Horst Bosetzky

Mörder kennen keine Grenzen


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über kurz oder lang aufgehen würde. So wie die Dinge standen, war ich seinen Attacken völlig wehrlos ausgeliefert, und bei meiner fortgeschrittenen Zerrüttung brachten mich schon einige Mückenstiche aus dem Gleichgewicht. Mit meiner Drohung, ihn wegen des Plagiats anzuzeigen und seine steile Karriere jäh zu unterbrechen, besaß ich zwar gleichsam eine H-Bombe, aber Kolczyk wusste genau, dass ich sie nicht hochgehen ließ, weil wir in diesem Fall beide hopsgegangen wären. Solange er sich also unterhalb einer bestimmten Schwelle bewegte, konnte er mich mit seinen Schrotkugeln jederzeit in Angst und Schrecken versetzen.

      Nehmen wir mal einen Vorfall, der mir recht typisch für Kolczyks Vorgehen erscheint. Und war es auch idiotisch und höchst kindisch, was er da tat, so hatte es zweifellos Methode.

      Es war an einem Mittwoch, kurz vor Weihnachten, und ich war gerade von einer Grippe genesen. Ich stand auf, zum ersten Mal nach drei Tagen, und war noch ziemlich wacklig auf den Beinen. In meinem Kopf dröhnte es noch immer, und ich hatte verdammt trockene Lippen.

      Auf dem Weg zur Toilette erlitt ich einen leichten Schwindelanfall und musste mich sekundenlang gegen die Wand lehnen. Obwohl ich am Abend zuvor meine Beruhigungspille geschluckt hatte, war ich nicht vor drei Uhr morgens eingeschlafen, und auch dann war mein Schlaf noch von wüsten Träumen gestört worden. Ich hatte mit Riesenkraken gekämpft, gefesselt auf glühenden Eisenbahnschienen gelegen und mich im klebrigen Schoß kolossaler Sirenen bis zur Bewusstlosigkeit betätigt.

      Endlich stand ich vor dem Becken, klappte den Deckel hoch und schlug den Bademantel auseinander. Was ich dann sah, war so erschreckend, dass ich vor der Badewanne zusammenbrach.

      Mein Urin war grünlich blau.

      Wie ich später rekonstruieren konnte, hatte Kolczyk seinen Freund Cloward besucht und in unserer gemeinsamen Toilette meine Medikamentensammlung entdeckt. Er hatte sofort geschaltet und ihr zwei spezielle Pillen hinzugefügt. So kam es dann, dass ich später statt meiner Beruhigungspillen sogenannte Desmoid-Pillen schluckte, Pillen, die man gemeinhin zur Magenfunktionsprüfung benutzt. An der Geschwindigkeit, mit der sie sich zersetzen und den Urin verfärben, können die Ärzte den Säuregehalt des Magens feststellen. Zwei Tage vorher hatte sich Kolczyk auf Anraten von Dr. Sievers einer solchen Prozedur unterziehen müssen, und er hatte die übrig gebliebenen Pillen dann noch einige Zeit mit sich herumgetragen ...

      Jetzt erscheint mir das Ganze höchst albern, aber an dem fraglichen Morgen war mir durchaus nicht zum Lachen zumute. Da war ich so angeschlagen, dass mich schon der kleinste Luftzug umwarf. In dem Augenblick, in dem ich den blauen Urin sah, war ich sicher, dass Kolczyk mich vergiftet hatte. Ich träumte ja jede Nacht davon, dass er mich ermorden würde, und bei seiner heimtückischen Kampfesweise erschien es mir als ausgemacht, dass er es zuerst mit einem Gift versuchte.

      Inzwischen hatte ich natürlich bemerkt, dass er mit Cloward befreundet war, aber das hinderte Kolczyk nicht im Geringsten daran, den naiven Amerikaner zum Instrument seiner schmutzigen Pläne zu machen. Offenbar hatte Cloward ihm erzählt, dass ich öfter zu ihm herüberkam, um mir Zigaretten zu borgen. Ich traute mich ja nach Sonnenuntergang kaum noch auf die Straße hinunter, und manchmal gingen mir abends die Zigaretten aus. Da ich mir das Kettenrauchen angewöhnt hatte, war das immer besonders schmerzlich. Und was hatte Kolczyk mit dieser Information angefangen? Er hatte Cloward Zigaretten geschenkt und bei einigen von ihnen kleine Knallkörper in den Tabak gesteckt.

      Nichts ahnend und in die Lektüre der Blechtrommel vertieft, lag ich an einem Sonnabend im Bett, als meine Zigarette mit einem mächtigen Knall auseinander flog und der Tabak wie Schnee von der Decke rieselte. Ein Schuss, war mein erster Gedanke, ein Kopfschuss, aus! Es dauerte Sekunden, bis ich begriff, was los war. Und auch als Cloward in der Tür stand und sich vor Lachen bog, zitterte ich noch immer am ganzen Körper. Es dauerte wohl eine halbe Stunde, bis sich mein Puls wieder normalisiert hatte. Und erst als ich eine halbe Flasche Dujardin ausgetrunken hatte, konnte ich einschlafen. Am nächsten Morgen, als ich dann brechend vor der Toilette kniete und sich mein Herz zusammenkrampfte, glaubte ich wirklich, mein letztes Stündchen habe geschlagen. Aber schweißüberströmt hatte ich mich noch einmal aufrappeln können.

      Der schlimmste Schlag aber traf mich, als ich eines Abends leise die Treppe hinunterging, um meinen Abfalleimer auszuleeren. Ich hörte Cloward im Zimmer von Muttchen Braatz, offenbar sprach er von mir.

      „... ein armer Kerl. Von seinem Arzt weiß ich, dass er an Leukämie leidet. Da ist nichts mehr zu machen!“

      „Mein Gott!“, rief Muttchen Braatz.

      Das hörte ich noch, dann brach ich auf der Treppe zusammen. Ich kam erst wieder zu mir, als mir Dr. Sievers eine mächtige Spritze in den Arm jagte. Als ich meine Befürchtung hervorstieß, lachte er nur und erzählte was von den verschiedenen Phobien, die es gibt. Es dauerte vierzehn Tage, bis meine total verkrampfte Galle wieder einigermaßen arbeitete und ich etwas anderes als Haferschleim zu mir nehmen konnte. Dann stellte ich mich dumm und fragte, ob er Kolczyk kennen würde. Dr. Sievers lächelte: Natürlich, einer meiner besten Freunde ... Also hatte Kolczyk das eingefädelt. Dieses Schwein! Verzeihung, aber ich war völlig fertig, völlig mit den Nerven runter.

      Langsam begann ich mich zu fragen, ob ich mein Parasitentum nicht zu teuer bezahlte. Lange hielt ich diese nervlichen Belastungen nicht mehr aus. Je mehr ich durch drehte, desto schlimmer wurde die Wirkung der nächsten Attacke. Am Ende würde es noch so kommen, dass ich einen Herzschlag erlitt, wenn Kolczyk eine Papiertüte zerplatzen ließ. Ich war zu labil, ich war nicht zum Erpresser geboren, und die Nervenheilanstalt schien mir sicher. Es war schon so weit mit mir, dass ich Eier ohne Wasser zu kochen versuchte, meine Unterhose mit dem Schlitz nach hinten anzog und mich am Telefon mit Kolczyk meldete. Aber einen Weg zurück gab es nicht mehr!

      Auch das Telefon nutzte Kolczyk für seine Zwecke aus, und mitunter klingelte es nachts und eine verzerrte Stimme stieß Drohungen aus oder ich hörte minutenlang nur ein metallisches Klicken, manchmal auch ein hämisches Lachen.

      Ich erzähle Ihnen das nicht, weil ich auf mildernde Umstände oder auf den Paragraphen 51 hoffe, sondern nur, um zur Wahrheitsfindung beizutragen. Aber ich bitte Sie ganz inständig, sich einmal zu fragen, ob Kolczyk nicht ein wenig verrückt gewesen ist, ob er nicht einen kleinen Dachschaden hatte.

      Aber damit nicht genug, Kolczyk schickte mir auch ab und zu recht zwielichtig aussehende Vertreter ins Haus, in denen ich jedes Mal professionelle Killer vermutete. Die meisten wollten mir Möbel, Fernlehrgänge, Versicherungspolicen, Autos und Zeitschriften verkaufen.

      Mittlerweile wurde ich immer sicherer, dass Kolczyk mich schließlich doch ermorden würde, wenn er es nicht schaffte, mich zum Selbstmord zu treiben. Sehen Sie, erst hatte ich ja nur Angst vor einem gewaltsamen Tod haben sollen, um dann – nervlich völlig zerrüttet – Selbstmord zu begehen; jetzt aber, wo sein Rezept zu versagen drohte, musste er zur direkten Aktion übergehen, zum Mord. Anders konnte er mich nicht mehr loswerden, schließlich hatte seine psychologische Kriegsführung nicht zum gewünschten Ergebnis geführt. Zwei Selbstmordversuche reichten mir!

      Am 20. Dezember, einem Mittwoch, geschah es dann. Es mochte gegen sechzehn Uhr sein, ich hatte gerade Nabokovs Lolita vor, als es klopfte.

      „Herein!“ Ich hoffte im Stillen auf eine gut gebaute Kosmetik-Vertreterin, die sich vielleicht zu einer speziellen Vorführung eines Intim-Sprays überlisten ließ. Aber es war nur Muttchen Braatz. Sie hielt ein Päckchen in der Hand, nicht größer als eine Zigarrenkiste.

      „... der Postbote hat es vorhin abgegeben. Und ich wollte mal sehen, wie’s Ihnen geht. Huch, es schellt schon wieder!“ Damit eilte sie nach unten.

      Es war ein ganz gewöhnliches Päckchen, hellbraunes Packpapier, Tesafilm, zwei Briefmarken. Ich wog es kurz in der Hand, es mochte 500 Gramm wiegen, vielleicht auch ein wenig mehr. Ein Absender war nicht vermerkt – wer sollte mir auch schon ein Päckchen schicken. Aber irgendwie wurde ich jetzt stutzig.

      Da! Ich hörte ein leises Ticken.

      „Eine Höllenmaschine!“ Ich federte hoch, riss die Tür auf, stürzte auf den Korridor, griff meinen Mantel und sprang die Treppen hinunter. Nur weg hier, sollte doch der ganze Schuppen in die Luft fliegen! Wenn