Frank Callahan

Der Marshal kommt: Goldene Western Sammelband 12 Romane


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hatten sie nach und nach verkaufen müssen.

      Das Pony ließ ein störrisches Wiehern hören. Der Junge wusste nun, dass es zwecklos war, das Tier weiter antreiben zu wollen. Es würde also nur gemütlich vorangehen.

      Der Junge ließ die kleine Farm hinter sich.

      Das Haus wurde kleiner und kleiner, bis es hinter einigen Hügeln verschwand. Es war später Nachmittag, und in wenigen Stunden würde die Dämmerung über das Land hereinbrechen.

      Der Junge überlegte, wohin er reiten sollte.

      Die nächste Siedlung war einen halben Tagesritt entfernt. Es lohnte sich nicht mehr, dorthin aufzubrechen.

      Er spürte, wie ihm die Sonne auf den Nacken brannte.

      Es war noch immer sehr heiß, die Luft flimmerte sogar etwas.

      Der Junge nahm die Hand wie einen Schirm vor die Augen und blickte in die Ferne.

      Dann sah er irgendwo in der Nähe des Horizonts ein Pferd, das sich allerdings kaum von der Stelle bewegte. Es schien fast, als sei das Pferd reiterlos.

      Der Junge strengte seine Augen bis auf das äußerste an, aber er konnte beim besten Willen nicht zweifelsfrei erkennen, ob es sich um einen Reiter handelte, der in tief gebeugter Haltung im Sattel hing, oder ob es ein herrenloses Packpferd war.

      Einen Moment lang zögerte er, das Pony vorwärts zu treiben.

      Seine Mutter hatte ihn vor Gesindel gewarnt, das sich in der Gegend herumtrieb.

      Möglicherweise war dieses punktgroße Gebilde am Horizont nichts anderes als ein Strauchdieb, der nur darauf wartete, ihm das Pony abnehmen zu können, um es bei nächster Gelegenheit zu verkaufen.

      Aber die Neugier war stärker.

      Es kam schließlich nicht allzu häufig vor, dass in der Umgegend irgendetwas geschah, das über den alltäglichen Trott hinausging.

      Als sich der Junge dem fremden Pferd weiter näherte, sah er, dass tatsächlich ein Reiter im Sattel hing!

      Man hatte ihm offenbar übel mitgespielt. Er schien verwundet oder war vielleicht sogar schon tot.

      Jedenfalls rührte er sich nicht und machte auch keinerlei Anstalten, die Richtung, in die sein Pferd lief, irgendwie zu beeinflussen.

      Gegenwärtig kaute das Tier etwas von dem trockenen Präriegras.

      Es hat Hunger!, dachte der Junge. Zweifellos war es schon geraume Zeit her, seit es seine letzte Futterration bekommen hatte.

      Der Junge zügelte das Pony.

      Er war in diesem Land aufgewachsen, und das hatte ihn gelehrt, dass man immer und überall wachsam sein musste, wenn man überleben wollte.

      Wochenlang konnte es scheinen, als würde die Zeit still stehen, als würde gar nichts passieren … Und dann war man von einem Augenblick zum anderen in tödlicher Gefahr! Ein wildes Tier, eine Schlange, ein Strauchdieb … Früher hatte es auch Indianerüberfälle gegeben, aber das war lange her, fast so lange, wie er lebte.

      Der Junge runzelte misstrauisch die Stirn.

      Es war eine Masche mancher Gauner, sich verletzt an den Wegesrand zu legen, zu warten, bis jemand vorbeikam, der ihm zu helfen versuchte, und diesen dann auszurauben.

      Manchmal, wenn der Junge mit seiner Mutter in die weit entfernte Stadt kam, um zum Beispiel Saatgut einzukaufen, dann besorgte die Mutter hin und wieder eine Zeitung. Da standen solche Dinge drin, er wusste also Bescheid.

      Vorsichtig umrundete der Junge den Fremden.

      Der Mann hatte seine Augen geschlossen, als ob er schlief. An seiner rechten Schulter hatte er eine böse Wunde, wahrscheinlich eine Schussverletzung. Wenig später sah der Junge dann die Wunde an der Seite des Fremden, die noch hässlicher aussah.

      Vielleicht lebt er gar nicht mehr!, dachte der Junge. In diesem Fall würde er seiner Mutter vorschlagen, das Pferd an sich zu nehmen. Dann brauchte das Pony nicht mehr den schweren Pflug zu ziehen.

      10

      Die Frau war gerade dabei, Wasser aus dem Brunnen zu schöpfen, als sie ihren Sohn zurückkehren sah.

      Doch er war nicht allein.

      Er führte ein Pferd mit sich, in dessen Sattel ein regloser Mann hing.

      „Ma, schau mal!“, rief der Junge, während die Frau die Stirn runzelte und einen zunehmend ärgerlichen Eindruck machte.

      „Was soll das, Tom!“

      „Er ist schwer verletzt, Ma! Ich glaube, man hat ihn angeschossen! Er ist bewusstlos und braucht Hilfe!“

      „Tom, du weißt, dass wir kaum genug für uns selbst haben!“ Sie stellte den schweren Holzeimer auf den Boden und schüttelte energisch den Kopf. „Es geht nicht. Du hättest ihn dort lassen sollen, wo du ihn gefunden hast!“

      „Ich glaube, dann würde er bald sterben, Ma. Aber er lebt noch; ich habe seinen Puls gefühlt!“

      „Jeder muss für sich selbst sorgen, Tom, das weißt du doch! Es geht uns selbst nicht gut, wie sollen wir da noch für diesen Mann sorgen können?“

      „Vielleicht stirbt er ja“, erwiderte der Junge kühl. „Und dann können wir uns sein Pferd nehmen.“

      Die Frau sagte nichts.

      Sie trat nun an das Pferd des Fremden heran und musterte ihn. Jemand hatte diesem Mann sehr übel mitgespielt. Wer mochte das getan haben? Banditen?

      Indianer?

      Vielleicht stirbt er, dachte die Frau, dann haben wir das Pferd. Aber vielleicht wird er auch wieder gesund …

      Ein Mann auf der Farm wäre nicht schlecht!, kam es ihr in den Sinn.

      Sie atmete tief durch. Es blieb eine Menge an Arbeit liegen. Sie konnte nicht alles schaffen. Der Junge half zwar, wo er konnte, aber er war eben noch ein Kind.

      „Was ist nun?“, fragte der Junge.

      „Fass mit an, Tom! Wir bringen ihn ins Haus!“

      11

      Langsam begann sich der Nebel aus dumpfer Bewusstlosigkeit aufzulösen, der sich über ihn gelegt hatte.

      Das Erste, was Jesse Nelson wahrnahm, war das Tageslicht. Es drang durch seine Augenlider und färbte sich dabei rot. Dann, noch bevor er die Augen geöffnet hatte, kamen die Erinnerungen – und mit ihnen die Schmerzen. Er bemerkte, dass seine Wunden mit notdürftigen Verbänden versorgt waren. Nelson musterte den Raum, in dem er sich befand. Es war eine einfache, enge Wohnstube. Der Ofen schien fast unverhältnismäßig groß zu sein, so dass es fast den Eindruck machte, als habe man das Haus um ihn herum gebaut.

      Nelson sah den Rücken einer Frau. Die ungepflegten, schweißverklebten Haare fielen ihr unfrisiert über den Rücken. Ihre Kleidung bestand aus vor Dreck starrenden Röcken und einer mehrfach geflickten Bluse.

      Sie drehte sich und schaute zu ihm herüber. Ihr Gesicht war hart. Es war das Gesicht einer Frau, die es nicht leicht gehabt hatte.

      Als sie sah, dass Nelson erwacht war, zog sie die Augenbrauen in die Höhe.

      Misstrauen stand deutlich in ihren Zügen, selbst jetzt, da er fast hilflos dalag. Sie kam ein paar Schritte näher, zunächst zögernd, dann entschlossener.

      Nelson hob den rechten Arm und blickte auf den Verband seiner Schulter. Aber dann verzog er das Gesicht vor Schmerz und ließ den Arm schleunigst wieder sinken. Es tat höllisch weh. Es war eine gewohnheitsmäßige Bewegung gewesen, er hatte zunächst gar nicht darüber nachgedacht.

      „Wie geht es Ihnen?“, fragte die Frau. Nelson erwiderte ihren Blick, der jetzt nicht mehr ganz so hart und unnahbar war wie zu Anfang.