort enden kann ... Abrupt stoppen ihre Finger. Sie setzt sich kerzengerade auf, sieht ihm mit starrem Blick in die Augen und sagt: „Genosse, ich glaube, ich bin total blau!“ Was Benedict nicht verwundern würde, nach vier Bier und sieben Wodka-Gimlets, die sie in den vergangenen zweieinhalb Stunden verputzt hat.

      Natürlich ist er enttäuscht. Der Abend hatte mehr erwarten lassen. Aber so ist sie eben, des Lebens bizarre Härte ...

      „In diesem Zzzustand kann ich unmöglich meinen Fahrer rufen lassen, unmöööglich! Der ist nämlich, weißt du das Benedict, der ist nämlich beim ... KGB! Jawoll! Der petzt mich an, jawoll!“

      „Du bist auch beim KGB!“, flüstert Benedict ihr leise ins Ohr.

      „Ach ...? So ...? Egal! So besoffen kann ich nicht zurückfahren. Besorg uns ein Zimmer! Das ist Beffäll! Poschli!“

      Hat sie eben „uns ein Zimmer“ oder „mir ein Zimmer“ gesagt? Spielt das eine Rolle? So blau konnten sie auch genauso gut die Nacht gemeinsam in einem Doppelzimmer verbringen.

      „Meine Frau hat wohl in der Bar etwas zu viel getrunken, meinen Sie, dass Sie für die Nacht noch ein Doppelzimmer für uns frei haben?“

      Der Hundertmarkschein und die goldene Kreditkarte auf dem Tresen des Nachtportiers helfen bei der Entscheidungsfindung, und als die letzten Akkorde von „Smoke gets in your eyes“ in der Bar verklingen, kann er Vera auf ihren schönen, wenn auch unsicheren Beinen zum Fahrstuhl führen. Während sie sich mit geschlossenen Augen in der Kabine an die Wand lehnt, die Wangen gerötet und die Haare zerzaust, summt sie leise immer noch die Melodie