Pete Hackett

Neun ungewöhnliche Krimis Juni 2019


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über diese Verträge wusste der heutige Besucher bestens Bescheid. Er wäre niemals auf die Idee gekommen, einem Herrscher seine Dienste anzubieten, wenn er sich nicht in dessen finanziellen Verhältnissen auskannte. Um seine Unabhängigkeit zu beweisen, kaufte er im Vorfeld seiner Recherchen auch gern einige Schuldscheine auf. Der Mann wirkte auf die anderen Wartenden im Raum ehrfurchtgebietend. Man sprach ohnehin nur im gedämpften Tonfall miteinander, aber niemand wagte es, das Wort an den Fremden direkt zu richten, nachdem er einen eiskalten Blick bei seinem Eintritt in die Runde geworfen hatte. Seine spöttisch verzogene Miene zeigte den bereits seit früher Stunde Versammelten, was dieser edel gekleidete Kavalier von ihnen hielt.

      Der Fremde trug ein Justaucorps aus dunkelblauem Samt, dazu Weste und Kniebundhose aus gleichem Material, alles üppig mit Goldblitze bestickt und mit einer gewaltigen, goldglänzenden Knopfreihe besetzt. Seine weißen Seidenstümpfe waren in Knöchelhöhe kunstvoll bestickt, seine Schuhe von erlesener Qualität, die Schuhschnallen schienen wie mit kleinen, funkelnden Diamanten besetzt.

      Jetzt blickte er auf, als zwei Kammerdiener die Doppeltür zum Nebensaal öffneten und einer von ihnen mit lauter, wohltönender Stimme ausrief:

      „Graf von Saint Germain – der Kammerherr erwartet Euch.“

      Der Fremde richtete sich langsam auf und strich dabei an seinen Rockschößen entlang. Mit raschen, federnden Schritten war er an den Wartenden vorbei und verschwand in dem Raum, während die anderen mit langen Hälsen versuchten, einen Blick auf den Kammerherrn zu erhaschen, der am Ende des mit hohen Bücherregalen geschmückten Raumes an einem gewaltigen Schreibtisch saß.

      Aber im nächsten Moment schlossen die Diener die Türen bereits wieder, und im Antichambrierzimmer erhoben sich aufgeregte, nur noch Verhalten flüsternde Stimmen über diesen Fremden, der so offensichtlich vor allen anderen bevorzugt wurde.

      „Der Graf von St. Germain? Nie gehört!“, stieß ein hagerer Mann mit altmodischer Allongeperücke aus. „Warum wird er so bevorzugt?“

      „Sie haben noch nie vom Grafen gehört?“ Neben den Hageren stellte sich nun ein kleines Männchen in einem fast schon schäbig wirkenden Anzug. Einige hatten ihn trotz seines wenig anziehenden Auftrittes ehrfürchtig begrüßt, als er das Antichambrierzimmer betrat. Der hochgelehrte Herr Professor Anselm von Kleistenberg, der seit Jahren am hiesigen Collegium Carolinum lehrte, war vielen längst eine vertraute Gestalt bei Hofe. Der Wissenschaftler legte keinen Wert auf seine Kleidung, bewohnte nur eine einfache Mietwohnung am Bohlweg und hatte eine alte, krumme Magd, die ihm den Haushalt führte.

      „Nein, Herr Professor, sollte ich?“, erkundigte sich der Hagere jetzt mit hochgezogenen Augenbrauen.

      Der Professor nickte ihm freundlich zu.

      „Ich denke schon. Der Mann ist schließlich seit vielen Jahren ein unerschöpflicher Lieferant für die tollsten Geschichten, die über ihn erzählt werden. Auch die Damen am Braunschweiger Hof haben schon von ihm geschwärmt.“

      Der Hagere warf einen zweifelnden Blick auf die geschlossene Tür, kurz darauf zuckte er die Schultern.

      „Nun, scheint mir ein Schönling zu sein, der seine Wirkung auf gewisse Kreise sicher haben wird, aber dass Sie von dem Menschen wissen, verwundert mich doch.“

      „Ach wissen Sie, Herr Sekretarius“, antwortete der Professor achselzuckend, „man hört auch in Gelehrtenkreisen so einiges über den Grafen. Und dass er bei den Damen so beliebt ist, hat er sicher nicht nur seinem blendenden Aussehen zu verdanken. Vielmehr verfügt er zweifellos über ein ungeheures Wissen und hat sich bereits einen Namen gemacht. Insbesondere durch sein Aqua benedetta.“

      „Sagten Sie Aqua benedetta? Der Graf von St. Germain hat ein Lebenswasser erfunden? Das ist doch unglaublich, Herr Professor – Sie als hoch geachteter Gelehrter ...“

      Der Professor hob leicht die Hand und schnitt dem Hageren das Wort ab.

      „Nicht so voreilig, lieber Freund. Die Wissenschaft unserer Zeit entdeckt ständig neue Dinge, die unser bisheriges Wissen über die Geheimnisse der Natur immer wieder infrage stellen. Und der Graf hat tatsächlich irgendein Wunderwässerchen zusammengestellt, dass den Damen – nun, sagen wir, wenn schon nicht ewige Jugend, so doch über lange Zeit eine sehr jugendliche Gesichtshaut verschafft.“

      „Und damit handelt der Graf?“

      Der Professor lächelte verschmitzt.

      „Soweit mir bekannt, verschenkt er es für gewöhnlich an die Damen des Hofes.“

      Der Hagere sah ihn verblüfft an, dann starrte er erneut auf die geschlossene Tür zum Kammerherrn, als wäre er in der Lage, sie nur durch die Kraft seines Willens jetzt weit aufzureißen.

      3.

      Als der Graf von St. Germain durch die Flügeltür eintrat, verharrte er nicht für einen Moment auf der Schwelle, sondern schritt rasch bis zu dem Schreibtisch. Mit keinem Blick streifte er die Porzellanfiguren auf ihren Stelen, ließ sich weder von den übervollen Buchregalen noch von den kostbaren Teppichen beeindrucken. Vielmehr hatte er diese Dinge alle gleichzeitig wahrgenommen und für sich gespeichert. Als er dem wichtigsten Mann am herzoglichen Hof gegenüberstand, genügte ein Blick in das Gesicht des Kammerherrn, um sich ein Urteil zu bilden. St. Germain war sofort bewusst geworden, dass er diesen Vertrauten des Herzogs kaum mit einer oberflächlichen Demonstration beeindrucken würde. Hier musste mehr und gründlichere Arbeit geleistet werden als bei seiner letzten Tätigkeit in St. Petersburg. Der Graf schmunzelte bei dem Gedanken, sich in dieser eher doch bescheidenen Metropole mit den Gelehrten des Herzogtums zu messen, die sich durch das Collegium Carolinum und das Juleum in Helmstedt einen großen Ruf erworben hatten.

      Kammerherr Graf Florian von Osten-Waldeck lächelte seinem Besucher herzlich entgegen und wies ihn mit einer eleganten Handbewegung auf den großen Sessel vor seinem Schreibtisch.

      St. Germain verbeugte sich förmlich und nahm dann Platz. Äußerlich machte er einen völlig entspannten Eindruck. Seine eher gleichgültige Miene ließ nichts davon erahnen, was sich hinter der hohen Stirn abspielte. Dank seiner Eigenschaft, auch Dokumente lesen zu können, die für ihn auf dem Kopf standen, hatte er beim Niedersetzen erkannt, dass der Kammerherr ein eng beschriebenes Papier vor sich liegen hatte, das seinen Namen als Überschrift trug.

      Der Besucher saß kerzengerade auf dem Sessel, die Hände leicht auf die Lehnen gelegt. Kammerherr Graf Florian von Osten-Waldeck gab einem Diener einen Wink, und gleich darauf stand jeweils eine Tasse mit frisch angerührter Schokolade vor den beiden Männern. Graf St. Germain wartete ab, bis der Kammerherr seine Tasse hob, dann tat er es ihm nach und nahm einen kleinen Schluck. Die kalte Flüssigkeit hatte ein kräftiges Aroma, und offenbar hatte man den Geschmack der Schokolade noch auf angenehme Weise mit Gewürzen verstärkt.

      „Aus Wien, eigens für den Braunschweiger Hof hergestellt“, bemerkte der Kammerherr und setzte seine geleerte Tasse wieder auf den Schreibtisch zurück.

      „Superb, ganz ohne Frage“, antwortete Graf St. Germain und fuhr sich zur Bestätigung noch einmal mit der Zungenspitze über die Lippen. „Ich stelle fest, verehrter Graf, dass die Braunschweiger sich bestens über ihre Besucher informieren.“

      Für einen winzigen Moment wirkte der Kammerherr verblüfft und warf unwillkürlich einen Blick auf das vor ihm liegende Dossier. Gleich darauf sah er seinen