sie mit einer einfachen Schleife zusammengefasst hatte. Sie trug eine Hose aus blauem Drillich und ein weißes Hemd, beides von Jesse, ihrem Mann – und beides viel zu groß. Aber bei der Arbeit mit den Schafen waren diese Sachen einfach praktischer als ein Kleid.
Als sie die Reitschar auf dem nahe gelegenen Hügel bemerkte, wusste sie, dass das nichts Gutes bedeuten konnte.
Zu dumm, dass Jesse ausgerechnet heute in die Stadt reiten musste, um Besorgungen zu machen!, dachte sie, während das Entsetzen für einige Momente von ihr Besitz ergriff und sie lähmte.
Sie erkannte McLeish, den Rancher, unter den Reitern und wusste sofort, was das bedeutete.
McLeish hatte schon einiges versucht, um sie und Jesse aus der Gegend zu vertreiben, aber es war ihm bisher nicht gelungen. Sie hatten die Zähne zusammengebissen und den Schikanen des Rinderzüchters, so gut es ging, standgehalten.
Aber jetzt war es so weit, jetzt wollte McLeish offensichtlich ein für allemal reinen Tisch machen.
Lynn sah, wie ihre kleine Tochter Alice unbekümmert hinter einem der Lämmer herrannte und es an den Ohren zu ziehen versuchte. Sie ahnte nichts von der Gefahr, die ihnen drohte.
„Alice!“, rief Lynn Nelson. „Alice! Komm ins Haus!“
„Warum denn?“
„Frag nicht, sondern tu, was ich dir sage!“
Jetzt bemerkte auch Alice die Reiter auf dem Hügel. Sie lief zu ihrer Mutter, die sie zum Haus führte.
„Ma, was wollen diese Männer von uns?“
Lynn antwortete nicht, sondern schob ihre Tochter durch die Tür. Dann war sie mit zwei schnellen Schritten dort, wo die Winchester an der Wand hing. Sie nahm die Waffe an sich und suchte anschließend nach Munition.
Als sie sie gefunden hatte, sah sie Alice am offenen Fenster stehen und nach draußen blicken.
„Geh vom Fenster weg, hörst du! Leg dich in die Ecke hinter dem Schrank! Flach auf den Boden!“ Sie wechselten einen kurzen Blick miteinander. Die Tochter spürte wohl, dass jetzt nicht die Zeit war, um Widerspruch zu üben. Sie gehorchte wortlos und mit vor Schreck geöffnetem Mund.
Das Geräusch von zwei Dutzend galoppierenden Pferden war dann zu hören und ließ Lynn mit der unterdessen geladenen Winchester am Fenster Stellung beziehen, nachdem sie zuvor hastig die Tür verriegelt hatte.
„Ma, sind das die Männer, die nicht wollen, dass wir Schafe haben?“, rief die kleine Alice aus ihrer Deckung heraus.
„Ja“, antwortete Lynn knapp.
Aber ihre Gedanken beschäftigten sich mit ganz anderen Dingen.
Die Holzwände sind nicht sehr dick!, überlegte sie. Jesse und sie hatten das Haus gegen Regen, Wind und Kälte gebaut, aber nicht als eine Festung, die geeignet war, schießwütigen Cowboys standzuhalten!
Wenn geschossen wird, dann werden die Bleikugeln das dünne Holz durchschlagen, als wäre es Papier!, dachte sie.
Sie sah die Reiter herankommen, sah ihre grimmig entschlossenen Gesichter und erschauderte.
Aber Lynn Nelson war mindestens ebenso entschlossen wie ihre Gegner. Zu dumm, dass ihr Mann ihr in diesem Augenblick nicht beistehen konnte, aber auch ohne ihn würde sie sich zu wehren wissen!
Jesse hatte ihr den Umgang mit Waffen beigebracht. Sie war keine Frau, die sich widerstandslos in ihr Schicksal fügte.
Sie werden es zunächst auf die Schafe abgesehen haben!, überlegte sie.
Die Schafe stoben auseinander, als die Reiter herankamen.
In einiger Entfernung vom Farmhaus zügelte Dan McLeish sein Pferd, und die Männer folgten seinem Beispiel.
„Nelson!“, rief McLeish in barschem, befehlsgewohntem Ton.
Lynn antwortete nicht.
Wenn sie wissen, dass Jesse nicht da ist, ist mein Stand noch schwerer!, dachte sie. So blieb ihnen ein Rest von Ungewissheit.
„Nelson, wo sind Sie? Wo verkriechen Sie sich?“
Lynn packte ihre Waffe fester. „Nelson, ich weiß, dass Sie hier irgendwo stecken! Schauen Sie sich gut an, was jetzt geschieht! Ich habe Sie gewarnt, Sie wollten nicht hören!
Was jetzt geschieht, haben Sie sich selbst zuzuschreiben!“
Er wandte sich an seine Cowboys. „Los, Männer, fangt an!“
Sie zogen ihre Revolver aus den Holstern und ballerten wie wild auf die Schafe, die in heller Panik durcheinander liefen. Jemand zündete die Scheune an, ein anderer steckte den Pferdewagen in Brand.
Lynn Nelson legte kurz an und schoss. Einer von McLeishs Männern sank tödlich getroffen aus dem Sattel, einen weiteren erwischte sie am Waffenarm, so dass er laut aufschrie und seinen Revolver fallen ließ.
„Da hinten!“, rief er mit vor Schmerz und Wut verzerrtem Gesicht. „Am Fenster!“
Lynn duckte sich rasch, aber der Geschosshagel, den McLeishs Männer in ihre Richtung abgaben, durchschlug die dünne Bretterwand, als wäre sie nichts. Sie konnten Lynn nicht sehen, sondern schossen einfach blind drauflos.
Zwei Kugeln fuhren ihr in den Bauch. Wie gelähmt sah sie, wie sich das weiße Hemd rot färbte. Ein weiterer Schuss traf sie an der Schulter und riss sie herum. Zunächst war da der Schmerz, der dann aber zurücktrat. Sie spürte, wie ihr die Sinne zu schwinden begannen.
Nein!, schrie es in ihr. Es durfte noch nicht zu Ende sein! Es durfte einfach nicht!
Sie spürte, wie ihr das Gewehr aus der Hand glitt und sie an der Bretterwand zu Boden rutschte.
Sie sah Alice in ihrer Ecke hocken, den Mund vor Entsetzen weit aufgerissen. Schon um des Kindes willen durfte sie jetzt nicht sterben! Sie durfte nicht …
„Ma!“, hörte sie die Kleine rufen.
Es war das letzte, was sie hörte.
Alles verstummte. Es wurde dunkel vor ihren Augen.
3
Es war Jesse Nelson unter den gegenwärtigen Umständen nie ganz wohl dabei, seine Familie allein auf der Farm lassen zu müssen – und wenn es nur für wenige Stunden war.
McLeish war unberechenbar.
Es war unmöglich vorherzusagen, welche Gemeinheit ihm als nächste einfallen würde, um sie zu schikanieren.
Diesem Mann war, so schien es, jedes Mittel recht, um sie aus der Gegend zu vertreiben.
Zunächst hatte er es mit Geld versucht, aber Jesse Nelson war nicht käuflich. Dann hatte der Rancher härtere Bandagen benutzt.
Einige von McLeishs Cowboys hatten ihm aufgelauert und ihn verprügelt; man hatte ihm seine Schafe auseinander getrieben, so dass er sie sich weit verstreut in der Umgebung wieder hatte zusammensuchen müssen, und vor etwa einer Woche hatte Nelson einen Mann überrascht, der versuchte, seiner Familie das Dach über dem Kopf anzuzünden.
Nelson hatte sich an den Sheriff gewandt, dessen Aufgabe es gewesen wäre, hier für Recht und Ordnung zu sorgen, aber der stand auf Seiten von McLeish und hatte wenig Neigung, sich mit dem mächtigen Rancher anzulegen.
Sheriff Duggan machte einfach die Augen zu und nahm nicht zur Kenntnis, was McLeish da für ein hässliches Spiel inszenierte.
Von anderen Leuten in der Gegend hatte Nelson erfahren, dass Duggan in früheren Fällen ähnlich verfahren war. Er hatte nie etwas dagegen unternommen, dass McLeish bisher alle Siedler und Schafzüchter davongejagt hatte, obwohl er kein Recht dazu besaß.
Aber Nelson war zäh und wild entschlossen, sich nicht vertreiben zu lassen, denn abgesehen von McLeishs Anwesenheit gefiel ihm dieses Land.
Er