Pete Hackett

Neun ungewöhnliche Krimis Juni 2019


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Bevölkerung geachtet wird. Auch mancher Spitzbube wird vielleicht zurückschrecken, wenn er einen von uns sieht. Aber eine heimliche Beobachtung von verdächtigen Personen ist damit vollkommen ausgeschlossen. Wie hätte sich Bernhard denn Zutritt zu dem Palais verschaffen sollen?“

      „Und was hat es uns genutzt? Er ist ermordet worden, aufgeschlitzt wie ein Schlachtvieh, und wir wissen noch nicht einmal, was er möglicherweise herausgefunden hat“, knurrte der alte Sergeant erneut.

      „Da bin ich ganz anderer Meinung, Eggeling. Das hier hat man bei unserem toten Kameraden gefunden. Es handelt sich um Kaolin.“

      Der kleine, weiße Steinbrocken wurde bei diesen Worten auf die Tischplatte gelegt. Aber der griesgrämige Sergeant zuckte nur mit den Schultern.

      „Das hilft uns auch nicht weiter, Leutnant. Wir sind in dieser Angelegenheit keinen Schritt vorangekommen, und langsam bezweifle ich, dass wir noch eine Spur des Mörders finden.“

      „Oh nein, Sergeant. Durch die Nachfragen der Jäger in den umliegenden Schenken am Hagenmarkt wissen wir, dass ein Mann, auf den Bernhards Beschreibung passt, bis zum Schließen des Lokals im Löwen gesessen hat. Der Wirt meinte, er hätte ihm noch nachgesehen, als er sein Haus abschloss und ist sicher, dass Bernhard zum Hoftheater hinüberging.“

      „Zum Theater? Was wollte er denn dort zu später Stunde?“

      „Ich habe nicht gesagt, dass er zum Theater wollte. Denkt doch einmal nach – sein Weg führte ihn in gerader Linie vom Löwen am Theater vorbei – welches Gebäude liegt dort an der Straßenecke?“

      „Nun – das einst von Madame Branconi bewohnte Palais natürlich. Es stand lange Zeit leer.“

      „Richtig, und wie wir alle wissen, wird es seit seiner Ankunft vom Grafen von Saint Germain bewohnt. Und eben dort hatte Bernhard als angeblicher Gehilfe des alten Schikowsky ja am frühen Abend seine Ware abgeliefert. Wie nun, wenn er dabei etwas entdeckte und zu später Stunde zurückkehrte, um weitere Nachforschungen anzustellen?“

      „Ihr meint doch nicht etwa, dass unser Bernhard von einem der Diener des Grafen überrascht und ermordet wurde?“ Der Sergeant sah seinen Vorgesetzten mit ungläubig aufgerissenen Augen an.

      Der Leutnant zuckte nur gleichgültig die Schultern.

      „In jedem Fall ist nun ein Besuch im Palais erforderlich, und zwar ein sehr gründlicher, bei dem wir uns alles ansehen werden, was irgendwie von Interesse sein könnte. Das heißt also, alle Abstellräume und mögliche Kellergelasse. Zu diesem Zweck habe ich mir bereits die Genehmigung durch den Kammerherrn schriftlich erteilen lassen.“

      Sergeant Eggeling pfiff durch die Zähne.

      „Dann habt Ihr einen konkreten Verdacht, Herr Leutnant?“

      „Dazu ist es noch zu früh, ich hoffe aber, wir erhalten Aufschluss vor Ort. Es bleibt nur ein Mann für die Wachstube zurück, wie viele Stadtstreifen sind noch unterwegs, Eggeling?“

      „Zu dieser Tageszeit nur zwei, Herr Leutnant, alle anderen Jäger sind hier oder im Stall beschäftigt.“

      „Das trifft sich gut. Ruft alle zusammen und lasst hier vor der Wachstube antreten. Die Waffen sind alle zu überprüfen und werden nur in geladenem Zustand mitgeführt, wohl gemerkt, das Pulver bereits auf der Pfanne. Ich möchte keinerlei Risiko eingehen, verstanden, Sergeant?“

      „Jawohl, Herr Leutnant!“ Der alte Soldat war aus einer Lethargie erwacht und beeilte sich, die Männer zu sammeln. Nach einer knappen Viertelstunde marschierte die Gruppe der grün-rot-gewandeten Jäger vom Schloss zum Hagenmarkt.

      17.

      Der große Zug der Jäger vom Schloss zum Hagenmarkt blieb nicht ohne Aufsehen. Die Bürger wurden aufmerksam, als die Soldaten im langsamen Gleichschritt angerückt kamen und sahen verwundert aus ihren Häusern. Ein paar Müßiggänger folgten ihnen sogar in kurzem Abstand, und gleich hatte sich auch eine Horde Gassenjungen versammelt, die den Zug umschwärmten und versuchten, etwas von den eisern schweigenden Marschierenden zu erfahren.

      Schließlich hielten die Männer vor dem Palais am Hagenmarkt, Gewehrkolben stießen auf das Pflaster, als sie Aufstellung nahmen.

      „Zwei Mann hier vorn als Wache, zwei Mann nach hinten zum Hofausgang. Sergeant, Ihr werdet Euch mit der Hälfte der Männer die unteren Räume vornehmen, die andere Hälfte folgt mir durch die anderen Räume. Denkt daran: nichts übersehen, nichts auslassen. Jede noch so kleine Spur kann uns weiterführen. Jetzt vorwärts!“

      Die Posten nahmen Aufstellung, der Leutnant schritt seinen Männern voran und ließ gleich darauf den schweren Türklopfer mehrfach herunterfallen. Das Klopfen hallte im Inneren des Hauses nach und es sollte nicht lange dauern, bis die Tür von einem livrierten Diener geöffnet wurde.

      Der Mann sperrte Maul und Nase auf, als er die Jäger vor der Tür erblickte, und brachte keinen Ton heraus.

      „Melde uns beim Grafen an, wir haben es eilig!“, herrschte ihn der Leutnant an.

      „Der ... der Graf ist abwesend. Was wollt Ihr denn.“

      „Tretet zur Seite, wir werden das gesamte Haus durchsuchen. Wie viele Diener hat der Graf und wer ist davon im Haus anwesend?“

      Der Diener schluckte und starrte den Leutnant noch immer fassungslos an. Als er den ungeduldigen Offizier hereindrängen sah, antwortete er:

      „Außer mir ist nur die Köchin im Haus, ich bin für alles verantwortlich, sonst leben hier nur der Graf und sein Adlatus.“

      „Wann erwartet man sie zurück?“

      Der Diener zuckte nur die Schultern und rollte verzweifelt die Augen, als ihn die Soldaten jetzt kurzerhand beiseite drängten und das Haus betraten.

      Auf das Geratewohl öffnete der Leutnant die Tür zum nächsten Raum, der sich als vollkommen leer erwies. Trotzdem erhielten zwei Mann den Auftrag, die Wände genau nach geheimen Türen abzusuchen und die Dielenbretter näher zu untersuchen.

      Das nächste Zimmer erwies sich als das Arbeitszimmer des Grafen. Hier hatte er nicht nur einen großen Schreibtisch in Fensternähe aufgestellt, auf dem sich unglaublich viele Bücher, Dokumente und einzelne Blätter häuften, sondern auch seine Bibliothek eingerichtet. Die Regale waren ebenso vollgestopft mit Büchern und Dokumenten.

      „Hier werde ich mich persönlich genauer umsehen. Ihr anderen macht mit den anderen Zimmern weiter, danach untersucht die obere Etage.“

      Leutnant Oberbeck ging langsam an den Buchreihen entlang und versuchte, etwas von den Rückenbeschriftungen zu entziffern. Die meisten Bücher waren offensichtlich in Latein geschriebene wissenschaftliche Werke und Abhandlungen, aber etwas anderes hatte er auch nicht erwartet bei einem Menschen wie dem Grafen von St. Germain.

      Ab und zu griff er sich einen Buchrücken, zog das Exemplar heraus und stellte es wieder zurück. Die Bände standen so dicht beieinander, dass er oftmals Mühe hatte, überhaupt einen davon herauszuziehen.

      Nachdem er die Regale nach Auffälligkeiten abgesucht hatte, ging er zu dem Schreibtisch hinüber. Ein flüchtiger Blick über das scheinbare Chaos ließ ihn leise seufzen, aber dann kam ihm der Zufall zu Hilfe.

      Er umrundete mehrere Bücherstapel,