neue Lachsalve schnitt ihm das Wort ab. Wenn Bea Wulff lachte, dann tat sie das mit ihrem ganzen walkürenhaften Körper. Dagegen kam niemand an. »Heiko? Etwas Wichtiges? Und überhaupt – eine Sache? Das wäre ja mal ganz was Neues! Als ob der Heiko überhaupt jemals irgendetwas hingekriegt hätte! Von wichtig mal ganz zu schweigen.« Bea Wulff strahlte über sämtliche Sommersprossen; ihre blonde Mähne wogte vergnügt.
Heiko Grendel lief krebsrot an. »Was bist du wieder fies«, krächzte er empört. »Genau wie Renko hier, dieser Ignorant. Haltet euch für wer weiß wie klug und könnt dabei noch nicht mal über euren eigenen Tellerrand gucken. Verbohrt, rechthaberisch und selbstgefällig! Aber irgendwann werdet ihr feststellen, dass die Zeit nicht stillsteht, schon gar nicht euretwegen. Dann ist es zu spät, und ihr könnt nur noch große Augen machen. Ich werde euch schon zeigen, wie es geht. Wartet’s nur ab.«
Große Augen machte Bea Wulff bereits; so kannte sie Heiko Grendel gar nicht. Ihr Blick suchte den von Renko Heidergott. »Ich versteh kein Wort. Hast du eine Ahnung, wovon er spricht?«
»Nee«, erwiderte Heidergott, ebenso bass erstaunt. Dann aber schien ihm etwas zu dämmern. »Soll das etwa heißen, dass du … du selbst …?«
»Und wenn?« Heiko Grendel verlor jede Beherrschung, brüllte durch den Saal, dass die Kronleuchter klirrten. »Und wenn? Glaubt mir: Was ihr könnt, das kann ich schon lange! Nur weil ’ne olle Körnertante und ein überlagerter Fischonkel mir nichts zutrauen, muss das noch lange nicht stimmen. Andere trauen mir etwas zu, oh ja, allerdings! Ihr werdet noch staunen. Staunen werdet ihr!«
Er ließ Heidergott stehen und stürmte zur Tür. Wenn Bea Wolff ihm nicht mit einer schnellen Körperdrehung ausgewichen wäre, hätte er sie angerempelt.
»Damit kommst du nicht durch!«, rief Heidergott ihm hinterher. »Hier kann doch nicht jeder machen, was er will. Es gibt Regeln, an die muss man sich halten. Auch du!«
Heiko Grendel, die Hand schon an der Klinke, drehte sich noch einmal um. »Ja, es gibt Regeln«, sagte er, jetzt wieder scheinbar ruhig. »Die kenne ich alle. Und ich komme damit durch.« Weg war er.
Bea Wulff starrte auf die sich langsam schließende Tür. »Bitte sag mir, dass Heiko jetzt endgültig spinnt«, sagte sie leise, an Renko Heidergotts Adresse gerichtet. »Dann ruf ich gleich Sina an, die ist vom Fach, die kümmert sich um ihn.« Als keine Antwort kam, drehte sie sich langsam zu dem Hausherrn um. »Er spinnt doch, oder?«
»Normalerweise spinnt er, klar«, erwiderte Renke Heidergott. »Aber es gibt ja immer Ausnahmen. Und wenn dies hier eine ist, dann steht eine Menge Ärger bevor.«
»Ärger für wen«, fragte Bea Wulff, »für ihn oder für uns?«
Heidergott nickte. »So sieht’s aus«, sagte er ernst.
3.
Das geht zu leicht, dachte Stahnke. Viel zu leicht. Das wird sich rächen.
Trotzdem behielt er die Richtung bei. Was denn auch sonst – auf Langeoog gab es für ernsthafte Radtouren nur zwei Richtungen, nämlich westwärts oder ostwärts. Im Augenblick rollten sie ostwärts. Und es ging viel zu leicht.
Dabei fuhr er mitnichten sein geliebtes eigenes, leichtgängiges Trekking-Rad, sondern ein schwerfälliges Miet-Dings mit Ballonreifen und ganzen fünf Gängen. Eindeutig unter seiner Würde, fand Stahnke, und außerdem viel zu teuer. Seit sie spontan und übermütig wegen des unverhofft strahlenden Sonnenscheins beim erstbesten Fahrradvermieter im Ortszentrum zugeschlagen hatten, waren sie an einem gefühlten Dutzend weiterer Verleiher vorbeigekommen – und überall waren die Räder günstiger gewesen. Leute wie wir, dachte der Hauptkommissar, sind eben eine Freude für jeden Abzocker.
Seine Selbstkritik aber fiel nicht bitter, sondern heiter aus. Für Bitterkeit war dieser Frühlingstag einfach zu schön.
Und außerdem war ja Sina dabei.
Gerade wurde der Weg wieder einmal breiter, und schon schoss Sina wieder von hinten heran, ließ ihr Rad mit sirrendem Freilauf neben seinem rollen. Ihr rotwangiges Strahlen, eingebettet in einen wirren braunroten Schopf wie in ein Osternest, zeugte von Wohlgefühl und Gastgeberstolz. Ja, mittlerweile sah sie Langeoog als ihre Insel an, auf der sie zwar nicht geboren war, aber immerhin lebte und arbeitete. Stahnke war der Besucher, der Gast. Ein Teilzeit-Insulaner, bestenfalls. Immer mal wieder auf Stippvisite im gemachten Nest. Diesmal über Ostern.
Sagte das irgendetwas über ihre Beziehung aus?
»Mensch, lach doch mal!«, rief Sina. »Ist doch herrlich heute! Und das Radfahren geht ganz leicht.«
Ja, viel zu leicht, das wird sich rächen, wollte Stahnke sagen. Aber da gab es schon wieder Gegenverkehr, und Sina fuhr ein paar Meter voraus, um Platz zu machen.
So dachte Stahnke die Worte nur. Und er dachte darüber nach. Wer machte es sich zu leicht, was würde sich rächen?
Die entgegenkommenden Radler sahen übrigens ziemlich abgekämpft aus, fand er. Ja, so war er, der Wind an der Küste. Kam er von hinten, dann spürte man ihn kaum, und man fühlte sich gut und schnell und überschätzte sich total. Bis es in die Gegenrichtung ging. Der Wind hatte seine Kraft dann noch.
Dafür, dass es erst kurz vor Ostern war, tummelten sich schon ziemlich viele Touristen auf der Insel, fand Stahnke. Gut, die Sonne schien, und für die nächsten Tage war kein Regen angesagt. Trotzdem war es immer noch ziemlich kalt, ohne dicke Jacke ließ es sich nur an sonnigen und windgeschützten Plätzen aushalten, und die Strände gehörten nicht dazu. An Badeurlaub im klassischen Sinne war also nicht zu denken. Umso erstaunlicher, dass die Feriengäste trotzdem bereits jetzt in Scharen einfielen. Na, dachte der Hauptkommissar, die Insulaner wird’s freuen, dass sich die Saison immer weiter verlängert. Schon jetzt galten ja höchstens noch Januar und Februar als »tote Zeit«. Den Rest der Zeit rollte der Rubel.
Sina verlangsamte ihr Tempo ein wenig und ließ Stahnke aufholen. »Gleich kommen wir zur alten Meierei«, rief sie ihm zu. »Ich hätte wohl Lust auf einen Milchkaffee. Wie sieht’s mit dir aus?«
Stahnke bestätigte lebhaft nickend, dachte dabei jedoch nicht an Kaffee, sondern an ein schönes Weizenbier. Das erste des Jahres, denn die Lust auf Weißbier kam bei ihm erst mit der Sonne hervor.
»Na also, jetzt lachst du ja endlich!«
Die alte Meierei sah aus wie ein typisch friesischer Bauernhof, massig und backsteinrot in die Dünen geduckt. Davor eine frisch gemähte Wiese, davor und daneben lange Zäune – und daran lehnend Fahrräder. Hunderte von Fahrrädern, wie es aussah. Die Saison auf Langeoog hatte wahrlich schon früh begonnen. Und zumindest hier nahe der Ostspitze, fand Stahnke, boten sich in Sachen Touristengeschäft noch deutliche Steigerungsmöglichkeiten, denn längst nicht alle durstigen Radler, die nach Plätzen in oder vor der Ausflugsgaststätte in der alten Meierei Ausschau hielten, wurden auch fündig. Einige Ausdauernde standen Schlange, viele aber zogen unverrichteter Dinge wieder ab. Stahnke sah seine Hoffnungen auf das erste Weißbier des Jahres schwinden.
»He, guck mal, da hinten!« Sina hopste und winkte aufgeregt, ließ ihr Fahrrad ins Gras fallen und rannte los. Von ganz hinten winkte jemand zurück. Ein Grüppchen war dort im Aufbruch, und an dem Tisch, wo gerade ein paar Stühle frei wurden, saß Marian Godehau, Redakteur des Langeooger Inselboten, und verteidigte zwei dieser Plätze gegen die sofort nachdrängenden Wartenden. Dass die heranstürmende Sina sich direkt in seine Arme warf, schien ihn hinreichend gegen die Proteste der empörten Touristen abzuschirmen.
Stahnke gab genau das einen Stich. Immer noch, immer wieder. Marian war nun einmal Sinas Ex, und das würde er immer bleiben. Okay, derzeit befand er sich bei Alina Thormählen in festen Händen. Trotzdem musste Stahnke jedesmal, wenn sie sich trafen, aufs Neue einen Anflug von Eifersucht niederkämpfen. Was, bitteschön, sagte das nun wieder über Sinas und seine Beziehung aus?
Mit einiger Verzögerung erreichte auch der Hauptkommissar Marians Tisch. Zum Glück brachen noch weitere Radlertrüppchen in kurzer Folge auf, so dass die Murrenden schnell anderweitig unterkamen. Ein paar missbilligende Blicke noch, dann war das allgemeine Interesse