Pete Hackett

Neun ungewöhnliche Krimis Juni 2019


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Kriminalfall des 18. Jahrhunderts

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      IMPRESSUM

      Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

      © Roman by Author

      © Cover: Kathrin Peschel, 2019

      Lektorat/Korrektorat: Kerstin Peschel

      © dieser Ausgabe 2019 by Alfred Bekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

      www.AlfredBekker.de

      [email protected]

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      Klappentext:

      DER NACHTWÄCHTER DER Neustadt wird auf grausamste Weise vor der alten Liberei ermordet, als er anscheinend Diebe überrascht, die sich in der seit Kurzem nicht mehr öffentlich zugänglichen Bibliothek zu schaffen machen.

      Leutnant Oberbeck, einst als Offizier der Braunschweiger Jäger im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg und jetzt verantwortlich für die Jäger als Stadtwache mit Polizeiaufgaben wird hinzugerufen, um den Fall zu untersuchen. Als dann auch noch einer seiner Jäger mit durchschnittener Kehle aus der Oker geborgen wird, weisen die Spuren zu dem Palais am Hagenmarkt. Dort hat der Graf von Saint Germain, nach Meinung der Damen, ein überaus interessanter Mann, der zudem auch außerordentlich gut aussehend und dabei charmant sowie ein genialer Wissenschaftler ist, Unterkunft gefunden.

      Aber ist es denkbar, dass dieser gebildete und weit gereiste Mann mit solchen grausamen Taten überhaupt in Verbindung gebracht werden kann? Oberbeck hat alle Hände voll zu tun, um die Ermittlungen voranzutreiben – und dabei alle höfischen Etikette zu wahren.

      ***

      1.

      Der Sturm fegte um die Andreas-Kirche, heulte und pfiff, rüttelte an Fensterläden und Türen, warf ein paar lose Dachziegel herunter, trieb Blätter und Müll vor sich her, schien für einen Moment schwächer zu werden, um gleich darauf mit neuer Wut heran zu jagen und alles mit sich reißen zu wollen.

      Der alte Gerhard zog fröstelnd seinen fadenscheinigen Umhang fester um die hageren Schultern. Jede Windböe zerrte an dem Stoff, als gelte es, ihn in Streifen herunterzureißen. Den schäbigen, zerdrückten Dreispitz hielt ein dünner Schal fest, den sich der Nachtwächter um den Hut geschlungen und am Hals verknotet hatte. Gerhard stemmte sich dem Wind entgegen und war froh, als er nach mühseligen Gegenkämpfen endlich die Ecke der Kirche erreicht hatte und in die Kröppelstraße einbiegen konnte. Hier gab ihm der mächtige Kirchenbau etwas Schutz vor dem stürmischen Element, und der alte Nachtwächter richtete sich auf. Schmerz durchzuckte ihn vom Kopf bis zum Fuß, und unwillkürlich stöhnte der alte Mann. Dieses Wetter machte ihm immer besonders zu schaffen, und er sehnte sich nach einem wärmenden Feuer und einem trockenen Platz. Aber es hatte gerade erst zur Mitternacht geschlagen, und mühsam genug hatte Gerhard mit brüchiger Stimme seine Litanei ausgerufen, so, wie es die Bürger der Neustadt schon seit vielen Jahren gewohnt waren.

      Hört, Ihr Herrn, und lasst euch sagen

      unsere Glock’ hat zwölf geschlagen!

      Zwölf, das ist das Ziel der Zeit

      Mensch bedenk die Ewigkeit!

      Gerhard versuchte, gegen das Wüten des Sturmes anzurufen, aber schon der zweite Teil seines Nachtwächterrufes ging im Heulen und Tosen hoffnungslos unter.

      Menschen wachen kann nichts nützen

      Gott muss wachen, Gott muss schützen

      Herr, durch deine Güt’ und Macht

      schenk uns eine gute Nacht!

      Niemand konnte dem alten Mann jemals eine Pflichtvergessenheit nachsagen, auch wenn ihm seine Arbeit inzwischen sehr sauer wurde. Das schlechte Wetter trug mit dazu bei, dass ihm das Gehen durch den Neustadtbereich noch beschwerlicher wurde, und der Gedanke an die nur wenige Wochen zurückliegenden milden Sommernächte ließ Gerhard schwer aufseufzen.

      Zwar hatte der Rat schon vor langer Zeit beschlossen, künftig einen zweiten Nachtwächter einzustellen, der dann seinen Dienst von Galli (Oktober) bis Georgi (April) übernehmen sollte und damit für den alten Gerhard die angenehmere Jahreszeit übrig blieb, aber dann war doch nichts daraus geworden, weil man keine geeignete, vertrauenswürdige Person fand.

      Zwar mangelte es nicht an Bewerbern, denn auch der karge Jahreslohn von zehn Gulden, also zwanzig Talern, lockte viele Bewerber an, aber keiner der Bewerber hatte einen einwandfreien Leumund oder war über ein Jahr schon Bürger der Stadt. Der Krieg hatte allerlei Gesindel, fahrendes Volk, gestrandete Soldaten und Tagelöhner in die Mauern Braunschweigs gebracht, und viele konnten sich nur mit Bettelei und Diebstahl mühselig genug durchschlagen.

      Die Zeiten nach dem großen Krieg waren auch im Herzogtum Braunschweig schlecht, und noch immer sparte Herzog Carl Wilhelm Ferdinand Gelder ein, wo es nur eben ging.

      Der alte Gerhard war natürlich froh, dass man keinen anderen Nachtwächter fand, denn er hätte nicht gewusst, womit er seinen ohnehin ärmlichen Lebensunterhalt in der übrigen Zeit bestreiten sollte. Früher hatte er den einen oder anderen Groschen noch als Hirte verdient, aber auch das war lange vorbei. Niemand war bereit, einem alten Mann die Herde anzuvertrauen, wo es genügend Buben auf den Höfen gab, die diese Arbeit für eine warme Mahlzeit am Tag mit Freuden übernehmen würden.

      Jetzt hatte Gerhard die Laterne erreicht, die ihm den schlechten Weg bis zur Liberei ein wenig ausleuchten sollte, aber er musste sich förmlich an der Kirchenmauer entlangtasten, weil die Laterne erloschen war. Bis hierher drang kein weiterer Lichtschein mehr, und die Fensterläden der umliegenden Bürgerhäuser waren zur nächtlichen Stunde und wegen des heftigen Sturmes, der heute über Braunschweig wütete, fest verschlossen. Gerhard lehnte seine Hellebarde an die Kirchenmauer und löste die Blendlaterne von seinem Gürtel.

      Nur mühsam gelang es seinen klammen, gichtigen Fingern, den Strick zu öffnen und die Laterne in die Hand zu nehmen. Im Anschluss hatte er etwas Werg aus der Tasche gezogen, drehte sich mit dem Gesicht zur Kirchenmauer und versuchte, im Windschatten seines Körpers das Material an der geschützten Kerzenflamme zu entzünden. Mehrere Versuche schlugen fehl, bis der Sturm für einen kurzen Moment abflaute. Endlich gelang es, und Gerhard steckte das nur schwach brennende Werg auf die Spitze seiner Hellebarde. Kaum hatte er es an die Schale der Laterne gehalten, half ihm eine erneute Windböe, das Werg anzublasen und damit die Brennschale sicher zu entzünden. Zufrieden senkte der Nachtwächter die Hellebarde, trat das brennende Werg aus, knüllte den Rest in seiner Hand zusammen und schob es wieder in die Tasche seiner Kniebundhose.

      Gerhard war dem Herzog dankbar für die Beleuchtung, die in ähnlicher Weise bereits durch den französischen Major Manguin während des Siebenjährigen Krieges in Braunschweig eingeführt