Monika Loerchner

Hexenherz. Goldener Tod


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nichts hier, nichtmal ein verdammtes Glas Wasser, wenn ich doch nur Magie hätte …

      »Komm, setz dich auf, dann bekommst du besser Luft!« Behutsam helfe ich ihm, seinen Oberkörper aufzurichten. Schwer lehnt sich Kolja an mich. Ich greife mir das nächstbeste Ding aus Stoff – ein Oberteil? – und tupfe ihm damit das Blut vom Kinn.

      Kolja hustet weiter, doch zu meiner unendlichen Erleichterung erscheint kein neues Blut mehr.

      Eine kommt ins Zelt, ich drehe mich kurz um. Adrian.

      »Was ist los?«

      »Wasser«, antworte ich knapp. Er gibt den Befehl nach hinten weiter.

      »Irgendwas ist mit meinem Jungen!«

      »Kolja?« Wie kann Adrian in dieser Situation so besonnen klingen? »Kolja, Junge, schau mich an!«

      Der tut, wie ihm befohlen.

      Adrian mustert ihn, registriert das Blut, das ich nicht ganz abbekommen habe.

      »Bekommst du richtig Luft?«

      Kolja nickt.

      »Kannst du sprechen?«

      »Etwas.« Es klingt wieder wie ein Krächzen.

      »Tut dir etwas weh?« Mein Sohn schüttelt den Kopf und stöhnt. »Ich bin nur so … unfassbar … müde.«

      Hätte ich mich nicht hinter ihn gehockt, er hätte sich wohl einfach zu Boden fallen lassen. Schwer drückt Koljas Gewicht gegen mich. Göttin hilf, was ist nur los mit meinem Kleinen? So etwas kommt doch nicht von heute auf morgen. Was hat mein Junge? Und was habe ich übersehen?

      Es ging ihm gestern Abend schon nicht gut. Ich hätte mir Sorgen machen und die ganze Nacht über ihn wachen sollen! Stattdessen habe ich geschlafen wie ein Stein – und jetzt …

      Ich kann nicht verhindern, dass mir Tränen über die Wangen laufen. Der Schmerz ist zu wild, meine Angst zu groß.

      Kapitel 5

      »Adrian!«

      »Ich weiß, Helena, ich bin ja jetzt hier.«

      Marzena kommt mit einem Eimer Wasser und einem Becher zurück. Sie gießt etwas ein und hält Kolja den Becher hin.

      »Hier, trink etwas!«

      »Hm?«

      Er öffnet nur halb die Augen, wirkt benommen. Gemeinsam flößen Marzena und ich ihm ein paar Schlucke ein. Wenigstens hustet er nicht wieder. Ich taste am Hals nach seinem Puls – und finde keinen. Bevor die Panik mich überrollen kann, versuche ich es an seinem Handgelenk. Da ist er ja, wenn auch beunruhigend schwach.

      »Wir brauchen eine Ärztin!«

      Marzena und Adrian tauschen einen verzweifelten Blick.

      »Wir haben keine.«

      »Dann … besorgt eine, ist mir doch scheißegal«, schreie ich. »Seht ihr denn nicht, wie schlecht es ihm geht?«

      »Ist ja gut, Helena, wir finden eine Lösung!«

      Er dreht sich um.

      »Marzena, geh! Schick mir wen du willst, aber komm nicht wieder her. Kümmere dich um die anderen, wir müssen weg hier.«

      Die Klammer um meine Brust zieht sich enger zusammen.

      »Denkst du, es könnte etwas Ansteckendes sein?«

      »Ich weiß es nicht.«

      Schwäche, Müdigkeit, Bluthusten …

      »Schwindsucht?«

      Adrian schüttelt den Kopf. »Wo sollte er sich angesteckt haben?«

      »Aber was ist es dann?«.

      »Ich weiß es nicht. Das Naheliegendste wäre etwas mit der Lunge, denke ich.«

      Meine Gedanken rasen. »Was hilft dabei?«

      »Was meinst du?«

      »Wir haben keine Heilmagie«, erkläre ich so ruhig ich kann. »Aber die haben andere auch nicht. Ganze verdammte Länder mit ihrem Scheiß-Magieverbot leben ja auch noch, also muss es doch irgendwelche Heilkräuter oder was-weiß-ich-was geben!«

      »Salbei«, krächzt Kolja mit geschlossenen Augen. »Zitrone, Ingwer, Pfefferminze. Honig.«

      »Haben wir sowas da?«

      »Kann schon sein«, ich höre die Verzweiflung in Adrians Stimme, »aber ich kann jetzt keinen Tee kochen. Helena, wir müssen weg! Die Garde wird bald hier sein!«

      »Soll ich meinen Sohn deswegen sterben lassen?« Ein Gedanke formt sich. »Die Südgarde hat Ärztinnen!«

      »Helena, sei vernünftig!« Adrian legt mir eine Hand auf den Arm. »Sie würden euch beide einsperren!«

      Ich schüttele seine Hand ab. »Soll Kolja etwa so enden wie Chris?«

      Der Anführer zuckt zusammen. Vielleicht war es nicht fair, seinen Freund ins Spiel zu bringen, der sich mit der Wutkrankheit infiziert hatte und ohne heilmagische Behandlung an deren Folgen gestorben war.

      »Du hast recht«, sagt er leise. »Besser so, als dass er stirbt. Ich bleibe bei euch.«

      »Das wirst du nicht!«

      »Ich lasse dich und den Jungen nicht im Stich!«

      »Aber Marzena und das Baby?«

      »Ach verdammt!«

      »Ich habe hier was!« Simone kommt ins Zelt gestürmt, in der Hand eine Kette. Sie deutet auf den Anhänger: »Wir haben alles durchsucht, Helena, hier drin ist Heilmagie! Nicht viel, aber … !«

      Fast hätte ich ihr das Ding aus der Hand gerissen.

      »Woher… ? Ach egal! Mach schon, schnell!«

      Koljas Atem ist wieder in ein leises Röcheln übergegangen. Entsetzt sehe ich, wie erneut ein dünner Blutfaden aus seinem Mundwinkel rinnt.

      »Simone!«

      Die Frau zögert. »Helena, ich habe so etwas noch nie gemacht! Es ist gerade mal drei Jahre her, dass meine Magie erweckt wurde. Ich bin ja froh, dass ich mit meiner eigenen Magie klarkomme!«

      Ich habe jetzt keine Zeit für so einen Scheiß! »Gib her!«

      Ich reiße ihr die Kette aus den Händen. Sie zerreißt, aber egal, auf den Anhänger kommt es an! Darin steckt der Magiespeicherstein, in dem sich die Heilmagie befindet.

      Für einen winzigen Moment halte ich inne. Es ist fast drei Jahre her, dass ich Magie angewandt habe. Ich hätte jederzeit versuchen können, welche aus einem Speicherstein zu ziehen, doch ich hatte nie gewollt. Auf die Magie anderer Frauen angewiesen zu sein, kam mir unfassbar demütigend vor. Jetzt danke ich der Göttin und allen Rebellinnen dafür.

      Es ist wie ein Nachhausekommen.

      Ich greife nach der Magie in dem Stein, als würde sie vor mir liegen. Nehme sie in mir auf und verspüre ein unfassbar triumphales Gefühl. Baby, ich bin wieder da!

      Süße Macht rauscht durch meine Adern. Keine Ahnung, was ich mir da alles genommen habe. Die Frauen werden darauf geachtet haben, nur miteinander verträgliche Magiearten in den Stein eingespeist zu haben. Da mache ich mir keine Sorgen. Und selbst wenn, ich hätte mir in diesem Moment alles genommen, egal, mit welchen Konsequenzen!

      Kein Vergleich kann beschreiben, wie es sich anfühlt, nach all der Zeit wieder Magie zu haben! Alles verblasst und erscheint nichtig dagegen. Fast alles.

      »Weg!«, sage ich und eine Magie in mir – Wind? – fegt Adrian aus dem Weg, als wäre er nicht viel mehr als ein winziges Kätzchen.

      Ich brauche die Heilmagie nicht zu suchen: Mein Herz