der Bewegung alles um. Unter dem Papierhaufen schaute ein schmaler Band hervor. Oberbeck konnte nicht sagen, was seine Neugierde erregte, aber instinktiv bückte er sich danach und zog ihn hervor.
Der Einband war abgegriffen und schmutzig und wies keinerlei Titel oder Verfasser auf. Als er jedoch den Deckel aufschlug, stockte ihm der Atem. Marcus Graecus las er deutlich über dem lateinischen Titel in sehr verschnörkelter Handschrift, und darunter konnte er aus dem umfangreichen Titel zweifelsfrei Liber ignium herauslesen. Das musste das gestohlene Buch aus der Liberei sein, Ursache für den Mord am Nachtwächter, schoss es ihm durch den Kopf. Aufatmend erhob sich der Leutnant. Das war der erste, deutliche Hinweis und bestätigte seine Vermutung, dass der Graf von St. Germain etwas mit dieser Tat zu tun hatte.
In diesem Augenblick hörte er seinen Sergeanten rufen, der gleich darauf das Bibliothekszimmer betrat.
„Leutnant, wir haben interessante Spuren gefunden, die Ihr Euch unbedingt ansehen müsst – könnt Ihr gleich mitkommen?“
Der Leutnant warf noch einen unschlüssigen Blick auf das schmale Buch in seinen Händen, dann legte er es behutsam in die Mitte des Schreibtisches auf die anderen Dokumente und folgte seinem Sergeanten.
Die Jäger standen vor einem Raum neben der Küche, und eine alte Frau sah ihm kopfschüttelnd entgegen.
„Ich weiß nicht, was das alles soll, Herr Offizier. Der Graf ist doch ein hochgestellter Gast unseres Herzogs, und da dringt Ihr einfach in sein Haus ein und stellt alles auf den Kopf? Meiner Treu, man ist ja vor nichts mehr sicher, wenn die Soldaten aber auch alles machen dürfen!“ zeterte die Alte.
Leutnant Oberbeck schenkte ihr keine Beachtung, sondern folgte dem Sergeanten in einen vollkommen leeren, dunklen Raum. Obwohl die schweren Fensterläden weit aufgestoßen waren, hatten die Männer zusätzlich mehrere Kerzen auf dem Boden aufgestellt, und Eggeling deutete auf eine Stelle.
„Hier haben Dinge gestanden, die erst vor einiger Zeit fortgeschafft wurden, denn nirgends gibt es einen Staubabdruck. Aber wenn Ihr einmal ganz dicht an die Wand tretet, Herr Leutnant, werdet Ihr ein weißes Pulver bemerken, das hier verstreut ist.“
Oberbeck ging in die Hocke, um sich die Stelle genauer anzusehen und erkannte eine ganz feine, dünne Linie, die ein kleines Stück von der Wand in den Raum führte, als ob ein undichter Behälter aufgenommen und fortgetragen wurde.
„Eigenartig, was mag das sein?“ Oberbeck feuchtete seinen Zeigefinger etwas an, tippte ihn auf das Pulver und roch daran.
„Nur ein ganz schwacher Geruch wie von Erde, aber das kann auch hier an der Kammer liegen. Moment mal, Sergeant, haltet einmal die Kerze hier ein wenig näher, wo die Türzapfen sind. Seht ihr die feinen Tropfen auf dem Zapfen?“ Der Leutnant wies auf ein paar winzige Flecken, die spritzerartig auf dem Holzzapfen verteilt waren.
„Das sieht aus wie – ja, natürlich, das sind kleine Blutspritzer, da wette ich meinen Monatssold drauf, Leutnant. Sollte Bernhard etwa hier ...?“
Er ließ den Satz unvollendet und sah sich wütend um. Sein Vorgesetzter antwortete nicht, sondern rief über die Schulter:
„Heda, Frau Köchin, was wurde hier gelagert? Lebensmittel für den Grafen oder andere Dinge?“
Die alte Köchin war in der Tür stehen geblieben und starrte die Männer wütend an.
„Hier waren bis gestern noch die Dinge gelagert, die der Graf für seine Experimente brauchte, wie er mir erklärt hat. Ich hatte da nichts zu suchen und war nur mit dabei, als neulich ein Mann allerlei Kram geliefert hat.“
„Glaskolben, Mörser, Porzellangefäße und dergleichen?“
„Mag sein“, brummte die Alte mürrisch, „ging mich nichts an und interessierte mich auch überhaupt nicht. Die Jäger hatten mich ja schon danach gefragt. Ich habe mich nur um das Essen gekümmert und da wenig genug zu tun, da der Graf oft nicht daheim war.“
„Auch über Nacht nicht? Wo hielt er sich da auf, hat er Euch nichts hinterlassen?“
„Ich weiß überhaupt nichts, Herr Offizier. Ich bekam meine Waren in die Küche gebracht und hatte alles zuzubereiten, abzuwaschen und aufzuräumen. Die anderen Räume habe ich nie betreten, und das Essen wurde immer von diesem unheimlichen Begleiter des Grafen abgeholt.“
„Unheimlich? Was ist denn an dem Adlatus des Grafen so unheimlich?“
„Also, wenn der große Kerl plötzlich ganz leise bei mir in der Küche auftauchte, habe ich mich jedes Mal fürchterlich erschrocken. Er ist bestimmt zwei Meter groß und kräftig wie ein Bär. Dabei spricht er nie, sondern grunzt immer nur wie ein Tier. Und Augen hat der, wenn er einen anschaut, da läuft es mir immer ganz eiskalt über den Rücken. Wäre der Graf nicht so großzügig mit seiner Bezahlung, hätte ich schon nach unserer ersten Begegnung gekündigt.“
„Leutnant, schaut doch mal hier zur Tür herüber!“, kam eben eine Stimme vom Hof. Gefolgt vom Sergeanten, begab sich der Leutnant zu den zwei Männern, die sich auf dem Hof aufhalten sollten.
„Hier sind im Holz ganz frische Kratzspuren. Jemand muss mit einem spitzen Messer diesen Spalt genutzt und den Riegel dahinter angehoben haben. Seht Ihr – auch in diesem Holzritz sieht man eine frische Spur.“
Der Leutnant warf einen prüfenden Blick auf die einfache Tür und ihre Verriegelung. Kein Zweifel, hier war vor Kurzem von außen eingebrochen worden.
„Sehr gut gemacht, das ist für mich der eindeutige Beweis, dass Bernhard in der Nacht zurückgekommen ist und sich Zutritt zum Haus verschaffte. Er muss dabei überrascht worden sein und wurde ermordet.“
Sergeant Eggeling knirschte deutlich hörbar mit den Zähnen.
„Wenn ich den Burschen erwische, werde ich ihn mir persönlich vornehmen, das dürft Ihr mir glauben ...“
„Zunächst einmal müssen wir wissen, wer für die Tat im Haus in Betracht kommt – dem Grafen traue ich das nicht zu, eher wohl seinem Adlatus, so, wie ihn die Köchin schildert. Aber jetzt gilt es zunächst, einen Plan für die Rückkehr des Grafen zu machen. Hört mir zu, Sergeant, und erklärt den Männern dann das weitere Geschehen. Kehrt St. Germain zurück, darf er nicht den geringsten Verdacht haben, dass wir etwas in seinem Haus entdeckt haben. Aus diesem Grund werden wir jetzt wie folgt vorgehen.“
Die Jäger traten näher an ihren Leutnant heran, als er mit leiser Stimme seine Anweisungen gab.
Kaum eine halbe Stunde später sah man keine Posten mehr vor dem Haus, alles schien friedlich und ruhig zu sein, bis die Dämmerung schließlich hereinbrach und die Lampenwächter überall am Hagenmarkt dafür sorgten, dass die Laternen ordnungsgemäß entzündet wurden.
Im Palais brannte nur ein schwaches Licht über dem Eingang, die Fenster lagen völlig dunkel und verrieten nichts von der Anwesenheit der Jäger.
18.
Von St. Katharinen schlug es eben die elfte Stunde, als sich ein Fuhrwerk in rascher Fahrt dem Palais näherte. Gleich darauf vernahm der Leutnant, wie der Schlag laut zugeworfen wurde. Erneut fuhr die Kutsche an, wendete offenbar, und die Geräusche vom Hof verrieten, dass sie nun dort abgestellt wurde.
Als die schwere Eingangstür zuschlug, entzündete der Leutnant eine Kerze