Frank Callahan

Der Marshal kommt: Goldene Western Sammelband 12 Romane


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weiter gewollt.“

      Roger geht hinaus. Als er in den Hof kommt, sieht er seinen Bruder nach Osten reiten. Also nicht in die Stadt — noch nicht.

      Einen Moment überlegt er, ob er ihm folgen soll. Dann verwirft er den Gedanken. Jetzt wird Andy nicht schon wieder zu den fernen Bergen reiten, über denen gerade die Sonne rot leuchtend aufsteigt.

      13

      Als es dunkel wird, kommen fünf Reiter in die Stadt. Sie kommen sehr langsam. Sie sehen stoppelbärtig und abgerissen aus. Sie halten vor dem Haus des Marshals und steigen ab. Zwei halten die Pferde. Die drei anderen steigen die Stufen hinauf.

      Da kommt Darcan aus seinem Haus. Noch ehe er etwas sagen kann, schieben ihn die Männer wieder hinein. Die Tür schlägt zu.

      Die beiden Kerle bei den Pferden wenden sich den Männern zu, die auf der anderen Straßenseite im Schatten des Vordaches stehengeblieben sind.

      „Na, ihr Gaffer?“, bellte der eine. „Weitergehen!“

      Niemand rührt sich.

      Da zieht der zweite seinen Colt. Ein dumpfes Knallen zieht durch die Stadt. Ein langer Holzfetzen wird von einer Vorbaustütze gerissen.

      Die Männer laufen auseinander. Die beiden Banditen lachen.

      „Alles noch in Ordnung, Freunde!“, ruft der eine.

      Im gleichen Moment fällt im Office des Marshals ein Schuss. Die drei Kerle kommen heraus.

      „Los!“, ruft einer. „Alles klar!“

      Sie schwingen sich auf die Pferde und sprengen aus der Stadt hinaus. Staub hängt in der Luft. Niemand hält die Reiter auf und niemand schießt hinter ihnen her.

      Als der Hufschlag verklungen ist und der Staub sich langsam senkt, steigen ein paar Männer zur Fahrbahn hinunter und recken die Köpfe, um die Tür zum Office in der Dunkelheit sehen zu können. Ein Geräusch ist von dort gekommen. Der Marshal kommt aus der Dunkelheit. Er schwankt, als er am Rande des Stepwalks steht. Dann fällt er nach vorn und landet im Straßenstaub.

      „Holt den Doc!“, ruft eine gellende Stimme. „Schnell, den Doc!“

      Ein Mann kniet neben dem Marshal nieder.

      „Wegen einhundertsechzig Dollar“, hört der Mann den Marshal abgerissen sagen. Dann schlägt dessen Kopf auf den Boden.

      Der Doc kommt angehastet. Schreie sind überall in der Stadt zu hören. Der Doc kniet sich in den Staub. Als er aufblickt, wissen alle, was er jetzt sagen wird.

      „Tot.“

      14

      „Er könnte noch leben, wenn er das Geld nicht gehabt hätte“, hörte Roger Keefe den Stallmann neben sich sagen, während er auf die Straße hinausblickt.

      „Wollen Sie mir einen Vorwurf machen?“, fragt Roger bitter.

      „Nein, Mister Keefe. Aber das sind die Tatsachen. Es waren seine letzten Worte. Er ist nur wegen dem Geld umgebracht worden. Seltsam. In der Bank ist mehr zu holen.“

      „Vielleicht wirbelt ihnen das zu viel Staub auf“, vermutet Roger. „Schließlich haben viele Leute Geld bei der Bank. Unter anderem mein Vater, der in solchen Dingen keinen Spaß versteht. Die Banditen mussten damit rechnen, den Tresor vielleicht nicht öffnen zu können. Und wenn ja, würden sie todsicher verfolgt. So nicht. Aber Sie haben recht. Es war meine Schuld. Ich hatte nicht damit gerechnet.“

      „Womit?“

      „Dass sie es so schnell erfahren und es unbedingt zurückhaben wollen. — Ist mein Bruder in der Stadt?“

      „Ja.“

      „Wo?“

      „Sicher im Saloon. Ich wüsste keinen anderen Ort, der ihn interessiert.“

      „Wissen Sie, ob er seine Schulden bei Rower bezahlt hat?“

      „Damit will ich nichts zu tun haben.“

      Roger lächelt bitter, als er zum Hoftor geht. Fünf Banditen ritten kaltlächelnd in die Stadt, schossen den Marshal nieder und holten ihr Geld zurück. Es scheint sich also doch um die Rinderdiebe zu handeln. Und die Leute standen dabei und ließen sie fortreiten. Vielleicht waren sie heilfroh, als der Hufschlag verklungen war.

      „Feiges Pack“, murmelt er, als er die Straße überquert und der Krach aus dem Saloon ihm wie eine Welle entgegen brandet. Er muss immer wieder an Andy denken, der nach Osten ritt, sobald er davon erfahren hatte, dass die einhundertsechzig Dollar hier in der Stadt sind.

      Sein Verdacht ist nun wirklich eine Gewissheit. Eine Gewissheit ohne Beweise. Und es ist ihm, als würde aus der Dunkelheit der Hauswand Meek herauswachsen und ihn zwingend ansehen.

      „Ja“, sagt er laut.

      Das Gesicht ist verschwunden. Kalt, morsch und rissig grinst ihm die kahle Wand entgegen. Und der Krach hat sich verstärkt.

      Dann steht er vor der Tür. Rauchschwaden ziehen ihm entgegen und kreisen unter den vielen Lampen, die an perlenverzierten Schnüren von der hohen Decke hängen. Das Hämmern eines Orchestrions vermischt sich mit dem Gesang aus einer rauen Mädchenkehle.

      Roger schiebt sich hinein. Der Geruch von Rindern, Pferden und Schweiß drängt ihm entgegen. Der Fuselatem eines Mannes streift ihn.

      Zum Saufen haben sie Mut, denkt er bitter. Feiges Pack.

      Er schiebt sich an dem Mann vorbei und sieht das Mädchen durch den Rauch auf der kleinen Bühne. Sie ist fast groß, hat rot leuchtendes Haar und ein sehr weißes, transparentes Gesicht. Sie heißt Dallas. Zumindest nennt sie sich so. Vielleicht weiß Andy es besser. Er ist mit ihr befreundet, soweit da von Freundschaft die Rede sein kann.

      Roger geht langsam weiter. Er erblickt den Keeper, der ihn einen Moment anstarrt und bleich wird. Ob er Ärger riecht? Der Keeper wendet den Blick schnell ab.

      Roger schiebt sich durch die Tischreihen und betritt den Spielsaal, den ein schwerer Vorhang abteilt. Er muss daran denken, dass der Keeper sein Geschäft versteht. Er sieht mehrere Männer der Ranch. Vielleicht haben sie sich genauso freigenommen wie er selbst und Andy. Einer will sich an ihm vorbeischieben, aber Roger hält ihn an der Schulter fest.

      „Wegen mir brauchst du nicht zu gehen“, sagt er. „Vielleicht sollte ich das als Sohn des Bosses nicht sagen. Aber mir stinkt die Ranch.“

      „Ich ... ich hatte etwas zurückgebracht, was der Storekeeper zu viel lieferte.“

      „Dann bleib doch da.“ Roger geht weiter. Er hört, wie der Gesang abreißt und das Orchestrion mit einem Misston verstummt.

      „Ein neuer Einsatz“, sagt eine Stimme.

      Roger lehnt sich gegen einen Pfosten. Er kann Andy jetzt sehen. Er sitzt direkt vor ihm, hat ihn aber offenbar noch nicht bemerkt. Mit ihm sitzen der Schreiner Rower und der Blackschmied am Tisch. Andys Hände zittern.

      „Sie haben die Revanche haben wollen, Mister Keefe“, meint der Schreiner. „Ich hatte nie mehr mit Ihnen spielen wollen. Aber eine Revanche darf man nicht ausschlagen.“

      „Ich weiß, verdammt!“, schreit Andy. „Los, Rower, geben Sie!“

      „Ich habe schon wieder einen Schuldschein von Ihnen genommen!“

      „Das weiß ich, zum Teufel! Sie werden noch mehr nehmen. Oder ist Ihnen die Ranch meines Vaters nicht gut genug?“

      „Ihres Vaters? Er wird nicht dafür geradestehen, denke ich.“

      „Haben Sie Ihr Geld nicht immer bekommen?“

      „Doch.“

      „Dann geben Sie!“

      Der Schreiner mischt