Dominique Manotti

Marseille.73


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Frauen schwätzen bei einem Weißwein-Apéritif, Françoise, eine hübsche kraushaarige Brünette im Blümchenkleid, lässt sich mit einem Lächeln auf den Lippen ungeniert die Knabbereien schmecken, Grimbert, im Sofa versunken, Aufmerksamkeit in der Schwebe, gönnt sich einen Whisky.

      Man setzt sich zu Tisch. Mélanie bringt eine Daube à la niçoise, der Rinderschmortopf ist ihre Spezialität, und füllt die Teller. Erste Bissen in anerkennendem Schweigen. Dann beginnt Mélanie, die die Szene am Nachmittag mit Grimbert geprobt hat, über ihre Schüler zu sprechen, es läuft recht gut dieses Jahr, aber mit gewissen Eltern haben die Lehrkräfte ihre Schwierigkeiten.

      »Funktionäre von Repatriiertenvereinen haben in der Elternvertretung das Ruder übernommen und machen uns mit allem möglichen Blödsinn das Leben schwer, ohne dass wir dahinterkommen, was sie wirklich wollen.« Grimbert hat sich in den aktiven Ruhemodus versetzt. Nicht nötig, Druck zu machen. Françoise wird anbeißen, das weiß er, sie liebt die Erinnerung an jene Jahre. »Sie lassen all ihren echten oder eingebildeten Frust an uns aus, das ist anstrengend.«

      »Wir hatten damals auch einige Probleme, weißt du. Wir sind zunächst dem Grundsatz gefolgt, die eingegliederten Polizisten auf alle Abteilungen zu verteilen, um zu verhindern, dass sich homogene Zellen bilden. Aber viele von ihnen haben versucht, über die Schiene Versetzung-Beförderung zueinanderzukommen, zusammen fühlten sie sich wohler, und da gab es manchmal Ärger.«

      Grimbert ist jetzt hellwach, Françoise lächelt ihm zu.

      »Hast du die Geschichte neulich mitbekommen von diesen zwanzig Pied-Noir-Bullen in Nizza, die die Kontrolle über ein Funkstreifenteam übernommen hatten? Sie verständigten sich auf Arabisch oder Spanisch und klauten aus den Haushalten, zu denen sie gerufen wurden, alles, was nicht niet- und nagelfest war.«

      »Ja, gerüchtehalber. In Marseille hat es so was noch nie gegeben.«

      »Da bin ich mir nicht so sicher. Ich habe von einer Untersuchung gehört, die im Dezernat Interne Ermittlungen heißläuft …«

      Grimbert merkt sich das. Tauschobjekt im Handel mit Marcel?

      »Wir hatten in meiner Abteilung mehrere Hinweise bekommen, es gab viel Ärger mit einer Gruppe von Pieds-Noirs im Kommissariat des 15. Arrondissements, das war nach meinem Ausscheiden, ich habe nie erfahren, worum es genau ging.«

      Grimbert zuckt nicht mit der Wimper, maximale Alarm­bereitschaft. »Da muss ich schon bei der Kriminalpolizei gewesen sein, ich habe auch nie was darüber gehört.«

      Dann wendet sich das Gespräch Françoise’ Tochter zu, die so alt ist wie Mélanies Söhne, unerschöpfliches Thema. Grimbert wartet geduldig, dass Françoise auf den Punkt zurückkommt, der ihn interessiert, was sie auch tut, als die Pflaumentarte auf den Tisch kommt.

      »Weißt du, Mélanie, man darf nicht alles so schwarzsehen. Eure Scherereien werden sich langfristig erledigen. Ich hatte in meiner Abteilung ein paar echte Erfolge. Man muss den richtigen Hebel finden. Ich hatte einen Schutzpolizisten, der aus Algier kam. Dort hat er ehrenamtlich einen Sportverein für Kollegen geleitet. Nach dem, was er erzählte, hat er sich voll eingebracht, er kannte viele Leute, hatte viele Freunde. Hier war er plötzlich allein, verunsichert, mit Alkohol- und Gewaltproblemen, er hat sogar angefangen, seine Frau zu verprügeln, und um ein Haar wäre er aus dem Dienst entlassen worden. Ich habe mich um ihn gekümmert. Ich fand einen Schießclub, der der Stadt gehörte und aufgegeben worden war. Ich habe ihm vorgeschlagen, dass er ehrenamtlich die Leitung übernimmt. Er war einverstanden, hat den Club neu aufgebaut, ein spektakulärer Erfolg. Jeden Sonntag hat er für seine Freunde ein Abendessen ausgerichtet. Vor meinem Ausscheiden hat er mich zweimal dazu eingeladen. Es war sehr nett. Um die zwanzig Kumpel, Musik, seine Frau und seine Tochter kochten für die ganze Mannschaft Riesengerichte vom Typ Couscous. Genau wie drüben, sagten sie. Es wurde reichlich geredet und getrunken, alles nostalgische Anhänger von Französisch-Algerien, klar, aber diese Momente der Geselligkeit und des Unter-sich-Seins machten sie glücklich. Für meinen Kandidaten war das der Hebel. Er hat sich in sein berufliches Umfeld gut integriert. Man muss dazusagen, dass seine Frau ihm sehr geholfen hat. Sie ist Katholikin und eine fleißige Kirchgängerin, mit der dazugehörigen Opferbereitschaft. Inzwischen ist er Brigadier.«

      Pied-Noir, Brigadier … Picon, der Mann, dem er ein-, zweimal begegnet ist, als er noch bei den Uniformierten war, und von dem er später im Zusammenhang mit Marcels Entourage gehört hat?

      »Sprichst du von Brigadier Picon?«

      »Ja. Kennst du ihn?«

      »Nein, bin ihm im Évêché über den Weg gelaufen, mehr nicht.«

      Eine Problemgruppe von Pieds-Noirs im 15. Arrondissement, Picon und sein Schießsportverein als möglicher Sammelpunkt, ich habe meinen Abend nicht vergeudet. Danke, Mélanie.

      Mittwoch, 22. August

      Ausgestattet mit der Erlaubnis vom Dicken Marcel, unverzichtbar beim Navigieren im Polizeiapparat, geht Grimbert zur Personalabteilung. Die Freundin seiner Frau hat ihn einer Kollegin empfohlen, er wird freundlich empfangen und so diskret wie möglich in einer Regalecke untergebracht. Er vertieft sich ins Personalregister vom Kommissariat des 15. Arrondissements seit 1961, erstellt eine Liste der Neuzugänge durch Versetzung ab 1962, findet die Namen von vier Polizisten, die 1964 etwa zur gleichen Zeit eintreffen. Fabiani, Solal, Girard, Picon. Er holt sich von jedem Einzelnen die Personalakte. Alle vier sind 1962 repatriierte Schutzpolizisten, drei unterschiedlichen Kommissariaten zugewiesen, gleich 1963 beantragen sie ihre Versetzung ins 15. Arrondissement. Warum gerade das 15.? Freie Stellen? Vielleicht. Er macht weiter. Fabiani kommt 1965 zur Sûreté, durchläuft 1969 das interne Auswahlverfahren zum Inspecteur und wird zur Kriminalabteilung der Sûreté versetzt, wo er immer noch arbeitet. Picon wird 1966 zum Sous-Brigadier befördert, Girard und Solal 1969. Zu diesem Zeitpunkt wird Picon zum Brigadier befördert und dem Zentralkommissariat im Évêché zugewiesen. Grimbert sieht darin die Handschrift des Dicken Marcel. Dann, 1970, wird Girard vom Polizeidienst ausgeschlossen. Keinerlei Information zu den Gründen für diese Sanktion. Der Ärger, den Françoise erwähnt hat? 1970, das ist nicht so lange her, Grimbert durchforstet sein Gedächtnis. 1969–70, die Riesenaffäre um die Raubüberfälle der Susini-Bande. Susini, Nummer zwei der OAS, im Exil, 1968 begnadigt, Aufenthalte in Marseille, Pied-Noir, die Überfälle. Könnte der Ausschluss von Girard mit einer Komplizenschaft mit der Susini-Bande zusammenhängen? Die Geschichte ist noch virulent, da der Prozess nächsten Januar stattfindet. Ich wage einen Versuch, habe nichts zu verlieren.

      Zurück zur Kriminalpolizei, um Benoit und Varin zu befragen, die mit der Vorbereitung des Prozesses betraut sind. Gleich nach seinen ersten Sätzen unterbrechen die beiden Männer Grimbert.

      »Ultraheikle Geschichte. Die Susini-Bande besteht aus acht Leuten, alles harte Hunde, darunter ein paar Mörder der OAS, keine Spaßvögel, und auf ihr Konto gehen neun fette Überfälle. Die Commissaires, die die Ermittlung geleitet und unter deren Befehl wir gearbeitet haben, bekamen Todesdrohungen und wurden auf eigenen Wunsch versetzt. Das ist der Grund, warum der Prozess so schwer zu organisieren ist. Es gibt echte Sicherheitsprobleme. Diese Geschichte ist eine Bombe. Darum haben wir keine Lust, darüber zu reden.«

      »Ich interessiere mich für Girard, nicht für Susini, und ihr kennt mich, ich habe mich noch nie unfreiwillig verquatscht.«

      Benoit entschließt sich. »Bei ihrem größten Überfall, dem auf die Banque nationale de Paris im Belle-de-Mai-Viertel, war die ganze Bande als Polizisten verkleidet, was ihr die Arbeit erheblich erleichtert hat. Uniformen, die ein bisschen zu neu waren, picobello. Wer hat sie ihnen geliefert? Ein Kleinganove hat spontan Girard bezichtigt, wir haben seine Spur mehrere Monate lang verfolgt, und wir haben es geschafft, die ganze Bande zu schnappen. Girard ist im Knast, in Sicherheit, und sein Prozess wurde von dem gegen die Bankräuber abgekoppelt, damit er diskret ablaufen kann. Bis zu seinem Prozess hältst du die Klappe, Grimbert, hermetisch.«

      »Ich halt die Klappe.«

      Girard also, vom Kommissariat des 15. Arrondissements, aufs Engste verstrickt mit den echten Schwergewichten der OAS. Keine Ahnung, ob Marcel davon weiß. Ich werde