Cedric Balmore

Einäugige Killer: 5 klassische Krimis


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      »Sie werden jetzt sterben, G-man«, sagte sie.

      Es war kein Haß in ihrer Stimme, aber auch keine Fröhlichkeit. Was sie sagte, klang eher ein wenig bitter, aber auch abgeklärt und entschlossen. Sie machte nicht den Eindruck eines Menschen, der irgendeinem Argument zugänglich sein würde.

      Sie hatte den Finger am Druckpunkt des Abzugs liegen. Es war klar, daß ich versuchen mußte, ihr die Waffe mit einem Handkantenschlag aus den Fingern zu fegen, aber ich tat zunächst nichts dergleichen.

      »Jeder Verurteilte hat ein Anrecht, zu der gegen ihn erhobenen Anklage Stellung zu nehmen«, sagte ich. »Warum wollen Sie mich töten?«

      »Sie haben Les erschossen. Nun erschieße ich Sie!«

      Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber in diesem Moment krachte es.

      Die Puppe vor mir zuckte zusammen. Ich wußte jetzt, daß sie keine Lady war. Ladys töten nicht. Aber sie war schön, schön genug, um sich vorzustellen, wie es wohl wäre, wenn man seine Arme um sie schließen könnte.

      Die Puppe ließ die Hand mit der Pistole fallen. Die Waffe löste sich aus ihren Fingern und krachte auf den Bürgersteig. Meine Umgebung kam zu einem plötzlichen Halt, als wäre sie Teil eines Films, dessen Projektion gestoppt worden war.

      Der Schuß hatte die Leute versteinern lassen, aber schon im nächsten Moment kam Bewegung in die Masse. Die Menschen liefen schreiend auseinander. Sie suchten Schutz in Hauseingängen und hinter parkenden Fahrzeugen.

      Das Girl fiel mir in die Arme. Sie war leicht, weich und elastisch. Um so erschreckender war die Feststellung, wie sie auf einmal starr und schwer wurde. Meine rechte Hand, die auf dem Mädchenrücken lag, berührte den häßlichen Rand einer Einschußwunde und fühlte die Wärme des hervorquellenden klebrigen Blutes. Ich ließ das Mädchen zu Boden gleiten und hob gleichzeitig den Blick, um zu sehen, wer geschossen hatte.

      In diesem Moment sah ich meinen Freund und Kollegen Milo Tucker. Er stand nur sieben Schritte von mir entfernt, in der Rechten seinen Dienstrevolver.

      Milo gab sich einen Ruck und kam auf mich zu. Er schaute dem Mädchen in die brechenden Augen. Ich sah, wie er schluckte.

      »Aus«, sagte er dumpf.

      Warum starb das schöne Mädchen?

      Ich drehte das Mädchen behutsam auf die Seite. Meine Blicke hingen an seinen Lippen und warteten auf ein letztes Wort. Es kam nicht. Als ich mich erhob, war es mir zumute, als müßte ich eine Tonnenlast hochstemmen.

      »Warum hast du das getan?« fragte ich. Ich schaute noch immer die Tote an. »Okay, sie hat mich bedroht. Sie wollte mich töten. Aber du hättest sie mit einem gezielten Schuß in den Arm außer Gefecht setzen können…«

      »Sie wollte dich töten?« fragte Milo.

      Ich blickte ihn stirnrunzelnd an. »Das hast du doch gesehen«, sagte ich.

      Milo sah verblüfft aus. »Wovon redest du überhaupt?« fragte er. »Ich sah nur ein Mädchen, das mit dir sprach und mir dabei den Rücken zukehrte. Ich habe nicht auf sie geschossen. Ich riß die Waffe aus der Schulterhalfter, als ich den Schuß krachen hörte und das Mädchen zusammenzucken sah.«

      »Der Schuß kam aus deiner Richtung.«

      »Nein, er kam von da drüben, von der Fahrbahn her«, widersprach mir Milo und wies auf die Straße. Die Fahrer in der langen Autoschlange hatten nicht einmal bemerkt, was geschehen war. Die parkenden Fahrzeuge am Bürgersteig entzogen ihnen die Sicht auf die Tote. Zögernd kamen die geschockten Tatzeugen aus ihren Verstecken hervor. Um uns bildete sich ein dichter Ring von Neugierigen.

      »Ich hab’ den Mann gesehen«, erklärte eine Frau aufgeregt. »Er hat aus einem Wagen geschossen!«

      »Haben Sie sich die Wagennummer gemerkt?« fragte ich.

      »Nein — es ging zu schnell.«

      »Würden Sie den Mann wiedererkennen?« wollte ich wissen.

      Die Frau zögerte. Sie fühlte alle Blicke auf sich gerichtet. Sie war eine einfache Frau. Möglicherweise geschah es zum erstenmal, daß sie auf diese Weise in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt wurde. Sie fühlte, daß sie sich bewähren mußte, und versicherte: »Ganz bestimmt sogar! Ich weiß genau, wie er aussah… Ein brutaler Kerl mit einer Boxervisage.«

      »Unsinn«, widersprach ein hochaufgeschossener Endfünfziger. »Er hatte ein rundes, nichtssagendes Gesicht… Glatt rasiert, ohne besondere Merkmale. Der Kerl trug einen dunkelbrauen Filzhut mit hellem Band.«

      Die Leute redeten wild durcheinander; Gefühlsmäßig hielt ich den Mann für den zuverlässigeren Beobachter, aber natürlich mußten wir dafür sorgen, daß jede Aussage detailliert zu Protokoll genommen wurde.

      »Ich rufe die Polizei und die Mordkommission«, sagte Milo und drängte sich durch den Kreis der Neugierigen.

      Ich bückte mich nach der Lackledertasche der Toten und hob sie auf. Der Führerschein des Mädchens lautete auf den Namen Corinna Price. In einem Seitenfach entdeckte ich die quittierte Rechnung eines exklusiven Modehauses. Sie lautete über zweihundertelf Dollar und enthielt Corinnas volle Adresse: West End Avenue 414.

      Dann kam das übliche. Die Mordkommission, .Erklärungen, Fragen, Berichte und ani Ende das Unterschreiben der Protokolle. Milo und ich setzten uns eine halbe Stunde später in meinen Jaguar. Wir riefen das District Office an, gaben unseren Standort durch und berichteten, was geschehen war. Dann stoppten wir vor einem Schnellrestaurant, das für seine reiche Auswahl großer Steaks bekannt war.

      »Ich kann jetzt nicht essen«, sagte ich, als Milo ausstieg.

      »Ich kann mir denken, wie dir zumute ist«, meinte Milo. »Bloß mein Magen schafft das nicht.«

      »Ich hol’ dich in einer halben Stunde hier ab«, sagte ich. »Bis zur West End Avenue sind es nur fünf Minuten. Ich, muß feststellen, wer das Mädchen war.«

      »Das schaffst du auch mit ein paar Anrufen«, meinte Milo.

      »Ich muß sehen, in welcher Umgebung sie lebte. Ich muß erfahren, warum sie mich töten wollte.«

      »Sie hat es dir gesagt?«

      »Sie sagte, ich hätte Les erschossen. Du weißt so gut wie ich, daß das nicht stimmt. Ich habe keinen Mann erschossen. Ich kenne keinen Les.«

      »Sie hat dich angesprochen und kannte deinen Namen«, stellte Milo fest.

      »Jemand muß ihr einen Bären aufgebunden haben«, meinte ich. »Es gibt dafür nur eine plausible Erklärung. Dieser Les war ihr Liebhaber. Er bedeutete ihr alles. Als er erschossen wurde, wollte sie seinen Tod rächen. Irgend jemand — vermutlich der Mörder — hatte den reizenden Einfall, dem Mädchen weiszumachen, daß ich Les getötet hätte. Was daraus wurde, haben wir erlebt.«

      »Eine hübsche Geschichte«, spottete Milo. »Plausibel, wie du so schön sagst. Du hast nur vergessen, den zweiten Teil der Story zu analysieren. Wer erschoß Corinna Price — und warum?« Milo erwartete offenbar keine Antwort von mir, denn er fuhr fort: »Ich lasse mir etwas dazu einfallen. Ich denke beim Steak darüber nach.«

      »Übernimm dich nicht dabei«, sagte ich und fuhr los.

      Das Haus West End Avenue 414 gehörte zu jenen hochklassigen Apartmenthäusern, in denen zu leben weitaus teurer war als der Kauf eines Bungalows in den Vororten. Der goldbetreßte Portier vor der Kristalldrehtür zeigte, daß die Hausbewohner Wert auf Sozialprestige legten und keine Scheu vor Protzertum hatten.

      Ich zeigte dem Goldjungen meinen Ausweis und versüßte ihm dessen Anblick mit einer Eindollarnote. Die kühle Reserve, mit der er den Schein in seinem Ärmelaufschlag verschwinden ließ, deutete an, daß er größere Trinkgelder gewohnt war.

      »In welcher Etage wohnen die Prices?« fragte ich ihn.

      »In der zweiten,