Günther Thömmes

Der Bierzauberer


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die Männer kümmerten sich um die richtige Arbeit.

      Anteil an der Bierherstellung nahmen sie lediglich, wenn die Resultate schlecht oder sauer waren, und dann auch nur in Form von Wutausbrüchen.

      Dass Niklas überhaupt beim Brauen helfen durfte, war nur der körperlichen Schwäche seiner Mutter zuzuschreiben. Anfangs hatten ihn die anderen Kinder, sogar sein kleiner Bruder, verspottet, weil er Mädchenarbeit verrichten musste. Allerdings, je mehr ihm die Arbeit Spaß machte, desto mehr ignorierte er die hämischen Bemerkungen der anderen.

      Er als Ältester würde eines Tages die Arbeiten des Vaters komplett übernehmen müssen, so war es vorgesehen. Insgeheim hoffte er noch auf einen Ausweg, tatsächlich waren die Chancen aber mehr als schlecht. Schließlich wusste jeder, dass Männer kein Bier brauten und es in Zukunft auch nicht tun würden. Wenn es das geben sollte, hätten seine Mutter oder sein Vater ihm bestimmt schon davon erzählt.

      3

      Eines Tages spielte Niklas mit ein paar anderen Kindern Steine werfen im Dorf. Niklas war niemals der, der am weitesten werfen konnte, aber es machte trotzdem Spaß. Während er dem Größten und Kräftigsten von ihnen, der Veit hieß und alle Anlagen hatte, als Dorftrottel zu enden, beim Werfen zusah, bemerkte er, dass ein Mann durch ihr Dorf kam, der ihm völlig unbekannt war. Er wirkte ärmlich, trotz des Esels, den er mit sich führte. Neben dem Esel ging ein kleiner Junge, etwa so groß und so alt wie Niklas. Im Dorf machten beide Rast, setzten sich auf den Boden, aßen etwas Brot und teilten sich eine Rübe.

      Niklas entfernte sich von seinen Spielkameraden und kam näher. Schüchtern betrachtete er das Paar. Er hatte schon mehrmals Botengänge in der Gegend gemacht, war aber zu keiner Zeit völlig Fremden begegnet.

      Hahnfurt lag etwas abseits, selten verirrten sich Auswärtige hierher; Niklas war, wie alle seine Geschwister, noch niemals weiter als zehn Kilometer von zu Hause weg gewesen. Er ging daher zu Recht davon aus, dass es draußen in der Welt genauso aussah wie hier im Dorf. Sogar das entfernte Nürnberg, von dem Vater einmal erzählt hatte, war für ihn nichts anderes als ein größeres Dorf.

      Wenn nichts weiter passierte in Niklas’ Leben, würde er für den Rest seines Daseins über Hahnfurt und Umgebung nicht hinauskommen.

      Und er würde weiterhin die neuesten Nachrichten von auswärts nur über die Hillebillen erfahren, Bretter aus hartem Holz, gegen die man mit Knüppeln schlug, um Nachrichten weiterzutragen.

      Nach einer Weile sah Niklas den Jungen an und der schaute, nicht einmal unfreundlich, zurück. Das machte ihn mutig, er kam näher.

      Als er die beiden musterte, fiel ihm die große Ähnlichkeit zwischen dem Mann mit Kind und seinem eigenen Vater und ihm auf. Nicht, dass sie sich wirklich ähnlich gesehen hätten, dazu hatte der Junge zu schiefe Zähne und zu blasse Haut, so als wäre er immer im Keller eingesperrt gewesen. Aber es war unverkennbar, dass beide arme Bauern waren, die den gleichen Kampf ums tägliche Brot ausfochten.

      Dieses gleichzeitige Erkennen desselben Schicksals machte sie einander sympathisch. Niklas lächelte, der fremde Junge lächelte mit seinen schiefen Zähnen zurück. Niklas kam näher.

      »Woher kommt ihr?«, fragte er.

      »Aus Dauerling bei Regensburg«, gab der Junge zur Antwort.

      »Wo ist das?«

      »Zwei Tagereisen von hier.«

      »So weit weg! Und wo wollt ihr hin?«

      Niklas platzte bald vor Neugierde.

      »Ich weiß nicht genau, es sind aber angeblich noch einmal zwei Tagereisen«, sagte der fremde Junge.

      Nun meldete sich der Vater zu Wort.

      »Der Bub kommt ins Kloster, damit er was lernt und niemals hungern muss. Ich bringe ihn jetzt nach Urbrach und dort bleibt er dann. Nicht jeder Junge hat so viel Glück, dass die Mönche ihn aufnehmen. Wir hatten letztes Jahr endlich mal eine gute Ernte, da fiel genug fürs Kloster ab. Da hat der Bruder Prior mir versprochen, aus dem Buben einen tüchtigen Mönch zu machen. Dort soll er dann arbeiten, studieren und seinen Eltern keine Schande machen.«

      Er klopfte seinem Sohn auf die Schultern.

      »Du brauchst dir keine Sorgen mehr ums Überleben zu machen, ihr habts eigene Ställe, eigenes Vieh, Felder, ja sogar gutes, eigenes Bier habts dort.«

      Beim Wort ›Bier‹ merkte Niklas auf.

      Bei dem wenigen, das seine Eltern ihm gegenüber von Klöstern und Mönchen erwähnt hatten, war immer nur von Männern die Rede. Michael und Elisabeth waren fromme Leute, jedoch nur so fromm, wie das harte Leben es zuließ.

      Daher hatte Niklas auch nur die normale Alltagsfrömmigkeit erlebt, ein Gebet vor jeder Mahlzeit und vor dem Schlafengehen, sonntags die heilige Messe in der kleinen Dorfkirche und an hohen Feiertagen zusätzliche Gebete, diese allerdings verbunden mit dem besseren Essen.

      An Brautagen gab man ein Brot mit zum Kloster, das war die Regel. Darüber hinaus wurde zu Hause nie viel gesprochen, schon gar nicht über Klöster und Mönche.

      »Wer macht denn das Bier im Kloster?«, fragte er keck, »da gibts doch nur Männer. Und Brauen ist doch Weibersache.«

      Der Junge und sein Vater fingen an, laut zu lachen.

      »Die Mönche machen ihr Bier natürlich selber«, sagte der Vater, »und sogar ein sehr gutes dazu.«

      »Muss man Mönch sein, um im Kloster Bier zu machen?«, fragte Niklas, der sich durch das Lachen nicht verunsichern ließ.

      »Ja freilich, das ist ein Grund, warum viele Menschen ins Kloster gehen, nie mehr Hunger oder Durst haben, das ist doch schon was.«

      In diesem Moment fasste Niklas einen folgenschweren Entschluss.

      Dann war die Rast beendet, Vater und Sohn standen auf und machten Anstalten, weiterzuziehen. Niklas wünschte ihnen eine gute Reise und machte sich auf den Heimweg.

      Nachdem er fast zu Hause war, fiel ihm ein, dass er nicht mal die Namen des Jungen und seines Vaters wusste, die sein Leben so verändern sollten. Wie sehr sie es wirklich verändert hatten, wurde Niklas erst im Lauf der nächsten Jahre bewusst, sobald er gelegentlich an diesen Tag und diese zufällige Begegnung zurückdachte.

      Für den Rest des Tages war er nicht mehr ansprechbar. Ruhig und in Gedanken versunken erledigte er seine Arbeiten. Er wollte erst überlegen, wie er es seinen Eltern sagen sollte, nur nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen.

      Wie der Vater des Jungen gesagt hatte, nahmen die Klöster nicht jeden. Und scheinbar dauerte es auch eine Weile. Aber bald wurde er zwölf, was tun? Viel Zeit blieb ihm nicht mehr.

      4

      Im zehnten und elften Jahrhundert gab es in Franken eine Reihe von Klostergründungen. Als Ableger eines größeren Klosters der Zisterzienser war im Jahre 1076 das Kloster Urbrach gegründet worden, hatte sich aber schnell eigenständig entwickelt. Durch den guten Ackerboden der Umgebung und die Umsicht der ersten Äbte wurde Urbrach sehr schnell sehr wohlhabend.

      Besonders bekannt waren die Weine des Klosters, die sich nicht nur bei allen Ordensbrüdern großer Beliebtheit erfreuten. Nachdem im Jahre 1185 der Grundstein zu einer großen Kapelle gelegt worden war, die später zu einer der größten frühgotischen Kirchenbauten überhaupt ausgebaut wurde, entwickelte sich Urbrach auch über die direkte Umgebung hinaus zu einem religiösen und wirtschaftlichen Mittelpunkt. Das erfolgreiche Kloster konnte es sich leisten, sich nur den besten, talentiertesten oder zahlungskräftigsten Nachwuchs auszusuchen.

      Bis jenseits von Nürnberg, sogar aus Regensburg, brachten die Väter ihre Söhne zur Erziehung nach Urbrach, immer mit der Gewissheit, dass es dem Jungen dort viel besser ergehen würde als dem Rest der Familie; zudem gab es dann einen Esser weniger im Haus.

      In der Tat war es so: Wer bereit war, sich dem unerbittlich exakten Tagesablauf des Klosters zu unterwerfen, das fromme und arbeitsame Leben eines Mönches zu führen