49; 7,31), benachbarte Gebiete Syrophöniziens (7,24.31) und der Gaulanitis (8,22.27), die teils zur Tetrarchie des Philippus und teils zur Dekapolis gehörte, und Teile dieser wohl erstmals von Markus so bezeichneten Gegend (5,1.20; 7,31; s.u. S. 72-79). Im zehnten Kapitel wechselt der Schauplatz in die „Gebiete von Judäa jenseits des Jordans“ (10,1), die mit dem von Josephus (BJ III 3,3) Peräa genannten Territorium identisch sein dürften und seit 44 zur römischen Provinz Iudaea gehörten, sowie nach Judäa (10,46), seit dem Jahr 6 Teil dieser Provinz (s.u. S. 102-105). In den Kapiteln 11 bis 16 ist nur noch Jerusalem mit seiner nächsten Umgebung Ort des Geschehens. So wie Markus die Wege Jesu nachzeichnet, wäre dieser nicht über das hier umrissene Gebiet hinausgelangt, das heute unter die Staaten Israel, Libanon, Syrien und Jordanien sowie das Westjordanland aufgeteilt ist.
Die meisten Orte und Territorien, die im Evangelium mit Namen genannt sind, werden im markinischen Itinerar Jesu je einmal von Jesus aufgesucht. Ausnahmen sind nur Galiläa mit dem See Gennesaret und seinen Ufern, Kafarnaum, die Dekapolis sowie Jerusalem und Betanien.
Der Evangelist beginnt seine Schilderung der Ereignisse aus dem Leben Jesu mit dem Geschehen, das in den Überlieferungen, die ihm zur Verfügung stehen, zeitlich am weitesten zurückliegt, nämlich der Taufe Jesu sowie der damit notwendigerweise verbundenen Vorstellung Johannes’ des Täufers, und beschließt sein Evangelium mit dem leeren Grab Jesu und der Flucht der drei Frauen. Er läßt also Raum hin zur Vergangenheit, den die beiden anderen Synoptiker mit ihren Vorgeschichten24, und Raum hin zur Zukunft, den die drei anderen Evangelisten um ihre Berichte von den Erscheinungen des Auferstandenen und – so Lukas – der Himmelfahrt Jesu bereichert haben. Matthäus und Lukas haben das Evangelium des Markus aber nicht nur fast ganz oder zu großen Teilen abgeschrieben, sondern es auch umgeschrieben.25
Doch wie füllt Markus den Raum zwischen Taufe und leerem Grab? Die älteste Antwort auf diese Frage finden wir in dem bekannten Fragment aus der Schrift „Fünf Bücher Auslegung [von] Herrenworten“ des Papias von Hierapolis, die vermutlich um 110 entstanden ist26. Euseb hat das Fragment in seiner Kirchengeschichte überliefert (Eus., h. e. III 39,15f.): „Und dies sagte der Presbyter: Markus, der Dolmetscher des Petrus, schrieb von dem Herrn zwar alles, dessen er sich erinnerte, seien es Reden, seien es Taten, genau, allerdings ohne Ordnung auf. Denn er hatte weder den Herrn gehört, noch war er ihm nachgefolgt, hinterher jedoch, wie gesagt, dem Petrus, welcher seine Lehrvorträge den Bedürfnissen nach gestaltete, aber nicht wie um eine zusammenhängende Darstellung der Logien des Herrn zu schaffen, so daß Markus nicht falsch handelte, wenn er einiges so aufschrieb, wie er sich erinnerte. Denn für eines trug er Sorge: nichts von dem, was er gehört hatte, auszulassen oder etwas davon unwahr zu berichteten. Dies wird also von Papias über Markus berichtet.“27
Welche Bedeutung für das Markusevangelium dem Papias-Fragment beizumessen ist, wird sich zeigen. Papias gehörte wie Ignatius von Antiochia und Polykarp von Smyrna noch der dritten Generation der Christen an. Leider läßt er uns nicht genau wissen, woher er seine Kenntnisse über das Markusevangelium hatte. Παρὰ τῶν ἐκείνοις λνωρίμων – „von denen, die mit ihnen [sc. den Aposteln] bekannt waren“ (h. e. III 39,2; vgl. 4) – ist doch recht unbestimmt. Und vielleicht gibt es Gründe dafür, daß Papias nicht ganz ohne Grund von Euseb28 als jemand bezeichnet wird, der σφόδρα γάρ τορ σμικρὸς ὢν τὸν νοῦν (h. e. III 39,13) …
Reihte der Evangelist mithin das, von dem er Kenntnis hatte, nur einfach aneinander, wie man es wohl dem Papias-Fragment entnehmen muß, oder schuf er ein Gefüge räumlicher und zeitlicher Verknüpfungen und damit einen oder vielmehr seinen „Rahmen der Geschichte Jesu“29? Ergibt sein Bericht also eine Abfolge von einleuchtenden, historisch möglichen Angaben und damit Bewegungsmöglichkeiten Jesu – und das heißt zugleich nicht von unsinnigen, gegensätzlichen oder gar widersprüchlichen, wie gelegentlich in der Literatur behauptet?30 Haben wir es folglich mit einer „allgemeinen Ungenauigkeit und Fehlerhaftigkeit der markinischen Ortsangaben“ zu tun31, mit der „Unkenntnis der galiläischen Topographie“32 oder mit „geographischen Fehler[n]“33, hat Markus aus den ihm zur Verfügung stehenden Ortsangaben gar so etwas wie eine „Phantasielandkarte“ gemacht34 – oder „ist bei der Abfassung des Evangeliums geographisches Wissen aus der Zeit seiner Entstehung eingeflossen“, das „auch bei den Rezipienten [als] bekannt vorausgesetzt wird“35, legt also die Vorstellung, die der Evangelist von den topographischen und geographischen Gegebenheiten des Landes hat, seine „kognitive Karte“ (mental map)36, eine Kenntnis der tatsächlichen Gegebenheiten und Verhältnisse nahe und auf Grund dessen einen Plan, nach dem er seinen Stoff einem Zeit-Raum-Gefüge eingeordnet hat?
Den Antworten auf diese Fragen müßte sich entnehmen lassen, ob Markus überhaupt willens und in der Lage war, ein ein- und durchsichtiges Zeit-Raum-Gefüge für das Geschehen zu schaffen, von dem er berichtet, und ob er zwischen den so zusammengehaltenen Ereignissen Beziehungen entstehen läßt, die über bloße Verbindungen bestimmter Ereignisse mit bestimmten Zeiten und Orten hinausgehen.
Immer wieder sind Versuche unternommen worden, Antworten auf diese Fragen zu finden. Ich nenne aus der Forschungsgeschichte nur einige Namen, die für einen je anderen Ansatz stehen, angefangen mit William Wrede, Karl Ludwig Schmidt, Rudolf Bultmann, Martin Dibelius, Ernst Lohmeyer, Willi Marxsen, James McConkey Robinson, Walter Schmithals, Cilliers Breytenbach, Gerd Theißen, Adela Yarbro Collins, Marie-Eve Becker, Paul-Gerhard Klumbies, Bärbel Bosenius … Sie alle haben ihre eigene Lösung, aber ob es die »richtige« ist, wird wohl für immer offen bleiben.
Mir geht es um den ursprünglichen Sinn und Zweck der Orts- und Zeitangaben im Fortgang der Erzählung des Markusevangeliums, nämlich dem Leser den Ablauf des Geschehens nahezubringen. Es ist die Basis der Erzählebene, die Cilliers Breytenbach „die normale Erzählebene“ nennt. Darüber hinausgehende Interessen verfolge ich nicht. Diese Ebene ist unabdingbare Voraussetzung für die drei weiteren der vier Erzählebenen, von denen Cilliers Breytenbach ausgeht, nämlich zweitens die Ebene der Kommunikation zwischen Erzähler und Leser, auf der „das Erzählte gedeutet, erläutert oder unterstrichen wird“, drittens die eingebettete Kommunikationsebene mit der „Kommunikation zwischen den dargestellten Figuren in der Erzählung“ und schließlich „die direkte Rede, die in die erste Kommunikationsebene eingefügt wird“37. Sie bleiben hier außer Betracht.
Dies vorausgesetzt, werde ich mich im Folgenden deshalb weder mit dem Messiasgeheimnis noch einem möglichen Gegensatz zwischen Galiläa und Jerusalem oder dem Hintergrund der einzelnen Episoden des Markusevangeliums, wie er sich für die Zeit um das Jahr 30 vermuten läßt, noch mit der Übertragung von Ergebnissen gegenwärtiger Narrativik befassen, auch nicht mit einem spatial, topographical oder topological turn38 etwa in Gestalt eines mythischen oder literarischen Raumes samt den Schnittstellen von dessen horizontalen und vertikalen Handlungsebenen oder mit der nicht-räumlichen Bedeutung räumlicher Strukturen39, ebenso wenig mit der möglichen symbolischen Valenz einzelner Orte, etwa Caesarea, sondern allein mit dem, was