fragte Lüppo Buss entgeistert. »Kurze Buchungszeiten? Gute Geschäftslage? Oder dass Ihr Mann die Toilette blockiert?« Er verschränkte die muskulösen Unterarme vor der Brust.
»Wat?« Die rote Dame musterte ihn wie ein Insekt in ihrer Roten Grütze. »Wat soll dat denn? Haben Sie denn überhaupt nicht verstanden, was ich Ihnen gerade erzählt habe?«
»Offen gestanden, nein«, antwortete Lüppo Buss. »Vielleicht versuchen Sie es einfach noch einmal. Was, bitte, ist denn der eigentliche Grund Ihrer Beschwerde?«
»Na, die Marmelade«, erwiderte die rote Dame prompt. »Diese orangene.«
»Sie wollen sich bei mir über Orangenmarmelade beschweren? Meinen Sie denn, dass die Polizei dafür die richtige Adresse ist?« Jetzt sollten die von der Kurverwaltung mich mal sehen, dachte der Oberkommissar. Mehr Verständnis und Höflichkeit gegenüber Kurgästen geht ja wohl nicht, schon gar nicht gegenüber so durchgeknallten.
»Nee«, sagte die Besucherin. »Sanddorn.«
»Wat?« Unwillkürlich imitierte der Inselpolizist den Tonfall der Frau. Stammte sie aus dem Ruhrpott?
»Na, Sanddorn, nicht Orange. Diese Sanddornmarmelade, die es hier gibt, die ist doch orange.« Die Besucherin nickte ernsthaft.
Lüppo Buss stellte sich die verschiedenen, einander beißenden Rottöne, in denen die Dame leuchtete, kombiniert mit Sanddorn-Orange vor und konnte ein Schaudern nur mühsam unterdrücken. »Sanddornmarmelade also. Und die schmeckt Ihnen nicht?« Er sprach jetzt nicht mehr nur höflich, sondern übervorsichtig, wie mit einer Verrückten. Kam zur Polizei, weil ihr die Marmelade nicht schmeckte, also wirklich!
»Natürlich schmeckt uns die«, antwortete die rote Dame. »Ganz vorzüglich schmeckt uns die. Darum ja.«
Lüppo Buss verstand jetzt gar nichts mehr. »Darum ja – was?«, fragte er hilflos. »Darum wollen Sie sich beschweren?«
»Darum essen wir die ja so gerne! Und darum hat sich Hermann auch gleich zwei Brote damit geschmiert, obwohl er sonst gar nicht so gerne süß mag, schon gar nicht abends. Aber diesmal, zwei Brote, mit dick Marmelade drauf, weil sie doch so lecker schmeckt, hat er gesagt, diese einheimische Sorte aus dem Geschäft, wo wir vorher noch nie waren. Tja, und das war’s dann.«
Der Oberkommissar merkte, dass ihm der Unterkiefer herab hing, und sorgte für Abhilfe. Gleichzeitig kam ihm ein Gedanke, wie in diese grotesk anmutenden Ausführungen vielleicht doch noch Sinn hineinzubekommen wäre. »Sie meinen, die neue Marmeladensorte ist Ihrem Hermann nicht gut bekommen? Dass er davon einen Flotten gekriegt hat?« Stolz auf sein Kombinationsvermögen und seinen guten Willen, blickte er die rote Dame erwartungsvoll an.
»Was heißt hier, nicht bekommen!«, schnauzte die zurück. »Hermann hat einen Magen aus Eisen, das gibt es gar nicht, dass dem etwas nicht bekommt! Außerdem, Sanddorn haben wir früher schon gegessen, da gab es noch nie Probleme. Nee, nee, mit Bekommen hat das nichts zu tun.«
»Sondern?« Lüppo Buss spürte seine Selbstbeherrschung dahinschwinden und beschränkte sich daher auf dieses eine Wort.
»Sondern? Merken Sie denn überhaupt nichts?« Die rote Dame ging hoch wie eine Leuchtrakete. »Gift! Mit Gift hat das was zu tun! Hier will uns einer vergiften! Bei meinem Hermann hätte das beinahe schon geklappt, wenn der nicht so ›ne eiserne Konstitution hätte.« Mit diesen Worten zog sie eine Plastiktüte aus ihrer magentaroten Umhängetasche und platzierte sie auf Lüppo Buss’ polierter Kirschholzfurnier-Schreibtischplatte.
Die Tüte war pink.
Der Oberkommissar merkte, wie sich sein Magen zusammenzog. »Und da drin ist …«
»Genau.« Die rote Dame nickte eifrig. »Die Sanddornmarmelade mit dem Gift. Vielmehr, der Rest davon.«
»Und Sie meinen, die soll ich jetzt …«
»Erraten. Ins Labor, zur Untersuchung. So geht das doch, nicht? Sieht man ja immer im ›Tatort‹.« Sie blickte sich suchend um: »Wo haben Sie denn hier eigentlich Ihr Labor?«
Der Inselpolizist räusperte sich umständlich. »Das Labor? Tja, wissen Sie, Frau … wie war doch gleich Ihr Name?«
»Salewsky«, erwiderte die rote Dame und knallte einen Personalausweis neben die pinkfarbene Tüte. »Ingeborg Salewsky. Ich dachte schon, Sie würden mich überhaupt nicht mehr danach fragen. Immerhin mache ich hier ja eine offizielle Anzeige.«
»Eine Anzeige?« Lüppo Buss, der sich Namen und Anschrift notierte, blickte auf. »Anzeige gegen wen denn, bitteschön?«
»Na, gegen die Leute, die uns dieses Giftzeugs verkauft haben! Wie heißen die denn noch … ich glaube, Tütjer oder so ähnlich. Jedenfalls heißt der Laden so.«
»Tuitjers Eck meinen Sie?« Der Oberkommissar kannte das Geschäft, das immer noch den Namen seines verstorbenen Gründers führte. »Mal im Ernst, glauben Sie wirklich, dass jemand Ihnen Böses wollte? Bestimmt ist das alles nur ein unglücklicher Zufall. Ihr Hermann hat gestern sicher noch irgendetwas anderes gegessen, das ihm nicht bekommen ist. Oder getrunken. Reden Sie doch noch einmal mit ihm, sprechen Sie alles durch. Bestimmt gibt es für das Unwohlsein Ihres Gatten eine harmlose Erklärung.«
Die rote Dame sprang auf, so ungestüm, dass der Stuhl, auf dem sie gesessen hatte, hinter ihr zu Boden krachte. »Wollen Sie mich eigentlich nicht verstehen?«, zischte sie den Inselpolizisten an. »Oder können Sie bloß nicht? Hier geht es nicht einfach um einen verdorbenen Magen, hier geht es um einen Giftanschlag. Jemand hat es auf uns abgesehen. Und vielleicht auch noch auf andere. Was muss denn noch alles passieren, dass Sie endlich mal Ihren Hintern hochkriegen?« Sie grabschte nach ihrem Ausweis und stopfte ihn in die Umhängetasche. »Aber warten Sie nur, Sie werden schon sehen. Wenn Sie mich nicht ernst nehmen in meiner Not, die Presse wird das schon tun! Da gehe ich jetzt nämlich hin. Zur Presse, jawohl. Die wird Ihnen schon Dampf machen.«
Damit rauschte sie hinaus und schmetterte die Tür hinter sich ins Schloss.
Lüppo Buss schaute ihr kopfschüttelnd nach. Leute gab es! Also wirklich. Ein Mordanschlag, einfach so, mit Marmelade frisch aus dem Laden, ohne einen Anlass oder ein erkennbares Motiv. Nee, Leute. Was die Frau sich so alles einbildete. Na ja, Einbildung war ja auch eine Form von Bildung.
Dann begann er zu grübeln. Sein Blick ruhte auf der pinkfarbenen Plastiktüte, die auf seinem Schreibtisch zurückgeblieben war.
6.
Waldemar Wallmanns Haus war richtig eindrucksvoll, fand Stahnke. Viel zu geräumig für einen alleinstehenden Mann. Noch ziemlich neu. Gartentor aus Schmiedeeisen, Gehwegplatten aus Travertin, Fensterrahmen aus Kupfer. Vorgarten von kundiger Hand angelegt und offensichtlich professionell gepflegt. Imposanter Eingangsbereich, drinnen wie draußen. Schicker Flur, mehr Empfangshalle als Korridor. Garderobe vollkommen leer. Großzügiges Wohnzimmer, spärlich, aber edel möbliert. Keineswegs der plumpe Protz, den der Hauptkommissar erwartet hatte. Waldemar Wallmann schien Geschmack gehabt zu haben. Oder er hatte sich Leute mit Geschmack leisten können.
Vorurteilsalarm, dachte Stahnke. Vorsicht. Ein dunkelhäutiger Mercedesfahrer muss nicht automatisch ein Drogendealer sein. Und ein wohlhabender Russlanddeutscher kein unter dem Goldlack primitiv gebliebener Proll. Ist das klar, Alter?
Aber das war es gar nicht. Vielmehr das andere: Chef einer Zeitarbeitsfirma. Personal Flexibility, wie das schon klang! Ausbeuter. Moderner Sklavenhalter. Profitierte von der Angst der Arbeitgeber vor der wankelmütigen Konjunktur. Und vor allem von der Unsicherheit der Arbeitnehmer. So einer konnte doch nur ein mieses Schwein sein. Und hatte gefälligst auch so zu wohnen. In einem sauteuren, geleckt sauberen, aber gefälligst ekelhaft geschmacklosen Schweinestall.
Da also steckte das Vorurteil. Weg mit dir, dachte Stahnke, du störst bei der Arbeit!
Schade eigentlich, überlegte er weiter, denn dieses Vorurteil war ihm lieb geworden. Wohl durch den Umgang mit Sina, für die »Ausbeutung« noch ein Schimpfwort war und »Solidarität« mehr als der Name einer polnischen Gewerkschaft. Und natürlich mit Marian Godehau, diesem