Michael Exner

Ethnobombe


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Ausbrüche an drei Stellen entstanden sind. Das Virus ist zunächst in einer schwächeren Form entstanden, dann mutiert und weiter getragen worden.“ Man sah ihr an, dass sie kein Freund von Spekulationen war.

      „Moment!“ Anna Kampa unterbrach. „Nur für mein Verständnis – wenn wir schon bei Ebola sind – wie erklären Sie dann den großen Ausbruch in Westafrika? Wann war das, 2015? Damals lief sich nichts ‚tot‘, im Gegenteil, hier musste man monatelang mit Hilfe aus aller Welt die Epidemie bekämpfen.“

      Doktor Li schüttelte den Kopf. „Anfangs, im Frühjahr 2014, waren wir tatsächlich der Meinung, es mit einem neuen, deutlich virulenteren Stamm von Ebola zu tun zu haben. Das hat sich aber schnell als Irrtum herausgestellt. Der Stamm war bekannt, die Erklärung für die schnelle Ausbreitung der Epidemie war ein Bündel von Ursachen. Die neue Qualität in der Krankheitsausbreitung war in erster Linie dem religiösen Totenkult in dieser Ecke der Welt zuzuschreiben. Bei diesem Kult kommen die Lebenden mit den Toten in engen Körperkontakt – der ideale Weg zur Ansteckung. Dazu kam, dass der Ausbruch erstmals in einer dicht bewohnten Gegend mit größeren Städten stattfand und nicht, wie früher irgendwo im Busch, wo höchstens ein paar Hundert Menschen in wenigen Dörfern wohnten.“

      „Aber man konnte doch die Leute aufklären; ihnen beibringen, Erkrankte und Tote zu isolieren oder in Auffangstationen zu bringen.“

      „Sie glauben nicht, wie schwer es ist, gegen jahrhundertealte Traditionen anzukämpfen. Dazu kam, dass die Menschen dort von den Priestern aufgehetzt wurden. Man machte ihnen weis, die Kranken und Toten würden nur von ihren Familien getrennt, weil man ihnen Organe entnehmen wollte.“

      „Tja,“ da Sibo hatte wieder diesen Gesichtsausdruck, den nur Sara verstand. „Religiosität korreliert mit dem Alter, fehlender Intelligenz und, wie vor allem hier, mit mangelnder Bildung.“

      „Ja, aber stellen Sie sich die Situation vor, als die Zahl der Infizierten Ende 2014 regelrecht explodierte. Es kam zu kaum vorstellbare Szenen. In den Dörfern und Städten wurden Kranke und Tote stunden- manchmal tagelang von einem Krankenhaus zum anderen gekarrt, praktisch ohne die Möglichkeit, Hilfe zu finden, weil alle medizinischen Einrichtungen, die Ebola-Patienten aufnehmen konnten, hoffnungslos überfüllt waren.“

      „Doktor Li?“ Sara fragte ganz leise. „Sie waren damals dabei?“

      Die Chinesin hatte sich im Griff. „Mit den ‚Ärzten ohne Grenzen‘. Ab Mitte 2014 bis zum Ende. Das heißt - zwölftausend Tote später.“

      Der Bass meldete sich wieder: „Wir sind ziemlich weit vom Thema abgekommen. Was ist jetzt mit der zweiten Möglichkeit, die Sie uns versprochen haben? Ich hoffe nicht, dass Sie uns erzählen wollen, dass jemand so ein Monstrum absichtlich und an drei Orten gleichzeitig unter die Leute gebracht hat!“

      Wieder mischte sich Mauters ein: „Es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte, dass Krankheitserreger bewusst freigesetzt werden.“

      „Aber das wäre vielleicht das letzte Mal, weil die Menschheit dann ausgerottet ist.“ Diesmal sah da Sibo den Sprecher, denn er war aufgesprungen: Ein hagerer Hüne von über zwei Metern, mindestens siebzig Jahre alt, mit einem Raubvogelgesicht. In dem Moment wusste er auch, woher er diese Stimme kannte. Sie gehörte Dr. Søren Ringstrøm, Professor der Paläomikrobiologie an der Smithsonian Institution. Alva hatte ihn als Student erlebt und wusste, dass ihm der Ruf vorausging, keinem Streit aus dem Weg zu gehen.

      Li hatte offensichtlich nicht vor, mit dem Professor in den verbalen Clinch zu gehen. Sie schwieg einfach. Ringstrøm sah wohl ein, dass im Moment die Situation entschärft war und setzte sich.

      Anna Kampa war wieder zu sehen. „Da hierzu noch keine Fakten vorliegen, bitte jetzt Sie, Dr. Graber!“

      Das nichtssagende Gesicht eines Mittfünfzigers erschien. Graber räusperte sich mehrmals und begann: „Wir sind seit vier Tagen dabei, die Todesursachen zu ermitteln. Das gelingt uns zwar in praktisch jedem Fall, ist aber genauso vielfältig wie verwirrend. Vorwiegend ist es eine Art multiples Organversagen, manchmal auch Infarkte, innere Blutungen - besonders Hirnblutungen. Wir haben aber auch regelrechte Organverflüssigungen gefunden, die tatsächlich an Ebola erinnern, allerdings nur in einem kleinen Teil der Fälle. Hier kann man noch am ehesten erkennen, was passiert ist – nämlich die Zerstörung der Zellstruktur, d.h. der Zellwände. Es gibt jedoch keinen gemeinsamen Faktor, ja, wir haben es noch nicht einmal geschafft, einen Virus oder ein Bakterium nachzuweisen. Die Krankheit beginnt meist mit schwerem, wässrigem Durchfall, Bauchschmerzen, Erbrechen, heftigen Brust- und Lungenschmerzen, Halsschmerzen und Husten. Das erinnert an die anfänglichen Krankheitsbilder von Malaria, Typhus oder Gelbfieber.“

      „Ein hämorrhagisches Fieber?“ Das war wieder Ringstrøm.

      „Ja, schon möglich, aber wie gesagt, wir konnten bisher noch keinen Erreger nachweisen.“

      „Und wenn es weder ein Virus noch ein Bakterium ist?“ hörte sich da Sibo erstaunt selbst fragen. Ihm war die Frage des Kapitäns nicht aus dem Kopf gegangen.

      „Ah, Professor da Sibo“ Graber grinste „wenn die Frage nicht von Ihnen gekommen wäre, hätte ich sie wohl ignoriert.

      Also, woran denken Sie?“

      „An nichts Konkretes“, versuchte da Sibo zurück zu rudern „ich möchte nur, dass wir uns alle Optionen offen halten und nicht in irgendetwas verrennen.“

      Aber zu spät, Ringstrøm stand schon wieder: „Soso, Professor, jetzt wird nicht gekniffen, Sie haben doch eine Idee – raus damit!“

      Da Sibo wusste, dass er sich zu weit aus dem Fenster gelehnt hatte. „Vielleicht eine Art Vergiftung oder irgendetwas völlig Neuartiges, wir sollten einfach alles in Erwägung ziehen.“ Jetzt hatte Ringstrøm den Anlass, den er gesucht hatte.

      „Sie meinen also“, höhnte er „dass irgendjemand mit der Giftspritze herumläuft und wahllos Leute zu Tausenden abmurkst?“ Bevor da Sibo antworten konnte, war Kampa übergroß auf dem Bildschirm. „Was soll das, meine Herren, wir sind hier nicht auf dem Schulhof.

      In einem Punkt hat Professor da Sibo allerdings recht: Wir sollten uns alle Optionen offen halten. Und wenn wir die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass diese Pandemie bewusst ausgelöst wurde, sollten wir auch in Erwägung ziehen, dass irgendwelche Irren Tausende Menschen vergiften oder infizieren.“

      Ringstrøm setzte sich schulterzuckend und da Sibo atmete auf.

      Graber ergriff wieder das Wort: „Bevor ich fortfahre, möchte ich etwas zu dem Euphemismus sagen, der noch im Sprachgebrauch ist. Es ist immer noch von Tausenden Toten die Rede, das dürfte aber der Stand von vor drei oder vier Tagen sein. Inzwischen gehen wir von einigen Hunderttausend aus, es gibt Schätzungen von ein bis zwei Millionen weltweit zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Aber dazu kann der Krisenstab Logistik sicherlich mehr sagen.

      Jetzt noch ein paar Worte zum Krankheitsverlauf. Auch hier gibt es große Unterschiede, aber auch viele Gemeinsamkeiten. Manche Patienten sterben ohne vorherige Anzeichen einfach binnen weniger Minuten. Das sind die, die wir der Kategorie multiples Organversagen zuordnen. Andere klagen Stunden vorher über diffuse Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen, Schmerzen aller Art, vor allem Bauchschmerzen, Schwindelgefühle. Später kommt es zu Tremor, Hyperkinesien, Koordinations- und Sprachstörungen, außerdem psychischen Veränderungen, vor allem Aggressivität und Verfolgungswahn. Die letzteren Symptome lassen zum Teil an die Veränderungen der Patienten im Endstadium von Chorea Huntington denken – allerdings in einem nie zuvor beobachteten Tempo. Tatsächlich lassen sich degenerative Veränderungen an sämtlichen Nervenzellen der Patienten finden. Gerade diese Veränderungen, die eher an eine Zellstoffwechselstörung denken lassen, geben Anlass zu Zweifeln, dass wir es mit einem klassischen Virus zu tun haben. Ich denke, dann hätte Dr. Li ihn schon gefunden.

      Noch ein Bemerkung zu dem Typ des Patienten. Normalerweise ist es so, dass zunächst Alte, Schwache und Kleinkinder von Massenerkrankungen betroffen sind. Hier sieht es so aus, als ob Kinder nicht und Menschen jenseits der fünfzig nur bedingt betroffen sind. Die Bevölkerung in den mittleren Jahrgänge wird praktisch ausnahmslos ausgerottet.“