war und es als Geschäftsführer und Inhaber einer Import-Export-Kette zu einem sehr ansehnlichen Guthaben gebracht hatte. Für Trevisan war dies ein Wink des Schicksals. Er bewarb sich um einen Platz für Paula in der Langenhagener Klinik und erhielt bald eine Zusage.
Es war ein tränenreicher Tag, als er Paula im Klinikgebäude, einem ehemaligen Bauernhof, ablieferte. Hinzu kam, dass er sie in der achtwöchigen Eingewöhnungsphase nicht besuchen und auch sonst keinen Kontakt zu ihr haben durfte.
Trevisan hatte diese Zeit gut genutzt. Er trat seine dreiwöchige Kur in Bad Bergzabern an und ersuchte seine Dienststelle um Abordnung nach Hannover. Kriminaloberrat Beck und die Kriminaldirektorin Schulte-Westerbeck setzten sich sehr für ihn ein, so dass er zunächst für ein Jahr zum Landeskriminalamt abgeordnet wurde. Sein neues Tätigkeitsfeld im Dezernat 32 umfasste die Ermittlungen nach Vermissten, die Identifizierung unbekannter Toter und die Überprüfung von ungelösten Fällen aus dem ganzen Land auf neue Anhaltspunkte und Ermittlungsansätze und war ein typischer Bürojob. Mittlerweile war er in eine Vierzimmerwohnung in Davenstedt gezogen, einem ruhigen Stadtteil von Hannover, wo er Paula nahe sein konnte. Schon die ersten Monate ihres Aufenthalts hatten eine Besserung ihres Zustandes zur Folge, so dass sie mittlerweile zweimal im Monat das Wochenende bei Trevisan verbringen durfte.
Heute war er nach Sande zurückgekehrt, um dieses Kapitel endgültig abzuschließen und das kleine Reihenhaus an eine junge Familie zu verkaufen, die sich für den fairen Preis und Trevisans Entgegenkommen nach dem Notartermin mit einem Essen revanchiert hatte. Aber der Abend sollte seinem langjährigen Freund Peter Koch vorbehalten bleiben, denn schon morgen würde er wieder nach Hannover zurückkehren, um seiner neuen Tätigkeit nachzugehen.
Peter hatte zwei weitere Biere bestellt und klopfte Trevisan aufmunternd auf die Schulter. »Du schaffst das schon«, sagte er. »Du hast schon ganz andere Dinge geschultert.«
Trevisan griff nach dem Bier und prostete Peter zu. »Dein Wort in Gottes Ohr.«
»Und wie läuft es bei der Arbeit?«
Trevisan lächelte. »Ich kann noch nicht viel dazu sagen. Ich bin vorerst nur vier Stunden im Büro und wurde durchs Haus geschickt, um die Abteilungen kennenzulernen. Berufliches Eingliederungs-Management nennt sich das. Soviel ich bislang mitbekommen habe, geht es in meiner neuen Abteilung hauptsächlich darum, Bilder von Vermissten auf Milchtüten zu kleben und auf die drei Birken im Hof zu achten, damit sie nicht weglaufen. Ich muss erst einmal die Leute dort richtig kennenlernen. Bislang bin ich in meiner neuen Abteilung nur auf eine junge, flippige Kollegin gestoßen, die sich den ganzen Tag ihre Fingernägel manikürt. Ich glaube, mir wird schon ein klein wenig die Arbeit auf der Straße fehlen.«
»Vielleicht ist das trotzdem ganz genau das Richtige für dich. Du hattest schließlich ein Burnout-Syndrom.«
»Ich komm schon wieder auf die Beine. War einfach alles zu viel. Paula, die Arbeit und die Sache mit Angela. Na ja, zumindest Paula kommt wieder langsam in Schwung. Sie hat in der letzten Mathearbeit eine glatte Eins geschrieben. Wenn sie so weitermacht, dann wird sie mir langsam unheimlich.«
»Hast du wieder mal was von Angela gehört?«
Trevisan nickte. »Sie hat vor drei Wochen angerufen.«
»Sie hat deine neue Nummer?«
»Auf dem Handy, sie ist in Kanada und jagt Grizzlybären mit der Kamera.«
»Wird das wieder mit euch beiden?«
Trevisan schüttelte nachdenklich den Kopf. »Ich glaube nicht, aber wir bleiben Freunde. Weißt du, wenn man in einer Partnerschaft lebt, auch wenn es eine lockere Beziehung ist, dann muss man zusammenstehen. Ich hätte damals eigentlich erwartet, dass Angela ihre Karriere ruhen lässt und zu uns zieht, um uns über diesen … dieses Chaos hinwegzuhelfen, aber ihr war ihre Arbeit und ihre Freiheit wichtiger. Mit solch einem Menschen möchte ich nicht meine letzten Tage auf dieser Welt verbringen, auch wenn man ihr Verhalten vielleicht rational verstehen kann, weil Angela nie der Typ war, der sich in einer festen Bindung vereinnahmen lässt. Für mich sieht eine echte Partnerschaft anders aus.«
Peter prostete Trevisan zu. »Andere Mütter haben auch schöne Töchter.«
»Und ich habe die schönste Tochter der Welt«, entgegnete Trevisan.
*
Justin Belfort hatte sein Gepäck aus dem roten Audi geholt, das Fahrzeug verschlossen und in der kleinen Pension eingecheckt, in der ihn eine alte Dame mit grauem, zu einem Zopf gebundenen Haar hinter dem Tresen wortkarg empfangen hatte. Der Klosterkrug war Pension, Restaurant und Dorfkneipe zugleich. Über die Redaktion hatte er das Zimmer angemietet und sich angesichts des kalten Empfangs auf sein Zimmer zurückgezogen.
Die beiden Fahrräder der Mädchen waren unweit des Bannsees, einem Biotop im Wald, nördlich von Tennweide von einem Landwirt gefunden worden. Der Polizist, bei dem er es gemeldet hatte, wohnte hier in Tennweide. Er arbeitete in dem kleinen Polizeistützpunkt in Mardorf, der auch für Tennweide und die Umgebung zuständig war. Außerhalb der Saison verrichteten die Beamten des Polizeistützpunktes Mardorf auf der Polizeistation in Steinhude ihren Dienst. Genau dort würde Justin Belfort mit seinen Recherchen beginnen, doch heute wollte er noch das Tageslicht nutzen und dem Bannsee einen Besuch abstatten.
Er verstaute das Gepäck in seinem Zimmer, griff er nach seiner Kamera, schloss die Tür ab und ging hinunter zur Rezeption.
»Zwischen sechs und sieben Uhr gibt es Abendessen«, knurrte die Frau hinter dem Empfangspult.
»Können Sie mir sagen, wie ich hier am schnellsten an den Bannsee komme?«, fragte Justin.
Die Frau legte ihre Stirn in Falten. »Was wollen Sie denn dort?«
Justin hatte nicht vor, zu früh zu offenbaren, welche Gründe ihn nach Tennweide geführt hatten. »Ich will mich nur in der Gegend umsehen und ich hörte, dass es im Wald einen idyllischen Flecken geben soll, der Bannsee genannt wird.«
»Fahren Sie doch ans Steinhuder Meer«, antwortete die Wirtin. »Alle tun das.«
Justin Belfort grinste und bedankte sich. Er verließ den Klosterkrug und setzte sich in seinen Wagen. Das Navigationsgerät würde ihm schon den Weg weisen.
*
Magda Töngen, die alte Wirtin und Inhaberin des Klosterkruges, schaute dem jungen Mann nach, bis er mit seinem roten Audi in die Mardorfer Straße eingebogen war, und schüttelte den Kopf. Sie verließ die schummrige kleine Rezeption und betrat den Gastraum im linken Teil des Gebäudes. Drei Männer saßen in dem ansonsten leeren Raum an einem runden Tisch, tranken Bier und spielten Skat.
Sie trat an den Stammtisch und griff nach einem leeren Bierglas. »Noch eins?«
Der Mann mit den grauen Haaren, etwa Mitte fünfzig, schaute von seinen Karten auf und nickte.
Zögernd sagte die Wirtin: »Da ist wohl wieder so ein Spinner hier, der sich für den See und die verschwundenen Mädchen interessiert.«
»Wie kommst du darauf?«, fragte der Grauhaarige.
»Sein Zimmer hat irgendeine Zeitungsredaktion gebucht. Und jetzt hat er mich nach dem Weg zum Bannsee gefragt. Hört das denn nie auf …«
»Wie heißt der Kerl?«
»Er hat sich als Justin Belfort aus Hannover eingetragen«, antwortete die Wirtin. »Diese Kerle tauchen hier auf, stellen dumme Fragen und schnüffeln überall herum. Das macht uns allen das Geschäft kaputt.«
»Ich werde mich darum kümmern. Schreib mir mal auf, welche Adresse er angegeben hat«, antwortete der Gast, der Thomas Klein hieß und Leiter des kleinen Polizeistützpunktes in Mardorf war, in dessen Zuständigkeitsbereich Tennweide lag.
2
Donnerstag
Trevisan hatte das mehrstöckige Dienstgebäude in der Schützenstraße in Hannover gegen acht Uhr betreten. Mit dem Fahrstuhl fuhr er in den dritten Stock, in dem das Dezernat 32 untergebracht war. Sein Büro, das er mit Kollegin Kowalski teilen