von Gott ab. Indem wir die Natur transzendieren, befriedigen wir den stärksten Impuls der Natur, schöpfen wir all ihre Möglichkeiten aus und steigen auf zu Gott. Das Menschliche berührt zunächst das Göttliche und wird anschließend selbst zum Göttlichen. Aber es gibt auch jene, die die Natur abtöten wollen, um so zum Selbst zu werden. Sollen wir ihnen folgen? Nein, wie groß und erhaben ihr Pfad auch sei, wie ehrfurchtgebietend und blendend ihre Aspiration, denn es ist nicht Gottes Vorhaben mit der Menschheit und deshalb nicht unser Dharma. Mag sagen, wer will, wir hätten die geringere Wahl getroffen. Wir antworten darauf mit den Worten der Gita, sreyan svadharmo vigunah: „Besser ist das Gesetz unseres eigenen Wesens, sollte es auch geringer sein, zu gefährlich das höhere Gesetz eines anderen Wesens.“ Dem Willen Gottes in uns zu gehorchen ist ganz gewiss glückseliger, vielleicht sogar göttlicher, als sich zu den asketischen Höhen des Advaitin und zu einer unsagbaren Selbstauslöschung in einem unbestimmbaren Sein zu erheben. Uns genügt die Umarmung Krishnas und die Herrlichkeit des allmächtigen Busens Kalis. Wir haben die Natur zu transzendieren und zu besitzen, nicht sie abzutöten.
Wie auch immer außergewöhnliche Einzelne sich entscheiden mögen, was wir suchen, ist ein allgemein gangbarer Pfad zur höchsten Verwirklichung für die Menschen – denn ich schlage mit dem Yoga kein individuelles Vorgehen vor, bei dem der Rest der Menschheit keine Rolle spielt –, und da kann es keine Zweifel und kein Zögern geben. Weder die Übertreibungen der Spiritualität noch die Übertreibungen des Materialismus sind unser wahrer Weg. Jede Tendenz im Menschen, die die Natur zu leugnen sucht, wie religiös, erhaben und hehr, von welch blendender Untadeligkeit, welch ätherischem Wesen sie auch sein mag, war und wird stets zum Scheitern verurteilt sein, zu Misserfolg, Enttäuschung, Desillusionierung oder Verkehrung, weil sie ihrer Natur nach für die Masse der Menschen ein vergänglicher Impuls zu einer Übertreibung ist und weil sie sich nicht an die von Gott gestellten Bedingungen hält. Gott hat die Natur als eine Voraussetzung für Seine Selbsterfüllung im Universum geschaffen, und Er hat uns bei dieser göttlichen Selbsterfüllung zu überlegenen Werkzeugen und Helfern auf dieser Erde gemacht. Jede von Menschen ins Leben gerufene Bewegung, die uns heißt, mit unserer gewohnten Natur vorlieb zu nehmen und uns auf die Erde zu beschränken, aufzuhören, uns nach dem Empyreum in unserem Inneren zu sehnen und lieber den Tieren gleich zu leben, unseren Blick voraus auf unsere sterbliche Zukunft zu richten sowie hinab zur Erde, die wir bestellen, nicht aber hinauf zu Gott und auf unsere noch nicht erlangte Vollkommenheit – jede solche Bewegung war und wird stets zu Überdruss, Versteinerung und Stillstand oder einer plötzlichen und heftigen Reaktion der Übernatur verurteilt sein. Denn auch sie ist für die Masse der Menschen ein vergänglicher Impuls zu einer Übertreibung und läuft dem Vorhaben Gottes in uns zuwider, der in unsere Natur eingetreten ist und verborgen in ihr wohnt und der uns durch eine heimliche, instinktive und unwiderstehliche Anziehungskraft zu Sich zieht. Materialistische Bewegungen sind noch widernatürlicher, noch anomaler als die asketischen und weltverneinenden Religionen und Philosophien, denn diese führen uns zumindest aufwärts, auch wenn sie für die menschliche Natur viel zu schnell und zu weit gehen, während der Materialist unter dem Vorwand, uns zur Natur zurückzuführen, uns in Wirklichkeit gänzlich von ihr wegführt. Er vergisst oder übersieht, dass die Natur nur phänomenal Natur, tatsächlich aber Gott ist. Das göttliche Element in ihr ist das, was sie am reinsten und wahrhaftigsten ist. Alles andere ist bloße Frist und Bedingung, bloßes Verfahren und Stadium innerhalb ihrer gesamten stufenweisen Entfaltung der geheimen Gottheit. Ebenso vergisst er, dass die Natur noch in der Evolution begriffen ist und nicht schon voll evolviert, weshalb das, was wir jetzt sind, niemals ein Kriterium für das sein kann, was wir einmal sein werden. Das Übernatürliche muss schon der reinen Logik der Dinge zufolge der Zweck und das Ziel ihrer Entwicklung sein.
Deshalb müssen wir als erstes lernen, nicht in die Natur verstrickt, von ihr umgarnt oder an sie gefesselt zu sein, aber andererseits auch nicht auf sie wütend zu sein und sie abzutöten, falls wir vollendete Yogis werden und unserer göttlichen Vollkommenheit gefahrlos entgegengehen wollen. „Alle Wesen, sogar die Weisen, folgen ihrer Natur; was soll es helfen, ihr Gewalt anzutun?“ Prakrtim yanti bhutani, nigrahah kim karisyati? Dabei ist alles so nutzlos! Fühlst du dich an sie gebunden und lechzt nach Freiheit? In ihrer Hand allein befindet sich der Schlüssel, der deine Fesseln lösen wird. Steht sie zwischen dir und dem Herrn? Sie ist Sita; bete zu ihr, sie wird zur Seite treten und Ihn dir zeigen. Aber maße dir nicht an, Sita von Rama zu trennen, sie auszusetzen auf ein fernes Lanca unter Bewachung von gewaltigen Selbstkasteiungen, um Rama für dich allein zu haben in Ayodhya. Wenn du willst, so ringe mit Kali; sie mag einen guten Ringer. Aber ringe nicht lieblos oder aus bloßem Widerwillen und Hass mit ihr; denn ihr Missvergnügen ist schrecklich, und wenngleich sie die Asuras liebt, so tötet sie sie doch. Gehe lieber mit ihrer Hilfe und unter ihrem Schutz, gehe mit einem rechten Verständnis ihres Wesens und mit einem wahren und unbeugsamen Willen. Sie wird dich, auf was für Umwegen auch immer, stets sicher und aufs weiseste hinführen zu der Allseligen Persönlichkeit und der Unbeschreiblichen Gegenwart. Die Natur ist Gottes eigene Macht und führt diese Unzahl von Wesen durch die Nacht und die Einöde und die Gebiete des Feindes zu ihrem geheimen, versprochenen Erbe.
Die Übernatur ist also in jeglicher Hinsicht unser Ziel im Yoga: Ein natürlicher Bestandteil der Welt zu bleiben und doch die Natur im Inneren zu transzendieren, so dass wir sie sowohl innerlich als auch äußerlich frei und als Herr, svarat und samrat, besitzen und uns an ihr erfreuen mögen, Symbol zu bleiben in einer Welt der Symbolwesen und doch durch das Sinnbild das Versinnbildlichte zu erreichen, es zu verwirklichen, ein Ausdruck des Menschlichen zu bleiben, ein Mensch unter Menschen, ein lebender Körper unter lebenden Körpern, ein in dieser lebenden Materie wohnendes mentales Wesen, manus, unter anderen verkörperten mentalen Wesen, in unserem äußeren Wesen alles zu sein und zu bleiben, was wir dem Schein nach sind, und doch darüber hinauszugehen und im Körper das zu werden, was wir in unserem verborgenen Selbst in Wirklichkeit sind, nämlich Gott, Geist, höchstes und unendliches Sein, reine Seligkeit göttlicher Freude, reine Kraft göttlichen Handelns, reines Licht göttlichen Wissens. Unser ganzes sichtbares Leben hat nur einen symbolischen Wert, ist gut und notwendig als ein Werden, doch alles Werden hat Sein zu seinem Ziel und zu seiner Erfüllung, und Gott ist das einzige Sein. Göttlich zu werden in der Natur der Welt und im Symbol des Menschen ist die Vollendung, für die wir erschaffen wurden.
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Kapitel 4
Die Fülle des Yoga im Bedingten
Wir sind aufgefordert, über unsere menschliche Statur hinauszuwachsen und göttlich zu werden. Um aber dies zu tun, müssen wir als erstes Gott erreichen, denn das menschliche Ego ist der geringere, unvollkommene Zustand unseres Seins, Gott ist der höhere, vollkommene Zustand. Er ist im Besitz unserer Übernatur, und ohne Seine Zustimmung ist kein effektiver Aufstieg möglich. Das Endliche kann nur unendlich werden, wenn es seiner eigenen verborgenen Unendlichkeit gewahr wird und sich von ihr angezogen oder zu ihr hingezogen fühlt. Ebensowenig kann das symbolische Wesen aus eigener Kraft die Grenzen seiner scheinbaren Natur überschreiten, es sei denn, es erblickte das Wirkliche Wesen in sich, liebte es und setzte ihm nach. Als ein besonderes Werden ist es festgelegt auf die Natur des Symbols, zu dem es wurde. Nur indem es von dem angerührt wird, was alles Werdende ist und über alles Werdende hinausgeht, kann es von der Bindung an seine eigene begrenzte Natur befreit werden. Das aber, was das Ganze ist und über das Ganze hinausgeht, ist Gott. Deshalb kann uns einzig und allein die Erkenntnis Gottes, die Liebe zu Ihm und die Besitznahme Seiner freimachen. Allein Er, der transzendent ist, kann uns dazu befähigen, uns selbst zu transzendieren. Allein Er, der allumfassend ist, kann uns über unser begrenztes So-sein ausweiten.
In dieser Notwendigkeit liegt die Berechtigung jener großen und unvergänglichen Kraft der Natur, auf die der Rationalismus zu Unrecht und irrational mit Verachtung herabschaut: die Religion. Ich spreche von Religion und nicht von einem Glaubensbekenntnis, einer Kirche oder einer Theologie, denn