Richard A. Huthmacher

„… Gesetz und Freiheit ohne Gewalt“: „Die höchste Form der Ordnung“


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anarchistischen Freiheitsgedanken leitet sich die un-bedingte Forderung der Anarchisten ab, den Staat in seiner jeweils herrschenden Form, seine Macht- und Herrschaftsverhältnisse abzuschaffen.

      Und Alternativen zur alten Staatlichkeit zu entwickeln:

       So viel Kollektivität wie nötig, so viel Individualität wie möglich.

       Gleiche Chancen und Rechte, aber keine Gleichmacherei.

       Abschaffung der kapitalistischen Produktionsweise. Abschaffung des kapitalistischen Geld- und Zins-, namentlich des Zinses-Zins-Systems.

       Ersatz dieses kapitalistischen Wirtschaftssystems, nicht durch eine sozialistische Plan-, sondern durch eine solidarische Bedarfswirtschaft.

       Überwindung von Klassen- und sonstigen Macht-Hierarchien: Zwar werden Menschen unterschiedlich geboren. Und sollen unterschiedlich bleiben. Aber sie sollen nicht aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer Rasse, ihrer Nationalität oder Religion, namentlich nicht aus wirtschaftlichen Gründen irgendwelche Privilegien besitzen. In diesem Zusammenhang sind beispielsweise eine Vielzahl rechtlicher Bestimmungen, insbesondere Eigentum, Besitz und Erbrecht betreffend, neu zu regeln.

       Durch Überwindung des Staates sind auch dessen Institutionen (grundsätzlich) in Frage zu stellen und weit(est)gehend abzuschaffen; dies gilt namentlich für die Regierung des jeweiligen Staates, für seine bürokratischen Strukturen, für Armee, Polizei und Justiz, ebenso für das staatliche Erziehungsmonopol; zu beseitigen ist auch die Hoheit einiger weniger über die Medien (Zeitungen, Rundfunk, Fernsehen).

       Weil viele religiöse und anarchistische Vorstellungen, Moral und Ethik betreffend, durchaus übereinstimmen, ist der Anarchismus eher antiklerikal (also gegen religiös verbrämte Herrschaftsstrukturen gerichtet) als anti-religiös.

       „In freien Gesellschaften darf es kein Eigentum an Menschen mehr geben. Anarchisten wenden sich deshalb gegen die alltäglichen Abhängigkeits- und Unterdrückungsverhältnisse – speziell die von Frauen und Kindern. Die meisten Libertären lehnen daher auch die Institution der Ehe und der ´bürgerlichen Kleinfamilie´ ab. In ihr sehen sie eine wichtige Stütze des Staates.Sie ziehen freiwillige Zusammenschlüsse nach dem Prinzip der Wahlverwandtschaft vor, etwa in Großfamilien, Wohngemeinschaften oder Kommunen, deren Zusammensetzung wechseln kann.Das bedeutet übrigens nicht, daß alle Menschen so leben müßten oder daß sich zwei Menschen nicht etwa lebenslang lieben und [einander] ´treu´ sein dürften – vorausgesetzt, sie tun dies freiwillig und ohne den erpresserischen Zwang des Eherechts.Vielmehr geht es darum, auch andere Formen zuzulassen und die in normalen Familien übliche Hierarchie zu überwinden: Frauen und Kinder sollen als gleichberechtigte Menschen akzeptiert sein, und die religiös gefärbte Sexualmoral soll einer lustvollen Gleichberechtigung weichen. Das Patriarchat als die bei uns gängige Form der Herrschaft steht damit automatisch im Zielkreuz anarchistischer Kritik.“

       Wichtiges Anliegen ist den Anarchisten auch die Ökologie. Denn eine frei Welt ist nicht in einer zugrunde gehenden Umwelt möglich.

       Libertäre Gesellschaften sind nicht das Paradies; auch in ihnen wird es Ungerechtigkeit, Aggressionen, wohl auch Kriminalität geben. Gleichwohl sollen gesellschaftliche Strukturen entwickelt werden, in denen soziales Fehlverhalten minimiert wird.

      Denn immer stellt sich die Frage: Wer ist Täter? Und wer ist Opfer?

      Auch wenn staatlich-autoritäre Strukturen zum Ziel haben, aus jedem Strafgefangenen einen Dymas zu machen, werden sie doch, immer wieder, einen neuen Gestas hervorbringen. Denn Gewalt erzeugt Gegengewalt. Die wir dann im Knast zu büßen haben und zudem – wie Dimas – durch unsere Unterwerfung bereuen sollen.

      Derart schaffen seit biblischer Zeit die Täter ihre Opfer. Und verzeihen ihnen, den Opfern, wenn sie, die Opfer, bereuen, dass sie durch der Täter Taten zu Opfern wurden. Das nennt man strukturelle Gewalt. Oder auch die Logik der Herrschaft. Dem wollen Anarchisten wehren.

      Und sie, die Anarchisten, wollen, beispielsweise, auch den (-selben Herrschafts-) Strukturen wehren, die Ursache und Anlass für psychiatrische Anstalten bzw. für die Zwangseinweisung von (allein in Deutschland jährlich fast 200.000!) Menschen sind:

      „Psychisch Kranke sind in rechtsstaatlichen Demokratien die einzigen Menschen, denen die Freiheit entzogen werden darf, ohne dass sie eine Straftat begangen haben.“

      Die Psychiatrie hat eine janusköpfige Doppelfunktion: Sie soll nicht nur psychisch leidenden Menschen helfen, sondern und insbesondere auch sozial abweichendes Verhalten kontrollieren sowie auffällige, nicht berechenbare, unerwünschte, kurzum abweichende Handlungsweisen sanktionieren.

      Psychiater sind befugt, Zwang und Gewalt auszuüben, und dies im staatlichen Auftrag; dadurch ist ihre Funktion der ordnungspolitischen Rolle der Polizei vergleichbar und ergänzt die Tätigkeit der Hüter dessen, was nach gesellschaftlichem Konsens (?) für Recht und Ordnung gehalten wird.

      Die Macht der Psychiatrie und der sie ausübenden Psychiater ist mithin gewaltig; sie entziehen Menschen die Freiheit, nötigen ihnen eine „Behandlung“ auf – meist mit Psychopharmaka, nicht selten, auch heute noch, mit (noch schlimmeren) Foltermethoden wie beispielsweise der Elektrokrampftherapie …

      Soweit irgend möglich, wird das, was hinter Psychiatriemauern geschieht, vor der Öffentlichkeit verborgen. Gewalt ist in der Psychiatrie gleichwohl allgegenwärtig, jeder Insasse kann deren Opfer werden, jeder dort Tätige, ob Pfleger oder Arzt, muss bereit sein, sie anzuwenden.

      Eine Zwangseinweisung kann jeden treffen – wenn er den falschen Leuten in die Quere kommt, ist es sehr schnell um seine Bürgerrechte, um seine Freiheit und seine körperliche Unversehrtheit geschehen.

      Jedenfalls: Wer sich nicht biegt wird gebeugt. Wer sich nicht beugt wird gebrochen. In patriarchalischen strukturell gewaltbasierten Gesellschaften. Dem stellen Anarchisten die Vorstellung einer von der Herrschaft des Menschen über den Menschen freien Gesellschaft gegenüber. Der werte Leser möge selbst entscheiden, in welcher dieser Gesellschaften er leben will.

      Mithin, somit: „Die Anarchisten“ sind (nicht nur eine überaus heterogene Bewegung, sondern auch und namentlich) nicht die gemeingefährlichen Attentäter, Bombenleger, Dynamitarden, Kleine-Kinder-Fresser, als die „man“, will meinen: als welche die Herrschenden, diejenigen, die ihre Machtstrukturen durch jede egalitäre Bewegung bedroht sehen, sie mit Vorliebe darstellen. Anarchisten sind vor allem eins: Freiheitsliebende, die jegliche Herrschaft des Menschen (oder eines Systems) über den Menschen ablehnen.

      Anarchisten sind und waren – ob bewusst oder unbewusst sei dahin gestellt, jedenfalls faktisch – ein Kontrapart zu all den Bewegungen, die Menschen unterdrücken oder – oft gefährlicher noch, weil sehr viel schwerer zu erkennen – in eine bestimmte Richtung zu „erziehen“, zu manipulieren versuchen.

      Sie waren und sind ein Gegenentwurf für viele derer, die sich in „geschlossenen“ gesellschaftlichen Systemen (wie z.B. in dem als kommunistisch/sozialistisch bezeichneten der DDR) nicht (mehr) zu Hause fühl(t)en.

      Insofern ist Anarchie – eo ipso – an kein (gesellschaftliches, politisches, religiöses, philosophisches) System gebunden; sie, die Anarchie ist schlichtweg die Suche des Menschen nach sich selbst: in seiner Un-bedingtheit, frei von allem und jedem, nur begrenzt durch die Unverletzlichkeit anderer freier Menschen und der Grenzen, die diese zum Schutz ihrer je eigenen Person setzen.

      Insofern ist Anarchie der Todfeind jeder Ordnung, die auf Herrschaft, Macht und Unterdrückung, auf oben und unten beruht; sie ist letztlich eine Gesellschaft von Freien unter Freien, sie ist die soziale und politische Manifestation von Humanismus und Aufklärung.

      Dies ahnten, fühlten all die „Anarchisten“ im kurzen langen Jahr „der Wende“. In diesem Jahr zwischen 1989 und ´90, wo alles möglich schien. Und tendenziell auch war. Als die Menschen sich selbst ein Stück näher kamen. Als sie erkannten, wer sie sein könnten. Als die große Chance einer wirklichen gesellschaftlichen Erneuerung bestand (ob die „friedliche Revolution“ nun als false flag inszeniert war oder auch nicht); das