Monika Loerchner

Hexenherz. Goldener Tod


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Zu meinem Verdruss hat sich allerdings Corey irgendwie mit dazu gemogelt. Völlig nichtsnutzig, wie ich Adrian auch gesagt habe. Er hat mich freundlich darauf hingewiesen, mich nicht nach meiner Meinung gefragt zu haben.

      »Ach. Und ich dachte, ich bin hier die Verhandlungsführerin?«, hatte ich schnippisch ins Feld geführt.

      »Nun ja«, hatte Adrian erwidert, »das bedeutet aber nicht, dass du allein zurechtkommst.«

      »Wie bitte?«

      »Sieh es so, Helena: Du bist unsere Frau für die Augenhöhe. Für den Mut und die Tapferkeit. Fürs Standhaftbleiben und fürs schnelle Reagieren. Aber bei der Göttin, du bist nicht unsere Frau für Diplomatie!«

      Das hatte ich wohl eingesehen und mich zähneknirschend mit dem – zugegeben mittlerweile recht wortgewandten – Rebellen abgefunden. Wobei der Witz ja ist, dass er die Goldene Frau und mich zu so ziemlich gleichen Teilen hasst. Es dürfte also interessant werden.

      Weiter sind noch Tracey und Hugo mitgekommen. Letzterer für die Männerquote, nehme ich an, da will Adrian wohl ein Zeichen setzen, und Tracey ist Fräulein. Keine besonders schlagkräftige Truppe also. Immerhin ist mir Hugo bislang durch seine ausgesuchte Höflichkeit aufgefallen, er scheint also nicht so ein Vollhorst wie Gero zu sein. Über Tracey weiß ich praktisch nichts, außer, dass sie bis vor einem halben Jahr noch bei einer anderen Rebellinnentruppe war. Sie stieß auf Empfehlung eines Freundes von Adrian zu uns; offenbar hatte es in ihrer alten Gruppe Streit gegeben und sie hatte – Fräulein halt – das Weite gesucht.

      Ich bete zur Göttin, dass Kolja mit seiner Mission Erfolg hat. Er soll, während wir Erwachsenen die Verhandlungen führen, Frau NicMara ausfindig machen und dazu bringen, uns zu helfen. Nur wenn wir es schaffen, Männer und Fräulein von Frauen »adoptieren« zu lassen, haben wir eine Chance, sollten die Verhandlungen scheitern.

      Ich spiele mit dem Anhänger meiner Kette. Ebenso wie so manch anderes Schmuckstück an meinem Körper enthält er einen prallgefüllten Magiespeicherstein. Längst ist mir der Umgang damit zur zweiten Natur geworden: Stein nehmen, kurz reinwitschen und die Magien betrachten. Dann fix nach Nützlichkeit, Stärke und Volumen sortieren; dies besser für einen Angriff, klar, das besser zur Verteidigung. Besonders seltene und nützliche Sachen genau untersuchen. Ich bewundere die Weitsicht, mit der die Steine gefüllt worden sind: in jedem finden sich Magien sowohl zur Abwehr als auch zum Angriff. Es ist ungewohnt und es macht Spaß. Einzig die Eismagie in dem Ring an meiner rechten Hand habe ich noch nicht genauer in Augenschein genommen. Ich habe wieder Magie, ja, doch das Eis erinnert mich zu schmerzhaft an alles, was ich sonst noch verloren habe. Daran, dass es trotz allem nie wieder so sein wird, wie je zuvor.

      »Ist alles in Ordnung, Mama?«

      »Ja, mein Schatz.« Ich lächele Kolja zu. »Ich bin nur ein bisschen besorgt.«

      »Wegen mir?«

      »Wegen allem. Aber ja, vor allem wegen dir. Das letzte Mal, als du in Annaburg warst, wärst du beinahe getötet worden!«

      Mein Sohn strafft seine Schultern. »Aber nur beinahe. Und jetzt weiß ich, was mich erwartet.« Er nickt. »Außerdem bin ich jetzt nicht mehr der kleine Junge von damals!«

      Ich muss lachen. »Weil das Ganze schon so lange her ist und nicht erst ein Dreivierteljahr? Schon gut, ich ziehe dich nur auf. Du hast recht, du bist ganz schön erwachsen geworden.«

      Ich lehne mich im Sattel so weit nach links wie möglich und wuschele ihm über den Kopf. »Ich schätze, ich werde mir auch in fünfzig Jahren noch Sorgen um dich machen. So ist das eben mit uns Müttern.«

      Als ich mich wieder gerade hinsetze, trifft mein Blick den von Corey, der sich zu uns umgedreht hat. Der milde Hass, mit dem er mir für gewöhnlich begegnet, lodert wild auf. Mich wundert, wie beharrlich er daran festhält. Wenn er bei den Verhandlungen auch so unversöhnlich ist …

      »Hast du eigentlich mal mit Corey darüber gesprochen?«, fragt Kolja leise.

      »Nein. Da gibt es nichts zu besprechen. Ich war Ostgardistin, er, Glenna und die anderen Verräterinnen. Die ich dann ausgeliefert habe. Ganz einfach.«

      Kolja druckst ein wenig herum. »Aber, na ja, also … Du lebst, seine Mutter aber nicht, also … «

      »Und er lebt«, sage ich nachdrücklich. »Weil ich mein Leben und das meiner Freundinnen und Schwestern riskiert habe, um ihn und die anderen zu befreien. Es dürfte also im Grunde alles ausgeglichen sein. Andererseits: Was hat er eigentlich getan, um all das wiedergutzumachen, was die Rebellinnen meinen Gardeschwestern und mir angetan haben?«

      »Corey doch nicht!« Kolja schüttelt den Kopf. »Ein paar Überfälle, bei denen sie Sachen geklaut haben, in Ordnung. Aber Adrians Gruppe war nie gewalttätig, wenn es nicht sein musste. Du kannst doch Corey nicht für das verantwortlich machen, was andere dir angetan haben?«

      »Ach, aber Corey darf mich dafür verantwortlich machen, dass seine Mutter im Kampf gegen die Nordgarde gefallen ist, ja?«

      Kolja schüttelt den Kopf. »Das ist nicht dasselbe, Mama.«

      Verflixter Bengel! »Ich weiß. Trotzdem.«

      Es ist ein langer Weg nach Annaburg. Das Leben zu Pferd mit einem festen Ziel vor Augen erinnert mich schmerzlich an meine Zeit bei der Ostgarde. Damals wollte ich alle Rebellinnen und Verräterinnen ausrotten, und mein Herz gehörte der Goldenen Frau, meiner Oberen und meinen Gardeschwestern. Ich war bereit, mein Leben zu geben, um ein jede von ihnen zu beschützen. Nun riskiere ich mein Leben, um einen Frieden mit den Rebellinnen zu verhandeln. Dabei bin ich noch immer von der Richtigkeit der Goldenen Gesetze überzeugt. Schon seltsam, wie das Leben spielt.

      Immerhin bin ich noch am Leben. Das kann nicht jede meiner ehemaligen Gardeschwestern von sich behaupten. Marzena lebt noch, doch die Veränderung, die sie erfahren hat, ist unfassbar. Ja, sie war gezwungen zu fliehen und wo hätte sie anders hingekonnt als zu den Rebellinnen? Dass sie sich dort eingelebt hat, kann ich ihr nicht vorwerfen. Auch nicht, dass sie sich verliebt hat. Ach, ich kann ihr gar nichts vorwerfen, welches Recht hätte ich denn dazu? Was mich einfach so fertig macht, ist die Diskrepanz zwischen meiner Gardeschwester Marzena Mariolanka und Adrians Gefährtin Marzena, die mittlerweile eine riesige Kugel vor sich herschiebt. Dabei ist sie jetzt erst im achten Monat, hat also noch acht Wochen vor sich. Bei den Sieben Finsterhexen, wie groß soll ihr Bauch denn noch werden? Auch sonst hat sie sich durch die Schwangerschaft verändert. Sie war immer schon ein fröhlicher Mensch; jetzt ist sie zudem viel gelassener. Trotz der angespannten Lage. Dafür hat sie definitiv ihren Biss verloren. Wenn ich sehe, wie sie, meist eine Hand auf den gewölbten Bauch gelegt, umherwatschelt, könnte ich heulen. Wo ist die elegante, tödliche Kriegerin hin, mit der ich so vieles erlebt habe? Allein wenn ich daran denke, wie sie damals in der Nähe von Todtanz die Kraniche vereint und auf unsere Gegner gehetzt hatte …

      Das ist jetzt erstmal vorbei.

      Ich kann nur hoffen, dass sich das hier lange genug hinzieht, sodass ich erst wieder zurückkomme, wenn der kleine Schreihals da ist.

      Zurückkommen. Zurückgehen. Nach Hause? Und wo ist das überhaupt? In Smaleberg? Nicht mehr. Es ist das Zuhause meiner Kindheit und Jugend. Mehr eine Zeit, als ein Ort. Und in die Vergangenheit kann ich nicht zurück, ich habe es versucht. Ich kann mich dort verstecken, doch kein eigenes Leben führen. Genauso wie ich zu alt bin, mich hinter meinem Vater zu verstecken, wenn mich andere Kinder ärgern, bin ich einfach aus diesem Zuhause herausgewachsen.

      Das der Rebellinnen ist anders. Da trifft definitiv der Satz zu, dass es Menschen sind, die einen Ort zu einem Zuhause machen. Das Lager ist ständig woanders, und doch ist es immer gleich. Es ist definitiv eine Familie. Aber nicht meine. Wie könnte das auch sein, wenn ich in so vielen Dingen nicht mit Adrian und den anderen übereinstimme? Ich bin zu ihnen zurückgekehrt, weil mein Sohn das Versprechen abgegeben hatte, ihnen alles über die Magieanwendung durch einen Mann zu erzählen, was er gelernt hat. Und, zugegeben, weil ich dabei sein wollte, wenn sich die Geschichte der Menschheit abermals ändert. Was definitiv nicht so gelaufen ist, wie ich es mir vorgestellt hatte. So viel dazu.

      Aber ein Zuhause?