haben mochten. Drei Männer waren es, und sie wirkten jetzt erschreckend lebendig.
Die Augen des einen richteten sich so intensiv auf mich, dass mir ein eisiger Schauder über den Rücken lief. War das vielleicht in irgendeiner Form noch immer Leben zu nennen?
Seltsamerweise hatte ich keine Angst mehr, weil ich aus irgendeinem Grund wusste, dass die drei mir nichts tun wollten. Doch sie mussten selbst einen Grund haben, um mich mitten in der Nacht aufzuhalten.
„Was wollen Sie?“, machte ich mühsam den Versuch einer Kommunikation. „Können Sie vielleicht reden?“
Ein leises spöttisches Lachen erklang in meinem Kopf.
„Warum denn nicht, Sie können es doch auch“, kam die ironische Gegenfrage. „Unsere Körper mögen zwar schon lange tot sein, doch wir leben in gewisser Weise noch immer. Ihr Vater könnte Ihnen das bestätigen.“
Ja, Dad hatte mir etwas davon erzählt, aber erst jetzt wurde mir klar, dass ich nie so ganz geglaubt hatte, dass er nicht doch einem Trugbild aufgesessen war. Jetzt musste ich es aber glauben, denn ich sah die Geister mit eigenen Augen, wenn ich nicht gerade selbst träumte. Unauffällig kniff ich mich selbst in den Arm. Es schmerzte, also träumte ich nicht.
„Was wollen Sie von mir?“, wiederholte ich meine Frage mit belegter Stimme. „Ich bin ja nicht erst seit gestern hier im Haus. Warum haben Sie nicht schon früher Kontakt aufgenommen, wenn es etwas gibt, was Sie von mir wollen?“
Ich versuchte das Gesicht des Sprechers zu erkennen und war erstaunt, dass mir das gelang. Er mochte zu Lebzeiten etwa vierzig Jahre alt gewesen sein, besaß graue Augen, beherrschte, schmale Gesichtszüge, eine scharfkantige gerade Nase und einen Mund mit vollen Lippen. Quer über die linke Wange zog sich eine Narbe, die in diesem seltsamen Geisterlicht deutlich und auffällig schimmerte.
„Wir hatten vorher nicht die Möglichkeit, uns an Sie zu wenden, Mylady, weil Sie Ihre Fähigkeiten nicht erkannt hatten. Ich hätte allerdings nie gedacht, dass ausgerechnet eine Raubkatze dafür sorgen würde, Ihre geistigen Gaben zu stimulieren.“
„Wie bitte? Was? Ich glaube, hier verstehe ich jetzt gar nichts mehr“, beklagte ich mich, und mit jeder Sekunde kam es mir weniger verrückt vor, dass ich mich mit Geistern unterhielt. Ich verlor sogar das Gefühl des Andersartigen im Bezug auf das Aussehen.
Die Körper hatten sich weiter verdichtet, und wäre das überirdische Strahlen nicht gewesen, wäre ich versucht gewesen, an ganz normale Menschen zu glauben. Der Mann vor mir streckte den Arm aus und machte eine Bewegung zur Bibliothek hin.
„Ich glaube, ich sollte Ihnen einiges erklären, aber dazu müssen wir doch nicht hier im Flur stehenbleiben. Machen wir es uns doch bequem, oder Sie zumindest.“
Die leuchtenden Körper gaben genug Helligkeit ab, um mir den Weg zu erhellen. Die unwirkliche Situation nahm ihren Fortgang, als ich in einem der alten Ledersessel saß und der Geist sich mir gegenüber niederließ.
„Sie müssen eine Menge Fragen haben, und ich will versuchen, diese zu beantworten. Zunächst möchte ich mich vorstellen. Ich bin Lawrence Earl of Harrington and Boundary Castle, oder vielmehr war ich das vor etwa fünfhundert Jahren. Meine beiden Begleiter sind Godfrey of Arrandey und Jean-Pierre de Bouchard. Wir sind – wir waren Mitglieder des Temple of Eternity Truth. Manche Leute sagten, es handelte sich um die einzig legitime Nachfolgerschaft der alten Tempelritter, wir als Eingeweihte sahen das etwas anders. Durch das Wissen, das wir über Jahrhunderte bewahrt haben, stellten wir uns gegen die Lehren der Kirche und wurden als Ketzer und Hexer gebrandmarkt und verfolgt. Eine grausame Zeit war es, und die Kirche hat keine Rücksicht auf Leben genommen, wenn sie der Überzeugung war, es würde es ich um einen Gegner der kirchlichen Lehre handeln. Mittlerweile wissen wir, dass wir uns damals auch nicht besser benommen haben als unsere Feinde. Damals –“, er zuckte die Achseln und machte eine unbestimmte Geste in die Luft, „zum Zeitpunkt unseres Todes, standen wir der Verfolgung selbst nur noch mit Gewalt gegenüber. Dieses Haus hier war unser Versammlungsort, unser Hauptquartier, unsere Zuflucht, eine Art Komturei, wenn Sie so wollen, oder ein Tempel. Von unserer Gruppe lebten nur noch wenige, was auch daran lag, dass der Bischof die hiesigen Clansmen und die Bevölkerung aufgehetzt und damit auf seine Seite gebracht hatte. Niemand von uns konnte sich noch auf offener Straße sehen lassen, gleich stürzten sich aufgebrachte Menschen auf uns, weil wir in Acht und Bann gelegt worden waren. Die wenigen, die bereit waren, uns zu helfen, überlebten ihre Hilfsbereitschaft ebenfalls nicht, so gab es bald niemanden mehr, der den Mut aufbrachte, einem von uns Zuflucht zu gewähren. Es kam zum offenen Aufstand gegen uns, obwohl wir mit den Menschen immer ausgekommen waren und ihnen häufig sogar geholfen hatten. Unser Generaloberst gab den Befehl abzuziehen. Wie aber sollten wir unsere Lehre und unser Wissen weiter verbreiten, wenn uns niemand glaubte? Besonders meine Freunde und ich konnten nicht einsehen, dass es klüger wäre, einige Zeit zu warten, bis sich der Volkszorn wieder gelegt hatte. Jedoch mussten wir den Anweisungen Gehorsam leisten. Wir versteckten all unsere Schätze, die in erster Linie aus Büchern und kostbaren sakralen Gegenständen bestanden, und flohen förmlich vor dem Zorn der Bevölkerung. Unterwegs trennten wir uns, meine beiden Kameraden und ich bildeten eine Gruppe, die fest entschlossen war, gegen die Anweisungen zu rebellieren und uns für die erlittene Schmach zu rächen. Wir kehrten um und richteten selbst ein Blutbad an. Die Clansmen hatten keine Chance gegen uns, wir haben sie förmlich abgeschlachtet, und schließlich begingen wir den größten Frevel, wir töteten den Bischof, obwohl uns eigentlich hätte klar sein müssen, dass die höhere Gerechtigkeit sich schon um uns kümmern würde. Unmittelbar nach diesem Mord brach ein schreckliches Unwetter los, und wir wurden nacheinander von der göttlichen Gerechtigkeit eingeholt. Noch während wir starben, machte man uns klar, dass wir lange Zeit keine ewige Ruhe finden würden, zu groß war unsere Schuld. Es gab nur die Hoffnung, dass eines Tages jemand kommen würde, der in der Lage sein sollte, unser Wesen und unser Anliegen zu erfassen. Wir haben es immer wieder versucht, denn in Ihrer Familie gibt es durchaus seit langen Jahren einen Hang zum Übersinnlichen. Zum anderen ist es so, dass es uns sehr schwer fällt, dieses Gebäude zu verlassen. Es ist nicht unmöglich, aber es ist schwierig. Wir konnten also nirgendwo anders einen Helfer suchen und waren darauf angewiesen abzuwarten, bis sich endlich ein Mensch fand, der sich nicht selbst für verrückt hielt, nur weil er Kontakt mit uns aufnehmen konnte.“
Ich hatte die ganze Zeit über dieser schier unglaublichen Geschichte zugehört und war längst nicht sicher, ob ich die Sache glauben oder an meinem Verstand zweifeln sollte. Irgendwie gewann dann aber doch die praktische Seite in mir die Oberhand.
„Das ist ja eine herzzerreißende Story, und in gewisser Weise tun Sie mir sogar leid. Was aber hat das mit meinem Vater oder mir zu tun?“, erkundigte ich mich sachlich.
„Ihr Vater gehört zu den besonderen Menschen, die in der Lage sind ihre, Vorurteile beiseite zu legen und offenbar auch mit einem ungewöhnlichen Phänomen umzugehen. Er ist jedoch nicht geeignet, für das spezielle Problem, mit dem wir jemanden konfrontiert müssen – vielmehr hat er es sogar abgelehnt, weil er sich dieser Aufgabe nicht gewachsen fühlte.“
„Und das wäre?“
„Wir möchten endlich erlöst werden.“ Die Worte standen einfach im Raum, und ich wusste schlagartig, dass ich es sein würde, die dafür zu sorgen hatte, dass es auf Rosemont Hall nicht mehr spukte. Aber warum ich? Es gibt Milliarden Menschen auf der Erde. Warum ich? Das wollte ich nicht, nein. Ebenso wie mein Vater fühlte ich mich dieser Aufgabe nicht gewachsen. Ich hatte mein Leben, das ich mir nach eigenen Vorstellungen eingerichtet hatte, ich war unabhängig von Name, Rang und Geld. Was wollten diese Gestalten also von mir? Wie sollte ausgerechnet ich ihnen helfen? Immerhin hatten sie schon fünfhundert Jahre lang nach jemandem gesucht, der dazu in der Lage war. Warum sollten sie jetzt ausgerechnet bei mir fündig werden? Meinetwegen konnten sie gern weitere fünfhundert Jahre suchen.
Vermutlich konnte man mir meine Gefühle und Vorbehalte am Gesicht ablesen, denn ein Lächeln zeichnete sich auf den Lippen von Sir Lawrence ab. Konnten Geister lächeln? Naja, warum nicht, da sie ja offenbar auch in der Lage waren zu reden, oder wie auch immer man das nennen wollte, wenn sich die Gedanken direkt in meinem Kopf formten, ohne dass meine Ohren sie aufnahmen.