August Schrader

Die Braut von Louisiana (Gesamtausgabe)


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Stirn, »hätten Sie wohl ein Recht, sich darüber zu wundern? Sollen Ihnen meine Briefe, die ich von Paris aus an Sie richtete und stets ungeöffnet zurückerhielt, nicht nur meine Tür, sondern auch meine Arme öffnen, als ob ein getreuer Liebhaber, ein zärtlicher Bräutigam seinen Einzug hielte? Seit mehr als einem Jahr ließen Sie mich ohne Nachricht, verschmähten es, die Zeilen anzunehmen, die meine Hand schrieb, dieselbe Hand, deren Besitz Sie zu dem glücklichsten der Menschen machen würde – so sagten Sie mir wenigstens, wenn Sie zu meinen Füßen lagen.«

      »Arabella«, rief der junge Mann mit glühenden Augen, »Sie haben recht, wenn Sie mir zürnen, doch nur so lange, wie Sie den Grund dieser verhängnisvollen Umstände nicht wissen!«

      »Den Grund! Habe ich Ihnen den Grund dazu gegeben?«

      »O nein!«

      »Und was konnte Sie veranlassen, meine Briefe zurückzusenden?«

      »O mein Gott«, rief Arthur, »wie bin ich betrogen worden! Hören Sie mich an: Drei Tage nach Ihrer Abreise aus London wurde auch ich zu reisen gezwungen.«

      »Und das wussten Sie nicht, als Sie einige Augenblicke zuvor von mir schieden, ehe das Schiff die Anker lichtete, um mich nach Frankreich zu tragen, von wo ich in zwei Monaten zurückzukehren versprochen hatte?«

      »Nein, ich wusste es nicht«, versicherte Arthur, »denn zwei Tage später traf erst der Brief ein, der meine plötzliche Reise notwendig machte.«

      »Und wohin, wenn ich fragen darf?«

      »Nach New Orleans.«

      »Mein Herr«, rief Arabella mit Würde, und ihre großen Augen hefteten sich auf den jungen Mann, als ob sie ihn durchbohren wollten, »mein Herr, so viel Zeit wäre Ihnen wohl noch geblieben, mich durch einige Zeilen von Ihrer dringenden Reise in Kenntnis zu setzen; mir wäre der Schmerz über die erlittene Schmach erspart geblieben und Ihnen …«

      »Beste Arabella«, unterbrach Arthur die Zürnende, deren zartes Gesicht eine matte Röte übergoss, »ich tat es und gab den an Sie gerichteten Brief meinem besten Freund zur Besorgung. Noch mehr: Selbst von hier aus habe ich ihm Briefe gesandt, die er an Sie befördern sollte, wenn Sie nach London zurückgekehrt sein würden – was ich befürchtete, machen Sie mir jetzt zur Gewissheit: Er hat meine Briefe unterschlagen!«

      »Wer ist denn dieser saubere Freund? Kenne ich ihn?«

      »Sie kennen ihn – Edward Temple!«

      Bei Nennung dieses Namens biss Arabella ihre fein geschweiften Lippen zusammen, als ob ihr plötzlich alles erklärlich wäre.

      »Arabella«, rief Arthur, »haben Sie gewusst, dass ich hier bin?«

      »Nicht eine Silbe, denn ich bin von Frankreich nach Amerika gegangen.«

      »Und was veranlasste Sie dazu? Warum kehrten Sie nicht nach London zurück?«

      »Arthur, dieses Bekenntnis mag Ihnen den Beweis liefern, dass ich geneigt bin, Ihnen zu verzeihen: Ich reiste über das Meer, um in einer andern Welt meinen Schmerz über die erlittene Kränkung zu vergessen.«

      »Engel, Göttin«, rief der Dandy und sank neben der Ziege zu Arabellas Füßen nieder, »so segne ich den ungetreuen Freund, der dich veranlasst hat, diesen Entschluss zu fassen! O mein Gott«, fuhr er wie berauscht fort und bedeckte beide Hände der Tänzerin mit glühenden Küssen, »wie selig war ich, als ich diesen Morgen eine Einladung zum Abonnement auf Ihre Vorstellungen erhielt – ich kleidete mich an, und mein erster Weg war zu Ihnen!«

      »Triumphieren Sie nicht zu früh«, sagte das reizende Mädchen lächelnd, »denn ehe ich den Zweck Ihres Aufenthaltes in New Orleans nicht kenne, weiß ich nicht, ob ich Sie völlig amnestieren kann.«

      »O Sie können es, teure Arabella, denn dieser Zweck liegt meiner Liebe zu Ihnen so fern, dass ich ihn unumwunden mitteilen kann.«

      »So teilen Sie mit, ich werde hören!«

      Arthur erhob sich und nahm seinen Platz wieder ein; dann begann er:

      »Meine Geburtsstadt ist Boston, wo mein Vater einem nicht unbedeutenden Handelshaus vorstand. Dort verlebte ich meine Jugend und erhielt auf der Handels- und Navigationsschule dieser Stadt die erste Bildung.«

      »So sind Sie kein gebürtiger Engländer?«, fragte Arabella erstaunt.

      »Nein, ich bin von Geburt Amerikaner. Doch wahrscheinlich wollte mein Vater einen Engländer aus mir machen, denn als ich achtzehn Jahre alt war, sandte er mich zu seinem Bruder nach London, damit ich die in Boston angefangene Bildung vollenden und mir die Sitten und Gebräuche der großen Weltstadt zu eigen machen sollte. Inwieweit mir dies gelungen ist, überlasse ich Ihrer eigenen Beurteilung, da ich das besondere Glück hatte, länger als ein Jahr von Ihnen gekannt zu sein.«

      »Mein Gott«, rief die Tänzerin, »das alles sagen Sie mir erst jetzt? Aus welchem Grund verschwiegen Sie mir in London Ihre Lebensgeschichte, da ich Ihnen doch so offenherzig die meine erzählt habe?«

      »Weil ich den Zweck meines Vaters vollkommen erreichen, das heißt, ein vollkommener Engländer werden und als solcher erscheinen wollte. Das Schicksal hatte es aber anders beschlossen, denn zwei Tage nach Ihrer Abreise aus London nach Paris erhielt ich die Trauerkunde, dass mein Vater schwer erkrankt darniederliege, dass er mich noch einmal sehen und segnen wolle und dass ich, um diesen Wunsch zu erfüllen, auf der Stelle abreisen müsse. Ich war der einzige Sohn und liebte meinen Vater. Sie, meine beste Arabella, waren auf zwei Monate verreist, und da mich sonst nichts an London fesselte, beschloss ich, den Wunsch des kranken Vaters zu erfüllen – ich reiste ab. Obgleich wir eine glückliche Fahrt hatten, kam ich leider dennoch zu spät – ich betrat das väterliche Haus in demselben Augenblick, als der Leichenzug meines guten Vaters, den ich schon seit drei Jahren nicht mehr gesehen hatte, von dem Gottesacker zurückkehrte.«

      »Mein armer, armer Freund«, seufzte das junge Mädchen und trocknete mit dem weißen Batisttuch eine große, helle Träne, die wie ein Tautropfen in den langen, schwarzen Augenwimpern zitterte.

      Arthur ergriff das Tuch, dessen Falten die Träne aufgenommen hatte, drückte seufzend einen Kuss darauf und fuhr fort:

      »Nachdem ich dem Schmerz um den Verblichenen die ersten Opfer gebracht hatte, schritt ich zur Eröffnung des Testaments. Der Erblasser forderte darin, dass ich sein Geschäft aufgeben, die darin angelegten Kapitalien zurückziehen und die Leitung einer großen Plantage übernehmen sollte, die sein zweiter Bruder, der zwei Jahre früher verstorben war, hinterlassen hatte. Da die Plantage in der Nähe von New Orleans liegt, habe ich hier meinen Wohnsitz aufgeschlagen, reise wöchentlich einige Tage in die Wälder und Pflanzungen und erfülle auf diese Weise genau den Willen meines Vaters. Sie können wohl ermessen, meine süße Freundin, dass die Auflösung eines alten und die Übernahme eines neuen Geschäftes viel Zeit und Mühe erfordert, zumal wenn man an das materielle Geschäftsleben so wenig gewöhnt ist wie ich – trotzdem aber ist es meiner rastlosen Tätigkeit gelungen, die durch den Tod von zwei tätigen Männern etwas verwirrten Sachen so weit in Ordnung zu bringen, dass ich diesen Sommer noch den sehnlichsten Wunsch, das glühendste Verlangen meines Herzens in Erfüllung bringen kann, das heißt, eine Reise nach London anzutreten. Und jetzt ermessen Sie meinen freudigen Schreck, als ich diesen Morgen erfahre, es bedarf einer Reise nicht, um den Stern meines Lebens zu sehen, es bedarf des langen, martervollen Aufenthalts auf einem Schiff nicht, um in den Himmel zu gelangen, das heißt, an den Ort, den Ihre reizenden Füße betreten – Arabella, ich bin im Himmel, denn ich liege zu Ihren Füßen!«

      Arabella beugte sich und drückte einen Kuss auf die Stirn des jungen Mannes, der vor ihr auf den Knien lag und sehnsüchtig mit seinen großen Augen zu ihr aufblickte.

      »Arthur«, sagte sie mit einem unbeschreiblichen Lächeln, »ich glaube Ihnen; mag alles, was geschehen ist, vergessen sein! Doch eine Erklärung fordere ich von Ihnen – eine offene, wahre Erklärung.«

      »Was fordern Sie, Arabella? Jede Falte meines Herzens will ich glätten, dass es klar wie der Spiegel des ruhigen Meeres vor Ihnen liegen soll!«

      »Arthur«, lispelte