Pete Hackett

Neun ungewöhnliche Krimis Juni 2019


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die Schokolade mit einem Hauch Muskatnuss gewürzt. Ein Vergnügen, das ich Ihnen höchst selbst bei entsprechenden Gelegenheiten im Schloss Richmond servieren darf.“

      Graf St. Germain nickte und zeigte dabei ebenfalls ein leichtes Lächeln in seinem sonst verschlossenen Gesicht. Anders als viele Höflinge hatte der Graf auf Bleiweiß, Schönheitspflaster und ähnliche Modedinge vollkommen verzichtet. Seine Perücke war englisch frisiert, der Schnitt seines Justaucorps’ deutete ebenfalls auf einen englischen Schneider. Seine langen, eleganten Finger waren fast die einer Frau – oder eines Künstlers, wie der Kammerherr für sich feststellte, als sein Besucher erneut die Schokoladentasse hob und sie nun angelegentlich von allen Seiten betrachtete.

      „Schade, sehr schade“, bemerkte er schließlich, als er sie auf dem Schreibtisch abstellte.

      Der Kammerherr sah ihn nur mit einer hochgezogenen Braue an, und St. Germain verstärkte sein Lächeln.

      „Ich meine die Arbeit, die sich der Porzellanmaler gemacht hat. Eine derart künstlerische Ausführung verdient wohl ein besseres Porzellan.“

      Jetzt war es an dem Kammerherrn, sich mit einem Lächeln entspannt zurückzulehnen.

      „Ihr kommt ohne Umschweife zum Thema, nehme ich an.“

      „Nun, ich gehe einmal davon aus, dass ich dem Kammerherrn des Braunschweiger Herzogs nicht unnötig die Zeit stehlen darf. Dem höchsten Beamten bei Hofe und zudem Chef einer eigenen Polizeigruppe glaube ich zudem nichts mehr über meine Person erzählen zu müssen, was er noch nicht weiß.“

      Diesmal reagierte der Kammerherr in keiner Weise. Er hielt dem forschenden Blick seines Gegenübers stand und wartete ab.

      „Meine bisherigen Arbeiten sind durchaus vielversprechend, und ich bin sicher, dass ich sehr zur Verbesserung der Fürstenbergischen Erzeugnisse beitragen kann.“

      „Wir werden sehen. Ihr könnt ab morgen ein Labor am Collegium Carolinum nutzen, ich habe bereits alles mit Professor Anselm von Kleistenberg arrangiert. Er kann Euch sogleich hinüberbringen.“

      „Ihr überrascht mich, verehrter Graf von Osten-Waldeck, aber ich sehe, dass Ihr wirklich keine Zeit unnötig verstreichen lasst. Dann ist also alles, wie von mir in meinem Ankündigungsschreiben gewünscht, bereitgestellt?“

      Statt einer Antwort nickte der Kammerherr nur leicht.

      „Und die weiteren Bedingungen? Die Vergütung meiner Aufwendungen, meine absolute uneingeschränkte Nutzung der Möglichkeiten am Collegium und ...“

      „Selbstverständlich alles nach Wunsch, Graf St. Germain. Oder ist Euch in Deutschland lieber der andere Titel – Graf Weldone – bequemer?“

      Der Kammerherr hatte sein Wissen um den ebenfalls benutzten Namen des geheimnisvollen Besuchers vollkommen gelassen erwähnt, und sein Gegenüber schmunzelte erneut.

      „Ich verbeuge mich vor Eurem Wissen. Nein, auch wenn ich für gewöhnlich in Deutschland meinen zweiten, rechtmäßig ererbten Titel verwende, so möchte ich doch bei Hof als St. Germain eingeführt werden.“

      „Nun, das ist ein durchaus verständlicher Wunsch – schließlich verbinden die Damen damit ja auch einiges mehr als mit dem Namen Weldone. Habt Ihr noch Vorräte von Eurem Aqua benedetta oder müssen wir den Empfang auf einen späteren Termin setzen, damit Ihr genügend Zeit für die ausreichende Herstellung einer vernünftigen Menge habt? Seid gewiss, unsere Damen werden Euch allein schon deshalb lieben!“

      „Ich würde es nicht wagen, ohne das Lebenselixier bei Hofe zu erscheinen, verehrter Kammerherr.“

      „Nun, dann ist ja alles in bester Ordnung. Professor Kleistenberg wartet bereits auf Euch im Antichambrierzimmer.“

      Damit betätigte der Kammerherr einen verdeckten Klingelzug, und gleich darauf öffnete sich erneut die Tür zu besagtem Raum. Die Audienz war beendet, Graf St. Germain erhob sich eilig, verbeugte sich kurz und gerade noch angemessen und hatte gleich darauf den Saal verlassen. Der Kammerherr sah ihm lächelnd nach. Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, war jedoch seine heitere Miene einem sehr besorgten Ausdruck gewichen. Erneut warf er einen Blick auf das Dossier und betätigte abermals den Klingelzug.

      „Schafft mir Leutnant Oberbeck her, so schnell wie möglich. Ich brauche ihn hier, egal, womit er gerade beschäftigt ist,“, rief er dem Diener zu, der umgehend wortlos das Zimmer verließ, durch die Gänge des Schlosses eilte und ein wenig atemlos die Wachstube der Braunschweiger Jäger gleich am Portikus des Schlosses erreichte.

      Er riss ohne Umstände die Tür auf und entdeckte nur zwei Jäger in der grün-roten Montur der Braunschweiger.

      „Leutnant Oberbeck?“, rief er ohne weitere Umstände den Männern zu. Er hatte keinerlei Ambitionen, mit den gefürchteten Jägern, die in Braunschweig nach ihrem Einsatz in Nordamerika Polizeiaufgaben übernommen hatten, in näheren Kontakt zu treten. Außerdem kannte man ihn als einen der Leibdiener des Kammerherrn, dem selbst die rauen Jäger einen gewissen Respekt entgegenbrachten. – „Unterwegs in einer Ermittlung!“, antwortete einer der beiden Männer. „Es hat heute Nacht einen Mord gegeben.“

      „Der Kammerherr erwartet ihn dringend und ohne jeden Aufschub“, lautete die kurze Antwort.

      Einer der Jäger stand auf, stülpte sich den Dreispitz über und folgte dem Diener zu Tür.

      „Na, der wird sich freuen. Mitten in der Beweisaufnahme der neuesten Bluttat, und der Herr Kammerherr belieben zu pfeifen. Wir werden sehen, was der Herr Premierleutnant davon hält.“

      Der Diener hatte sich wortlos abgewandt und eilte in die Schlossräume zurück, während der Jäger zu den Ställen ging, sein bereits gesatteltes Pferd herausführte und gleich darauf in scharfem Galopp den Bohlweg hinab zum Hagenmarkt unterwegs war. Kopfschüttelnd sahen ihm ein paar Bürger nach, als er auf geradezu halsbrecherische Weise an ihnen vorüberschoss und das Pferd Schmutz und kleine Steine vom Pflaster aufwirbelte.

      Der Sturm, der noch in der Nacht heftig gewütet und manches Dach in Mitleidenschaft gezogen hatte, hinterließ auch zahlreiche abgerissene Äste und noch mehr Herbstlaub auf den Straßen. Für einen raschen Ritt auf dem nassen Laub war der Pflasterbelag nicht gerade geeignet, aber dem Jäger schien das nichts auszumachen – und schon gar nicht die verängstigten Menschen, die ihm hastig auswichen.

      4.

      Leutnant Oberbeck hatte sich eine Reihe von Notizen gemacht und steckte jetzt den dünnen Stift aus gewalztem Blei in sein Notizbuch zurück. Ein paar Jäger hielten die neugierigen Gaffer zurück, die einen Blick in die Liberei werfen wollten, um vielleicht gar den Leichnam selbst zu sehen. Oberbeck hatte noch nie verstanden, was die Menschen bei solchen Anlässen anlockte – ähnlich wie bei den glücklicherweise kaum noch stattfindenden öffentlichen Hinrichtungen.

      Schnell hatte es sich im Andreasviertel der Neustadt herumgesprochen, was geschehen war. Am frühen Morgen war Pastor Heinrich Timpe in die Liberei gegangen, um sich Unterlagen für seine Arbeit zu holen. Dabei hatte er auf der Treppe den ermordeten Nachtwächter gefunden. Die riesige Blutlache zeigte ihm nur zu deutlich, dass hier jede Hilfe zu spät kam. Trotzdem schickte er den Küster zu einem Arzt in der Nachbarschaft. Er selbst lief, so schnell ihn seine Füße trugen, zur Wache im Schloss, um dort Anzeige zu erstatten.

      Der