Christian Macharski

Die Höhle des Löwen


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von der Werkstatt trennte, aufflog, wusste er sofort, dass dem wohl nicht so gewesen war. Borowka kniete gerade vor einem Reifen, den er wechseln wollte, als sich der mächtige Schatten seines Chefs über ihn legte. Nun gab es kein Entrinnen mehr: Er befand sich mitten im Auge des Tornados.

      „Du bist ja wohl mit der Klammeraffe gebeutelt. Das, was du dir die letzte Zeit hier erlaubst, da scheißt der Hund ins Feuerzeug. Das steht mir bis Oberkante Unterlippe. Wieso kommst du jeden Tag zu spät?“

      „Tut mir leid, Chef“, stammelte Borowka. „Ich hab im Moment kein Auto und der Fredi …“

      „Was ist los? Sag mal, ist dein Clowns-Kostüm in der Reinigung? Halt gefälligst die Klappe, wenn ich dich unterbreche. Der Fredi hatte ich gerade schon zwischen. Da kannst du sogar froh drüber sein, weil der mir schon meine ganze Energie geraubt hat mit sein weinerliches Rumgesülze von wegen seine neue Olle. Wenn ich so ein Scheiß hör, da wackelt mir die Hose. Für euch zwei Intelligenzallergiker gehen mir echt die Schimpfwörter aus. Wenn ihr zwei ein Loch im Kopf hättet und der Arzt müsste das nähen, dann würde man dafür Hohlraumversiegelung sagen. Ich sag dir mal eins, Richard: Wenn dein Vatter nicht so ein guter Fußballer gewesen wäre, dann hätte ich so eine faule Sau wie dich niemals eingestellt. Mein Oppa, der arbeitet doppelt so hart wie du – dabei ist der seit drei Jahre tot. Ich geb dir jetzt derselbe gute Rat, den ich eben der Fredi gegeben habe: Wenn du noch einmal zu spät kommst, dann klingelt es aber, und zwar nicht an deiner Haustür. Dann reiß ich dir der Kopf ab und werf den in die Alteisentonne. Hab ich mich klar genug ausgedrückt, oder hast du noch irgendswelche Fragen?“

      Borowka schluckte und erhob sich. Während er sich die verölten Finger an seiner Blaumannhose abstrich, antwortete er mit gesenktem Kopf: „Nein, Herr Oellers. Oder ja, doch. Eine Frage hab ich tatsächlich noch. Dürfte ich in der Mittagspause vielleicht mal der Alfa Spider Probe fahren, den Sie letzte Woche eingetauscht haben?“

      Zur selben Zeit betrat Hastenraths Will den Verkaufsraum des Autohauses Oellers und sah sich um. Am Empfang saß das von Heribert Oellers sehr geschätzte Fräulein Regina und widmete sich ihrer Lieblingsbeschäftigung – Fingernägel lackieren. Gleichzeitig führte sie mit ihrem zwischen Schulter und Ohr eingeklemmten Smartphone ein offensichtlich sehr lustiges Privatgespräch, denn immer wieder unterbrach sie ihre eigenen Sätze mit kreischendem Gegacker. Ihre langen Beine, die in schwarz lackierten High Heels endeten, hatte sie übereinandergeschlagen, sodass ihr knapper Minirock weit hochgezogen wurde. Dennoch konnte Will darunter keinen Miederhosenrand erkennen, was ihn zunächst verwunderte. Dann aber kam ihm der Gedanke, dass Regina möglicherweise eine dieser neumodischen Frauenunterhosen trug, bei der große Teile des Stoffs durch dünne Schnüre ersetzt worden waren. Will hatte davon gehört, dass es so etwas geben soll. Seine Frau Marlene trug solche Sachen nicht, jedenfalls nicht, soweit er sich erinnerte. Er zog sein Stofftaschentuch aus der Parkajacke und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Sein Blick wanderte wieder hoch und blieb am Ausschnitt der jungen Dame hängen. Seltsam, die Brüste schienen seit seinem letzten Besuch gewachsen zu sein. Will schüttelte sich und sah hinüber zu Fredi Jaspers, der neben dem Empfang an seinem Schreibtisch saß. Aber auch der nahm keine Notiz vom Landwirt, obwohl das schrille Bimmeln der Türglocke ja durchaus der Hinweis auf einen Kunden hätte sein können. Fredi tippte mit eingezogenem Kopf auf seiner Tastatur herum und starrte miesepetrig auf den Computerbildschirm vor sich. Die Tür zu Oellers’ Büro stand sperrangelweit offen, sodass Will davon ausging, dass der Gebrauchtwagenhändler sich in der angrenzenden Werkstatt aufhielt. Da jedenfalls schien eine Menge los zu sein. Das laute Geschepper, das bis in die Verkaufshalle drang, hörte sich an wie ein schwerer Werkzeugkasten, der gegen eine Wand geworfen wurde. Sekunden später wurde die Eisentür aufgerissen und Oellers stapfte mit hochrotem Kopf hindurch. „Heribert, hast du alles im Griff?“, rief Will ihm freundlich entgegen.

      Oellers hob den Kopf. Als er seinen alten Freund erblickte, hellte sich seine Miene geringfügig auf. „Ach, Will, altes Scheißhaus. Hör mir bloß auf! Nur Ärger habe ich hier mit meine Leute. Ein Glas Gurken ist schlauer wie die alle zusammen. Vor allen Dingen der Borowka. Der muss mal schwer aufpassen. Ich sag dir: Das ist ein Kerl wie mein Sack, nur nicht so stramm.“

      Die beiden schüttelten einander die Hände und Oellers führte Will in sein Büro. Im Vorbeigehen bat er Fredi Jaspers noch, Kaffee zu machen: „Komm, Mr. Honeymoon. Glotz nicht in der Computer wie ein bekifftes Känguru, sondern mach dich mal nützlich. Zwei Kaffee, aber zz – ziemlich zackig.“

      Will nahm auf dem Kunstlederschwingsessel für die Besucher Platz. Oellers ließ sich in seinen Chefsessel hinter dem wuchtigen Schreibtisch fallen und legte die Hände in den Nacken. Mit lauter Stimme begann er zu schwadronieren: „Weißt du, Will. Manchmal frage ich mich, wie lange ich mir der Stress noch antun soll mit der Laden. Ich bin ja auch nicht mehr der Jüngste. Aber dann denke ich mir auf der anderen Seite: Irgendswie macht es aber auch Spaß, diese ganzen Vollpfosten anzuschreien. Hahaha. Aber du bist bestimmt nicht hier, für dir das Elend anzugucken, womit ich mich hier tagtäglich rumschlage. Was kann ich für dich tun?“

      Will knetete seine Hände und antwortete mit leiser Stimme: „Du hast ja mitbekommen, was da am Samstag passiert ist. Und du weißt auch, dass der Peter Kleinheinz ein sehr guter Freund von mir ist.“

      Oellers nickte ernst, unterbrach den Landwirt aber nicht.

      „Ja, und ich will jetzt versuchen, herauszufinden, was da genau passiert ist. Oder zumindest, warum der Peter das gemacht hat.“

      „Das kann ich dir sagen, warum der das gemacht hat. Der hat seine Frau im flagranti mit ein anderer Mann im Bett erwischt und da ist dem die Sicherung durchgebrannt. Ende, Aus, Micky Maus.“

      Will seufzte. „Kann schon sein. Aber ich glaub nicht, dass das so einfach ist. Ich meine, man erschießt doch nicht einfach zwei Leute.“

      „Will, der Mann ist Polizist. Der ist dadrauf trainiert, Leute zu erschießen.“

      In diesem Moment ging die Tür auf und Fredi kam mit einem Tablett herein, das er auf dem Schreibtisch abstellte. Darauf standen zwei dampfende Tassen Kaffee, eine Dose Kondensmilch und eine ungeschickt aufgerissene Packung voller Zuckerwürfel. Oellers wedelte mit der Hand und Fredi verschwand wieder. Will warf sich sechs Stücke Zucker in den Kaffee und rührte ihn bedächtig um.

      „Wie dem auch sei, Heribert. Ich muss trotzdem unbedingt mal mit der Peter sprechen. Die Polizei schirmt dem total ab. Und eben, nachdem ich der Knuffi nach Hause gebracht habe, bin ich noch mal zu der Kommissar Dohmen gefahren, für dem zu bequatschen. Aber …“

      „Oh Mann, Will. Das wollte ich dir die ganze Zeit schon gesagt haben“, unterbrach Oellers ihn plump. „Ist dir eigentlich bewusst, wie lächerlich du dich in Saffelen machst, wenn du immer mit die kleine Töle spazieren gehst? Was ist nur aus dir geworden? Früher bist du ganz stolz mit dein Hofhund Attila durch der Ort flaniert. Ohne Leine. Da hattest du nach ein kurzer Spaziergang drei Anzeigen am Hals. Und heute? Heute ziehst du eine Leberwurst auf vier Beine hinter dir her. Hör mal, die Leute verlieren der Respekt vor dir als Ortsvorsteher.“

      „Das ist doch nur, bis meine Frau wieder gesund ist“, verteidigte sich Will halbherzig.

      „Trotzdem ist das peinlich. Und außerdem muss man doch mit der Knuffi gar nicht Gassi gehen. Es reicht doch, wenn du den in der Kackbeutel steckst und einmal schüttelst – fertig!“ Will winkte verärgert ab. „Jetzt lass mich doch in Ruhe mit der Knuffi. Hier geht es sich doch um was ganz anderes. Hier geht es sich um das Leben von ein guter Freund, um dem seine ganze Existenz. Und ich kann nix machen. Der Kommissar Dohmen hat für mich gesagt, dass nur ein Anwalt zu Kleinheinz darf. Das Problem ist aber: Der Peter weigert sich, auszusagen, und der will wohl auch kein Anwalt haben. Deshalb habe ich mir jetzt überlegt, dass ich auf eigene Kosten ein Mann für dem engagier. Und der wird dann mein Sprachrohr ins Gefängnis. Und genau deshalb bin ich hier. Du hast mir doch mal erzählt, dass du ein Top-Anwalt hast, der dich überall raushaut.“ Oellers schürzte die Lippen. „Ach, du meinst der Schabowski?! Na ja, Top-Anwalt jetzt nicht im Sinne von Anzug und Krawatte und gute Manieren und so. Aber fachlich ist der super, keine Frage. Es gibt kein Paragrafen-Trick, den der Mann nicht kennt. Und das Gute an dem ist, dass dem alles scheißegal ist. Du glaubst nicht,