Pete Hackett

Neun ungewöhnliche Krimis Juni 2019


Скачать книгу

den ersten drei Tänzen war sich die Hofgesellschaft einig, dass der Graf von St. Germain nicht nur eine blendende Erscheinung war, sondern mit der Leichtigkeit und Perfektion eines Tanzmeisters über den Ballboden schwebte. Kaum hatte er die Herzogin auf ihren Platz geleitet, als er sich auch schon von einer aufgeregten Damenschar umgeben sah – und von einem Tanz zum anderen keine Pause machen durfte.

      8.

      Die Sonne hatte sich heute kaum sehen lassen, der Wind schien gegen Abend erneut aufzufrischen, und die ersten Lichter wurden in den Häusern entzündet, als noch ein später Handkarren über das Pflaster des Hagenmarktes gezogen wurde.

      Die Räder rumpelten laut über die groben Steine, die auch hier verhinderten, dass man selbst bei starkem Regen im Matsch versackte.

      Das war hier von nicht zu unterschätzender Bedeutung, war doch das Hoftheater ein wichtiger Anziehungspunkt des gesellschaftlichen Lebens, und auch das einfache Volk liebte die zahlreichen Redouten, bei denen es oft selbst für ein geringes Geld eine Maske leihen und sich unter die Gäste mischen durfte.

      Gezogen wurde der Karren von einem Mann in einfacher, derber Kleidung. Unter dem dunklen Umhang schauten die schmutzigen Beine einer einst weißen Kniebundhose hervor, seine Waden waren trotz der kühlen Herbstzeit strumpflos, seine Füße steckten in plumpen Holzpantinen. Mit schlurfenden Schritten erreichte er das Palais an der Ecke des Hagenmarktes, in dem einst Madame Branconi gelebt hatte, über viele Jahre die Mätresse Herzog Carl Wilhelm Ferdinands. Längst war sie aus dem Herzogtum abgereist und lebte auf ihrem Gut Langenstein bei Halberstadt, nachdem der Herzog das Interesse an ihr verloren hatte und nunmehr die schöne Luise von Hertefeld bevorzugte.

      Der Mann sah sich nach dem Eingang für Dienstboten um, öffnete ein kleines Tor und stand gleich darauf mit seinem Karren am Hintereingang. Auf sein Klopfen wurde ihm fast sofort geöffnet.

      Eine alte, runzlige Magd mit einer mächtigen Haube musterte ihn kritisch von Kopf bis Fuß.

      „Ja, und?“, krähte sie ihm schließlich aus einem zahnlosen Mund entgegen.

      „Gott zum Gruße, gute Frau, bin ich hier richtig beim Grafen von Saint Germain?“

      Der Mann hatte seinen zerdrückten, schmutzigen Dreispitz höflich abgenommen und drehte ihn nun in den Händen.

      „Das ist wohl richtig, was willst du von ihm? Burschen wie dich wird er wohl kaum empfangen!“

      Die alte Magd stieß ein gackerndes Lachen aus, und der Mann wartete geduldig, bis sich die Alte beruhigt hatte.

      „Unsereiner wird von keinem Grafen empfangen. Ich bringe die bestellten Waren vorbei und will nur wissen, wo ich alles abstellen kann.“

      Dabei deutete er im ungewissen Zwielicht des Hofes auf seinen Handkarren. Die Magd bemühte sich, etwas zu erkennen, entdeckte aber nur eine Menge Stroh, das aus dem Wagen nach allen Seiten hervor sah.

      „Was hast du da drauf? Ich weiß von keiner Ware, die der Herr bestellt hat!“

      „Das mag wohl sein, aber der Graf hat persönlich bei meinem Meister allerlei Geräte aus Glas und Porzellan bestellt, Phiolen, Glaskolben und Gefäße für seine Experimente. Sie sind leicht zerbrechlich und deshalb in Stroh gebettet. Ich kann sie nicht hier auf den Hof legen.“

      „Schon recht, schon recht. Komm herein und bring das ganze Zeug in den Raum neben der Küche. Da hat der Herr seine Geräte stehen, für die er demnächst ein eigenes Zimmer im Haus einrichten will. Mich geht das alles nichts an, ich bin nur für die Küche zuständig.“

      „Sonst niemand im Hause, der mir zur Hand gehen kann?“

      Die Magd warf einen misstrauischen Blick auf den Mann.

      „Wozu willst du das wissen? Willst doch wohl einer alten Frau nicht an den mühsam verdienten Groschen, und bist doch selbst jung genug, um deine Sachen tragen zu können, was? Ausfragen lasse ich mich jedenfalls von dir Bursche nicht!“

      „Ist ja gut, ich wollte nur wissen, ob mir jemand hilft“, brummte der Tagelöhner missmutig und begann, die ersten Gegenstände vorsichtig aus dem Stroh herauszuholen. Behutsam trug er ein großes Kolbengefäß in den Flur.

      „Puh, ist das hier dunkel, da muss man ja mächtig aufpassen, um nicht lang hinzuschlagen. Kannst du nicht ein Licht herschaffen, damit ich erkenne, wo ich entlanggehe?“

      „Sonst noch etwas für den hohen Herrn?“, keifte die Magd und stemmte die Hände in die Hüften.

      „Ich mein ja nur – der Graf wird sicher sehr böse, wenn ich etwas hier im Dunklen zerbreche!“

      Die Alte knurrte etwas Unverständliches, schlurfte zum Herd in der Küche hinüber und entzündete eine kleine Lampe mit schlecht brennendem Talg, die sie gleich darauf auf die Dielenbretter des Flures stellte.

      „Hier, wenn es dem Herrn so recht ist – und sieh zu, dass du mir hier nicht alles mit dem Stroh einsaust, ich habe heute schon gefegt!“

      Der Lieferant kümmerte sich nicht weiter um die Alte, trug Stück für Stück herein und stellte alles ordentlich in dem noch leeren Raum ab. Dabei hatte er wirklich Mühe, etwas zu erkennen. Zwar waren die Läden vor diesem Zimmer noch nicht zugeklappt, aber die Dunkelheit war doch inzwischen vollkommen hereingebrochen, und die Talgfunzel auf dem Flur reichte kaum aus, die Umgebung unterscheiden zu können.

      Als der Mann mit seiner Arbeit fertig war und das letzte Stück sorgfältig abgesetzt hatte, nahm er das Talglicht auf, hielt es hoch und sah sich rasch auf dem Flur um. Nur eine einzige Tür ging hier noch ab, am Ende des Ganges führte eine schmale Treppe in die oberen Räume. Er verharrte einen Moment und lauschte auf die Geräusche aus der Küche. Die alte Magd war offenbar dabei, die Geräte zu säubern und für den morgigen Tag vorzubereiten. Behutsam drückte er die Klinke herunter und probierte die Tür. Sie war unverschlossen und ließ sich geräuschlos öffnen. Der Mann hob sein Talglicht hoch, um etwas zu erkennen.

      Er konnte nur einen flüchtigen Blick in das Innere werfen, das an den Wänden mit allerlei Kisten und Fässern vollgestellt war. Ein rascher Schritt brachte ihn an ein kleines Fass, und wieder lauschte er nach draußen. Er stieß dagegen und hörte eine Flüssigkeit schwappen. Der Deckel saß aber zu fest, um ihn ohne ein Werkzeug zu öffnen. Als er es näher untersuchte, nahm seine Nase einen seltsamen Geruch wahr, der dem Fass entströmte. Das nächste Fass hatte einen anderen Verschluss, der sich leicht öffnen ließ.

      Der Tagelöhner hob den Deckel an und steckte vorsichtig seine Hand hinein. Dabei ertastete er eine steinartige Substanz, griff rasch zu und hatte das kleine Stück kaum in seinen Hosenbund gesteckt, als er die Alte rufen hörte. Im nächsten Augenblick war der Deckel wieder auf dem Fass, ein Schritt zurück zur Tür, auf den Flur und die Tür hinter sich zugedrückt. Aufatmend stellte er fest, dass die Alte ihm aus der Küche etwas zugerufen hatte, ohne nach ihm zu sehen.

      „Ich bin fertig und ziehe wieder los. Mein Herr wird in den nächsten Tagen selbst vorbeikommen und dem Grafen die Rechnung übergeben.“

      „Schon recht. Dann kann ich endlich zur Ruhe gehen, der Herr vergnügt sich ja heute auf dem Schlossball.“

      „Die hohen Herrschaften führen doch ein beneidenswertes Leben“, seufzte der Mann und nickte der Magd zu. „Da möchte man so manches Mal Mäuschen sein,