Wolfgang Schneider

Räume machen Leute


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ganz anders aussieht, als man ihn sich gemeinhin denkt. Die Kolumnen sind mal ernsthaft, mal abgründig, mal voll leiser Ironie. Sie bewegen sich zwischen Dichtung und Wahrheit, sind launig überzeichnet, garniert mit Subtilitäten und Absurditäten. Mit Haltung und einem Augenzwinkern wird in das Engagement und das Seelenleben der Architekten und zugleich Kammermitglieder geschaut, über das vielfältige Potenzial des Berufsstandes reflektiert.

      An dieser Stelle möchte ich ganz herzlich Erik Liebermann danken, der mich mit seinen wunderbaren Illustrationen zwei Jahre lang auf meinen Kurzreisen durch das Architekten- und Kammerleben begleitet hat. Entspannt habe ich geschrieben, entspannend soll die Lektüre sein.

       Wolfgang Schneider

       Bärlauchs Lehrreise in die Provinz

      Überlandreisen sind bei Herrn Bärlauch mit positiven Kindheitserinnerungen verbunden. Mutter packt alles Notwendige für den Ferienaufenthalt. Ausreichend Verpflegung für die lange Fahrt, Spielzeug, Bücher, sommerliche Kleidung, Sonnenschutzmittel, Schwimmflügel. Die Bahnfahrt per Holzklasse in den ländlichen Nordwesten dauert Stunden. Links und rechts der Schienenwege blühende Weidelandschaften, gemächlich grasende Kühe, sich im Wind wiegende Birken, weite Moorgegenden. Idylle pur.

      Viele Jahre später, diesmal schneller und komfortabler im ICE, reist Herr Bärlauch – inzwischen Kammerpraktikant, Spezialgebiet Landschaftspflege und für besondere Aufgaben als tauglich befunden – im Tross der Kammeroberen erneut in die Region im Nordwesten, in eine ehemalige Residenzstadt zu einer generalstabsmäßig vorbereiteten »Kammer vor Ort«-Veranstaltung. Gelegenheit für Mitglieder, über Berufspolitik zu sprechen, Anregungen für die Kammerarbeit zu geben oder Kritik loszuwerden.

      Bärlauchs komplexer Fortbildungskurs besteht darin, als teilnehmender Beobachter die bevorstehenden Interaktionen zu dokumentieren. Intensiv vorbereitet ist er eingetaucht in die Geheimnisse der methodischen Feldforschung, um Erkenntnisse über das Handeln, das Verhalten und die Auswirkungen des Verhaltens einzelner Personen oder Gruppen zu gewinnen. Die Kammer, so viel steht fest, präsentiert sich auf der Höhe der Zeit.

      Am Zielort angekommen, düst die Gruppe im Großraumtaxi direkt zur Tagungsstätte. Solides Werk der Baukunst, errichtet im Ziegelkreuzverband, der umliegenden Bebauung angepasst, den genius loci genuin getroffen. Ergebnis eines vorausgegangenen Architektenwettbewerbs. Hohe, schmale Fenster, eleganter Unterschnitt im Eingangsbereich, großzügigzeitgemäßes Ambiente im Innern des Hauses. Vollbesetzter Saal, freundliches Kopfnicken, gespannte Erwartung, Auftritt der Kammerleitung.

      Die Veranstaltung wird eröffnet vom ortsansässigen Kammervorstandsmitglied, das im Vorfeld seine Schäflein namentlich und wahlweise mit Handschlag oder Umarmung begrüßt. »Herzliches Willkommen« auch der Pressevertreter mit Bitte um sachgerechte und faire Berichterstattung. In der folgenden kurzen Ansprache wird das besondere Engagement der Mitglieder aus der Region hervorgehoben. Er erwarte von den Kollegen heute »Impulse« für die Kammerarbeit. Sie mögen aber auch von ihren Sorgen berichten, denn »die Kammer ist für uns alle da«. Ein freundlicher Willkommensgruß »an den lieben Kammerpräsidenten« leitet über zu dessen Grundsatzrede. Etwas langatmig streift dieser viele Themen und gelangt schließlich zu der seit Jahren alles überlagernden Debatte der Anpassung der Honorare. Diese wolle er »in aller Ruhe« diskutieren. Er freue sich, nach dem Sachstandsbericht des Geschäftsführers in einen »fruchtbaren Dialog« einzutreten.

      Mit der einsetzenden Diskussion kommt die stille Stunde des Herrn Bärlauch, dessen Aufgabe ein stetes Hin und Her zwischen Nähe (Teilnahme) und Distanz (Beobachtung) bedeutet und ein Notieren der Beiträge verlangt. Die höflichen und konstruktiven Fragen und Statements des Berufsstandes und die erschöpfenden Antworten der Verantwortungsträger ziehen sich über einen längeren Zeitraum hin, bis kurz vor dem Ende der Veranstaltung aus einer hinteren Ecke eine erneute Wortmeldung erfolgt: »Ich bin absolut gegen eine neue Honorarordnung. Die schadet mir nur als Einmannbüro auf dem Lande. Ich versuche, Bauherren über die direkte Ansprache zu gewinnen. Habe ich sie erst einmal im Büro, ist die Sache geritzt.« Donnerwetter. Das hat gerade noch gefehlt.

      Später am Abend an der Hotelbar sind sich die frustrierten Kammervertreter einig über die nicht nur kontraproduktive, sondern subversive Einlassung des Kollegen. Herr Bärlauch ergänzt, dass sich besagter Herr anschließend im vertraulichen Gespräch dafür ausgesprochen habe, die Kammer »in Gänze abzuschaffen«. Sie schade nur dem Geschäft. Der Bericht am nächsten Tag in der Zeitung mit der Überschrift »Kammerpräsident wird überrascht von klarer Haltung eines Berufskollegen« ist zwar verkürzte, aber sachgerechte Realsatire.

      Es bleibt die Erkenntnis des Praktikanten Bärlauch, dass Reisen bildet und Resilienz die Fähigkeit ist, Niederlagen und Härten wegzustecken und weiterzumachen.

       Architekt Baumann und der Steuerer

      Frühmorgens um acht. Eilens einberufene Bauherrenbesprechung im kleinen Kreis. Anwesend: Bauherr, Haifischlächeln, distinguierte Erscheinung; Rechtsanwalt, stur gegen die Wand schauend; Projektsteuerer, hektisch Papiere ordnend, roter Kopf, zerknirschte Miene; Architekt Baumann (was sollte er mit diesem Namen auch anderes werden), ergeben freundlicher Blick.

      Kurze Begrüßung durch den Bauherrn. Bittet den Projektsteuerer um Erklärung, warum »gewisse Dinge nicht laufen«.

      Bericht folgt in knarzendem Tonfall. Der Steuerer fordert Baumann lautstark auf, seine Leute »auf Vordermann« zu bringen. Ob vielleicht nicht doch fehlende oder unvollständige Architektenpläne die Ursache für das »unsägliche Versagen« seien. Es gehe nicht an, immer wieder Handskizzen nachzuschieben. Der »Ablauf« würde behindert. Die Fachplaner kämen nicht weiter, der ganze Ausbau komme zum Erliegen. Und wie »die Baukünstler« den Terminverzug aufzuholen gedächten? Er müsse jetzt für Ordnung sorgen und diesem »Schreckensszenario« unverzüglich ein Ende bereiten. »Geht alles zu Ihren Lasten. Sie hören von uns.« Wumm.

      Krisengespräch. Architekt Baumann ist sauer. Vermutet Schutzbehauptungen des Steuerers, um von eigenen Versäumnissen abzulenken. Versammelt leicht erzürnt seine »Vordermänner«: Projektleiterin nebst Planerin und einen Bauzeichner. Ziel: Widerlegung der »unflätigen Attacke«. Kann doch alles nicht wahr sein! Wurde das Büro nicht vor geraumer Zeit softwaretechnisch aufgerüstet, um Schnittstellen besser und effektiver in den Griff zu bekommen? Auch um terminliche Engpässe zu vermeiden? Sind Handskizzen jetzt ein Teufelszeug im System?

      Die beiden hochgeschulten Mitarbeiterinnen meinen unisono und etwas kleinlaut-steif, Chef solle ein beschwichtigendes Telefonat mit dem Steuerer führen, sie würden derweil die Pläne »wenn nötig« vervollständigen und »zeitnah« an die Fachplaner verteilen. Klingt sehr fremdgesteuert. Der Bauzeichner gibt derweil den Obercoolen und rät, mit Haltung Widerstand zu leisten, die Sache auszusitzen. Chef solle es drauf ankommen lassen. Das mit dem Verzug könne doch mal passieren. Kein Grund, sich aufzuregen. »Möchte ich überhört haben«, brummt augenrollend der Architekt. Und eilt von dannen.

      Verabredet »Bei Lucy« mit Toni, befreundeter Kollege, legere Kleidung, gut gelaunt. Baumann erzählt ihm, noch etwas aufgebracht, vom morgendlichen Erlebnis. Toni winkt ab, sei immer das Gleiche, dieser »Eiertanz zwischen Entwurfsoptimierung beim Bauen und künstlerischer Freiheit. Schön gegenhalten«. Baumann seufzt, dass dem Berufsstand »immer weniger Respekt« entgegengebracht werde, wenn die Dreieinigkeit Bauherr, Anwalt und Steuerer am Tisch sitze. Überhaupt, mit Palladio wäre man seinerzeit nicht so umgesprungen. Toni nickt zustimmend und merkt an, dass die Baukunst immer mehr zur Hochrechnung verkomme und die Baukultur dabei baden gehe.

      Die Freunde verabschieden sich. Toni geht ins Schwimmbad. Baumann zurück ins Büro. Im Laufe des Nachmittags stellen sich bei näherer Betrachtung gewisse Inkompatibilitäten zwischen den Computerzeichnungen seiner Mitarbeiter und Handskizzen von ihm selbst heraus. Letztere