nennt man die Temperatur, bei der sich die flüssige und eine feste Phase eines Stoffs im Gleichgewicht befinden. Dies ist gleichzeitig die Erstarrungstemperatur des Stoffs, da Schmelz- und Erstarrungsvorgang bei derselben Temperatur ablaufen. Analog zur Siedetemperatur führt man auch hier einen Standardschmelzpunkt TSm für einen Druck von 0.1 MPa (1 bar) ein (entsprechend ist der Normalschmelzpunkt bei 1 atm definiert; die Unterschiede beider Werte sind für praktische Zwecke meist vernachlässigbar). Die Begriffe Schmelz- und Erstarrungsoder Gefrierpunkt werden synonym verwendet.
Bei bestimmten Werten der Zustandsvariablen können drei Phasen (meist fester, flüssiger und gasförmiger Aggregatzustand) eines Stoffs koexistieren. In diesem Tripelpunkt schneiden sich drei Phasengrenzlinien; die zugehörige Temperatur bezeichnen wir mit T3. Die Lage des Tripelpunkts ist nicht beeinflussbar; für jeden Stoff existiert ein einziges charakteristisches Wertepaar (Druck, Temperatur). Der Tripelpunkt von Wasser liegt bei 273.16 K und 611 Pa (6.11 mbar); an keinem anderen Punkt können die drei Phasen Eis, flüssiges Wasser und Wasserdampf im Gleichgewicht koexistieren. Diese Invarianz des Tripelpunkts nutzt man zur Definition der thermodynamischen Temperaturskala (Abschnitt 3.1.2).
Abb. 4-6 (a) Die flüssige Phase befindet sich im Gleichgewicht mit der Gasphase. (b) Die Flüssigkeit wird in einem geschlossenen Behälter erhitzt. Dabei nimmt die Dichte des Dampfes zu, die der Flüssigkeit nimmt etwas ab. (c) Schließlich ist ein Zustand erreicht, an dem beide Dichten gleich sind und die Phasengrenzfläche verschwindet; diesen Effekt beobachtet man bei der kritischen Temperatur. Der Behälter muss einem relativ großen Druck standhalten: Der Dampfdruck von Wasser am kritischen Punkt (374°C) beträgt 22 MPa.
Wie man in Abb. 4-4 erkennt, liegt der Tripelpunkt beim kleinsten Druck, bei dem noch eine flüssige Phase existiert. Wenn die Steigung der Phasengrenzlinie fest/flüssig ähnlich wie in diesem Diagramm verläuft (dies ist der Normalfall), besitzt am Tripelpunkt auch die Temperatur den kleinsten Wert, bei dem noch eine flüssige Phase beobachtet werden kann; die obere Grenze hierfür ist die kritische Temperatur.
Die Phasenregel
Die Herleitung der Phasenregel durch J. W. Gibbs ist eine der elegantesten Beweisführungen der chemischen Thermodynamik. Sie gibt an, wie viele Parameter des Systems variiert werden können, ohne dass sich die Zahl und die Art der im Gleichgewicht koexistierenden Phasen ändert. Die Regel beschreibt einen allgemeinen Zusammenhang zwischen der Varianz F, der Anzahl der Komponenten C und der Anzahl der Phasen P für Systeme beliebiger Zusammensetzung:
Begründung 4-1 Die Phasenregel
Wir betrachten zunächst den Spezialfall eines Einkomponentensystems, für das die Phasenregel F = 3 – P ergibt. Für zwei Phasen α und β im Gleichgewicht (P = 2, F = 1) bei gegebenen Werten von Druck und Temperatur gilt
Für Wasser und Eis im Gleichgewicht wäre beispielsweise μ(l; p, T) = μ(s; p, T). Diese Beziehung gibt einen Zusammenhang zwischen p und T wieder; das bedeutet, nur eine der beiden Variablen ist unabhängig (so wie x + y = xy eine Gleichung für y als Funktion von x ist: y = x/(x – 1)). Diese Beobachtung steht im Einklang mit F = 1. Für drei Phasen im Gleichgewicht gilt
In dieser Zeile stecken tatsächlich zwei Gleichungen mit zwei Unbekannten, μ(α; p, T) = μ(β; p, T) und μ(β; p, T) = μ(γ; p, T), nur ein einziges Wertepaar (p, T) erfüllt daher dieses Gleichungssystem (ebenso wie das Gleichungssystem x + y = xy und 3x – y = xy als einzige Lösung das Wertepaar (x = 2, y = 2) besitzt.) Dies steht im Einklang mit F = 0. Vier Phasen können in einem Einkomponentensystem nicht im Gleichgewicht vorliegen, weil in dem Gleichungssystem
drei Gleichungen für zwei Unbekannte (p und T) vorliegen und es daher keine Lösung besitzt (ähnlich wie das Gleichungssystem x + y = xy,3x – y = xy und x + y = 2xy2).
Nun gehen wir zum allgemeinen Fall über. Zunächst zählen wir die intensiven Variablen (Zustandsgrößen, die nicht von der Größe des Systems abhängen): Mit Druck p und Temperatur T sind wir bei 2. Die Zusammensetzung ist vollständig bestimmt, wenn der Molenbruch von (C – 1) Komponenten bekannt ist (es ist nicht erforderlich, alle Molenbrüche zu kennen, da durch x1 + x2 +. .. + xC = 1 einer der Molenbrüche festgelegt ist, wenn alle anderen bekannt sind). Wenn P Phasen vorliegen, gibt es somit insgesamt P(C – 1) Variablen für die Zusammensetzung. Die Gesamtzahl der intensiven Variablen ist damit P(C – 1) + 2.
Im Gleichgewicht hat das chemische Potenzial eines Stoffs in jeder Phase denselben Wert (siehe Abschnitt 4.2.1):
Für jede Komponente müssen demnach P–1 Gleichungen erfüllt sein. Wenn die Anzahl der Komponenten C ist, ergeben sich insgesamt C(P – 1) Gleichungen. Durch jede wird die Anzahl der unabhängigen intensiven Variablen (ausgehend von P(C – 1) + 2) um 1 reduziert; damit ergibt sich für die Anzahl der Freiheitsgrade des Systems
Dies ist gerade Gl. (4-1).
4.1.3 Drei typische Phasendiagramme
■ Das Wichtigste in Kürze: (a) Kohlendioxid besitzt ein typisches Phasendiagramm, in dem aber Spuren von schwachen zwischenmolekularen Wechselwirkungen zu erkennen sind. (b) Das Phasendiagramm von Wasser zeigt Anomalien, die mit den ausgedehnten Wasserstoffbrücken zwischen den Molekülen zusammenhängen. (c) Auch Helium zeigt Anomalien (Suprafluidität), die auf seine kleine Masse und die schwachen zwischenatomaren Wechselwirkungen zurückzuführen sind.
In einem Einkomponentensystem (wie beispielsweise reinem Wasser) ist F = 3 – P. Wenn nur eine einzige Phase vorliegt, ist F = 2, und p und T können unabhängig voneinander variiert werden (zumindest über einen kleinen Bereich), ohne dass sich die Zahl der Phasen ändert. Mit anderen Worten: Eine Phase entspricht einer Fläche im Phasendiagramm. Stehen zwei Phasen miteinander im Gleichgewicht, wird F = 1; das bedeutet, dass man bei festgelegter Temperatur den Druck nicht mehr frei wählen kann. (Bei gegebener Temperatur findet man einen ganz bestimmten Dampfdruck einer Flüssigkeit.) Das Gleichgewicht zweier Phasen entspricht demnach einer Linie im Phasendiagramm. Anstelle der Temperatur können wir auch den Druck frei wählen; das Phasengleichgewicht lässt sich dann aber nur bei einer bestimmten Temperatur realisieren. Jeder Phasenübergang, wie beispielsweise das