Alfred Bekker

5 Strand Krimis: Killer, Kohle und Konsorten


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Hund."

      "Martin?"

      "Ja, Ihr Martin."

      Es entstand eine Pause. Im Hintergrund tickte die Wohnzimmeruhr vor sich hin. Tick, tack... Carola machte das rasend.

      Nur ruhig bleiben!, sagte sie sich. Ruhig bleiben und nicht den Kopf verlieren.

      Tick, tack...

      Zeit gewinnen! Irgendwie musste sie Zeit gewinnen. Er schien sich noch nicht im Klaren darüber zu sein, was er mit ihr anfangen sollte. Er hatte wohl nur mit ihrem Mann gerechnet und eigentlich wäre sie jetzt ja auch noch nicht zu Hause gewesen.

      Wenn er Martin umbringt, dann wird er mich kaum am Leben lassen können, überlegte sie.

      Sie fragte sich, warum er es dann noch nicht getan hatte.

      Vielleicht wollte er einfach nicht, dass man jetzt schon ein Schussgeräusch hören konnte.

      "Haben Sie die Männer auf den Fotos auch... umgebracht?", fragte sie mit zitternder Stimme, die aber mit jedem Wort sicherer wurde.

      "Halten Sie einfach den Mund, ja?"

      "...und wenn Martin gleich zurückkommt, dann soll ich in aller Ruhe mit ansehen, wie er eine Kugel von Ihnen bekommt? Das haben Sie doch vor, oder?"

      Er zuckte die Achseln.

      Schließlich sagte er nach kurzer Pause: "Es tut mir leid, dass ich Sie da hineinziehen musste. Es tut mir leid, aber ich kann nichts dafür. Normalerweise sind Sie um diese Zeit nicht zu Hause!"

      "Ich weiß...Wie sind Sie überhaupt hier hereingekommen?"

      "Durchs Klofenster. Es war abgeklappt."

      "Ja, das war Sven. Er müsste eigentlich schon längst hier sein..."

      "Ihr Sohn ist noch mindestens zwei Stunden weg. Handballtraining..."

      Carola atmete tief durch.

      "Sie wissen sehr gut Bescheid..."

      "Ja, ich habe mich informiert! Und Feller - also ich meine Ihr Mann - hat Ihnen bestimmt nichts gesagt? Über die Fotos zum Beispiel?"

      "Er hat mir gesagt, dass er für die Stasi... Aufträge ausgeführt hat. Früher, meine ich. Schon lange her..."

      Sie sah, wie der Motorradhelm sich hob und senkte.

      "Ja, richtig."

      "Hören Sie, mein Mann hat wirklich nicht vor, Ihnen irgendwie zu schaden! Ihnen oder Ihrem Auftraggeber!"

      "Was Sie nicht sagen!"

      "Für ihn sind die alten Zeiten vorbei - aus und vergessen. Und er will nichts, als sein Geschäft betreiben und ein ganz normales Leben führen..."

      "Ein ganz normales Leben", unterbrach er sie mit einem zynischen Unterton. "Schön haben Sie das gesagt! Wirklich schön!"

      Carola hob die Arme und beugte sich erneut etwas vor, worauf der Mann mit dem Helm diesmal allerdings nicht weiter reagierte.

      "Sie müssen mir glauben!", rief sie.

      Wieder ein heiseres Lachen.

      "Ich kann mir gut vorstellen, dass er die alten Zeiten gerne vergessen würde. Oder vielleicht sogar schon vergessen hat."

      Carola begriff nicht.

      "Na, dann ist doch alles in Ordnung oder?", meinte sie. "Er verlangt auch kein Geld oder so..."

      Jetzt war er es, der sich vorbeugte. Er nahm den Fuß vom Tisch und auf einmal war ein seltsames Vibrieren in seiner Stimme.

      "Hören Sie, Ihr Mann mag alles vergessen haben, aber ich, ich kann es nicht vergessen!", zischte er. "Niemals!"

      "Ach, so ist das", murmelte Carola, so als ob sie verstanden hätte, was er meinte.

      Er nickte leicht.

      "Ja, so ist das!", fauchte er.

      Sie nahm einen erneuten Anlauf. Um keinen Preis wollte sie das Gespräch abreißen lassen. Aus den Augenwinkeln heraus blickte sie zur Uhr. Ihr Mann musste jeden Moment kommen.

      "Sie sind ein Ossi, nicht wahr?", fragte sie. "Ich meine, ich wollte sagen, also... Ein Bürger aus den fünf neuen Bundesländern?"

      Kopfschütteln.

      "Nein. Ich war noch nie dort."

      "Was?"

      "Ihr Mann scheint Ihnen nicht alles gesagt zu haben."

      "Sind Sie kein Ex-Stasi-Mann?"

      "Ich?"

      "Ja, sicher!"

      Er lachte. "Nein, ich bestimmt nicht", murmelte er dann kopfschüttelnd.

      Carola war wie vor den Kopf gestoßen.

      "Aber..."

      "Ich möchte, dass Sie sich folgendes vorstellen!", forderte er und wieder vibrierte seine Stimme. Er atmete schneller, als er leise fortfuhr: "Ein kleiner Junge, vielleicht vier Jahre alt, betritt die Wohnung seiner Eltern. Er kommt vom spielen, den Ball hat er noch unter dem Arm. Er ist hingefallen und hat das Knie blutig und nur deshalb ist er jetzt hier." Er schnappte nach Luft und machte eine Pause. Dann schluckte er. "Können Sie mir folgen?"

      "Ja", sagte Carola fast tonlos. "Erzählen Sie mir, wie es weitergeht..."

      "Der Junge kommt in die Wohnung. Die Tür steht auf. Er sieht seine Eltern, beide liegen auf dem Boden - tot. Und daneben steht ein großer Mann mit einer sehr langen Pistole. Er sieht den Jungen an und der Junge sieht ihn an. Und dann ist da noch ein zweiter Mann, der gerade den Schreibtisch durchsucht. Er trägt Handschuhe. 'Komm!', sagt der Mann mit der Pistole. Dann gehen sie an dem Jungen vorbei, verlassen die Wohnung und verschwinden."

      Das Schweigen, das dann den Raum erfüllte war unangenehm und drückend. Und im Hintergrund ging immer noch die Uhr.

      Unablässig ging das Pendel hin und her. Carola dachte unwillkürlich an ein Fallbeil.

      "Der Junge - das waren Sie?", fragte sie.

      Er nickte.

      "Sie dürfen dreimal raten, wer der Mann mit der Pistole war!"

      Carola hob die Augenbrauen.

      "Martin?

      "Ja."

      "Und der zweite Mann?"

      "Norbert Wolf."

      "Sie... Sie täuschen sich bestimmt!"

      "Nein, ich täusche mich nicht", erklärte er. "Ich habe Jahre gebraucht, um herauszufinden, was damals geschehen ist. Aber seit es die Mauer nicht mehr gibt, ist alles etwas leichter geworden... Der Mann auf dem ersten Foto, das war der Stasi-Offizier, von dem Ihr Mann seine Aufträge erhielt!"

      "Aufträge?", erkundigte sie sich, und ihre Augen wurden schmal dabei.

      "Ja, insgesamt sieben", bestätigte er. "Sieben Menschen, die Ihr Mann und Norbert Wolf umgebracht haben. Politische Gegner, die in den Westen geflohen waren, Überläufer, was weiß ich... Missliebige eben."

      Carola hatte das Gefühl, einen Schlag vor den Kopf zu bekommen. Alles drehte sich vor ihren Augen. Ein Schwindelgefühl erfasste sie.

      "Das wusste ich nicht."

      "Sie haben geglaubt, dass Ihr Mann nur ein paar Panzer fotografiert hat, was? Nein, er hatte ganz spezielle Aufgaben. Aber er wird dafür bezahlen!"

      "Mein Gott... Können wir uns nicht irgendwie einigen? Ich meine..."

      Der Helm hob sich ein wenig. Carola blickte in ihr eigenes Spiegelbild.

      "Einigen?", fragte er höhnisch.

      "Geld, vielleicht. Unsere Firma geht gut, da..."

      "Vergessen