Ihnen Behm. Der soll sich die Sache mal genauer ansehen.“ Das war Rieder sehr recht. Holm Behm war Chef der Stralsunder Spurensicherung. Bei den Ermittlungen zum Mord an dem Kunsthistoriker vor wenigen Monaten am Gellen hatten sich die beiden Beamten angefreundet.
„Und hören Sie, Rieder, News nur an mich. Wenn Sie mich nicht telefonisch erreichen, eine Message übers Mobile. Klar?“
Diese englischen Begriffe in Bökemüllers Sprachgebrauch waren die Spätfolge seiner Zusammenarbeit mit den amerikanischen Sicherheitsbehörden beim Besuch des US-Präsidenten im Frühsommer in Stralsund. Rieder lächelte darüber, versicherte aber im todernsten Ton, sich an die Anweisungen zu halten. „Sie können sich auf mich verlassen … Aber müssen wir nicht die Küstenwache einschalten. Das ist immerhin so eine Art Schiffsunglück?“
Brummen auf der anderen Seite der Leitung. „Dann haben wir gleich die Bundespolizei am Hacken und …“
„Aber das Schiff muss irgendwie geborgen werden“, fiel Rieder seinem Vorgesetzten ins Wort.
„Da werden Sie ja wohl eine Lösung finden. Und zwar just in time. Ich schicke Ihnen Behm mit Gebauers Boot. Vielleicht kann der helfen.“ Gebauer war der Kommandant des Wasserpolizeibootes, das im Schaproder Bodden patrouillierte.
Aus den Augenwinkeln hatte Rieder beobachtet, wie Thilo Preil versucht hatte, etwas von seinem Telefongespräch aufzuschnappen. „Und was machen Sie nun“, fragte er den Polizisten. „Wo ist der Kerl abgeblieben? Ist er abgesoffen? Das geschieht diesen Saufbolden ganz recht. Es gibt noch eine Gerechtigkeit.“ Beifälliges Gemurmel kam dazu von den Umstehenden. Die Gruppe war mittlerweile ganz schön angewachsen.
Rieder riss der Geduldsfaden. „Können Sie nicht einfach mal den Mund halten?“
„Das hätten Sie wohl gern. Aber die Zeiten sind lange vorbei!“
Rieder verdrehte die Augen. Damp schritt zur Tat. Mit ausladenden Armen ging er auf die versammelten Leute zu und trieb sie so langsam in Richtung Enddorn. Rieder schüttelte zwar den Kopf, als Damp ein Strandverbot verhängte, war aber auch froh, die Meute endlich los zu sein.
„Gibt es eine Chance, das Schiff freizubekommen ohne technische Hilfsmittel?“, wandte sich Rieder an Förster. Der schüttelte den Kopf. „Bis heute Abend soll zwar der Wind drehen und dann wird hier der Wasserstand wieder steigen, aber das wird nicht reichen, dass der Bootskörper aufschwimmt. Der Kahn ist zu schwer. Eigentlich geht nur was von Land aus, denn hier kommt kein Schiffskran heran. Außer …“ Sein Gesicht hellte sich auf. Offenbar hatte er eine Idee, denn Förster nahm sein Telefon und wählte eine Nummer.
„Hallo, Gerd. Wie geht’s? Brummt der Laden?“ Er schilderte kurz die Lage. „Ja, ja, am Enddorn. Genau. Habt ihr noch diese Luftkissen. Damit könnte man das Schiff vielleicht anheben, wenn das Wasser wieder steigt?“
„Okay. Ich melde mich wieder.“
Rieder hatte mit ungutem Gefühl zugehört. Das verstand Bökemüller sicher nicht unter „keinen Staub aufwirbeln“, aber wie er die Insel in den letzten Monaten kennengelernt hatte, pfiffen das Lied vom gestrandeten Schiff des Pfarrers schon die Möwen von den Schilfdächern.
„Das war Gerd Barnhöft von der freiwilligen Feuerwehr. Die könnten das Schiff vielleicht mithilfe von Luftkissen bei ansteigendem Wasser durch anlandigen Wind wieder flottbekommen.“
Rieder war unentschieden. „Gute Idee, aber …“
Förster beruhigte ihn. „Rufen sie Barnhöft an. Einen anderen Weg ohne viel Aufhebens gibt es nicht. Und die Jungs sind zuverlässig.“ Damit verabschiedete sich Förster. Er tippte kurz mit zwei Fingern an die Stirn. „Mich finden Sie im Nationalparkhaus.“
Rieder stimmte ihm innerlich zu und Bökemüller mit seinen Bedenken war ihm deshalb auch im Moment ziemlich egal.
VI
Rieder und Damp waren ins Revier zurückgekehrt, nachdem Gebauer und Behm mit dem Polizeiboot am Enddorn eingetroffen waren. Die Besatzungsmitglieder von Gebauers Polizeiboot hatten die Absperrung der Unglücksstelle übernommen. Behm hatte sich ausgebeten, das Schiff, die Einschüsse und die Spuren auf Deck allein zu inspizieren. „Ich kann es nicht leiden, wenn ihr mir da dauernd auf die Finger schaut oder um mich herumscharwenzelt. Habt ihr nix in eurem Revier zu tun?“
Damp hackte auf die Tasten seines Computers ein. Kaum hatte er die Entertaste gedrückt, folgten ein kurzes Klingeln und kurz danach ein heftiger Fluch des Polizisten. Seit gut einer viertel Stunde wiederholte sich dieses Schauspiel im Abstand von einer Minute. Jetzt allerdings war eine neue Eskalationsstufe erreicht. Damp hob nach dem letzten Klingeln seine Tastatur an und warf sie wieder auf den Schreibtisch. Rieder blickte erschrocken auf.
„Ich verstehe es nicht“, brüllte Damp. „Warum nimmt diese verdammte Personendatei nicht die Daten des Pfarrers an, sondern meldet mir immer ‚Zugriff verweigert‘?“
Rieder ging um den Schreibtisch herum und sah Damp über die Schulter. „Vielleicht ist Ihr Passwort abgelaufen?“
Damp blickte beleidigt zu seinem Kollegen auf. „Für wie blöd halten Sie mich eigentlich? Das habe ich natürlich schon überprüft. Aber bitte, versuchen Sie es doch selbst.“
Er schob die Tastatur zu Rieder hinüber. Der begann seine Zugangsdaten für die Personendatei einzugeben und wurde auch sofort auf die Seite mit der Suchmaske weitergeleitet. Rieder konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Wo sind die Daten von Schneider?“
Damp reichte ihm einen Zettel. Rieder tippte die Daten ein und drückte „Enter“. Es folgte ein kurzes Klingeln und auf dem Bildschirm erschien der Hinweis „Zugriff verweigert“.
„Das ist ja komisch“, bemerkte Rieder, nun auch ratlos.
Damp triumphierte. „Tja, da sind Sie mit Ihrem Berliner Polizistenlatein wohl auch am Ende?“
„Vielleicht stimmt was mit der Leitung nicht“, versuchte Rieder seinen Fehlversuch zu rechtfertigen.
„Das ist unlogisch, lieber Kollege, dann würde die Datei auch nicht unsere Zugangsdaten akzeptieren, oder?“
Rieder nickte. Er stützte sein Kinn auf seine Hand und starrte in den Computer. „Irgendetwas stimmt hier nicht.“
In diesem Moment betrat Behm das kleine Revierzimmer im Hiddenseer Rathaus. Er hatte noch die letzten Worte von Rieder gehört.
„Da habt ihr recht, hier stimmt etwas nicht!“
Er holte ein kleines Tütchen aus seiner Jackentasche, in dem sich zwei Projektile befanden, und zeigte sie den beiden Inselpolizisten.
„Ich musste ziemlich lange in meinen schlauen Dateien kramen, bis ich ein Vergleichsstück für diese Munition gefunden hatte. Die ist nämlich steinalt, aber original, stammt aus den Dreißigerjahren und passt nur zu einer Waffe, einer Luger P08.“
„Eine Luger P08? Was soll das sein?“, fragte Damp.
„Eine Armeepistole, verwendet bis Ende der Dreißigerjahre. Wer heute noch so eine besitzt, verwendet sie eigentlich nicht zum Schießen, sondern verwahrt sie in einer Vitrine. Und soweit es meine ersten Untersuchungen zeigen, wurde auch die hier benutzte Luger wahrscheinlich gehegt und gepflegt.“
Rieder und Damp waren einigermaßen beeindruckt von Behms Vortrag.
Rieder nahm das Tütchen und hielt es gegen das Fenster. „Eine alte Waffe und eine breite Streuung der Einschüsse. Vielleicht auch ein alter Schütze?“
Behm winkte ab. „Das ist gut kombiniert, aber kein Beweis. Die Luger P08 galt nicht unbedingt als Präzisionswaffe und ihr schlechtes Treffverhalten auf größere Entfernungen führte zu ihrem Ende als Dienstwaffe im deutschen Militär.“
„Was ist mit dem Blut?“
„Da müsst ihr euch gedulden. Ich habe die Blutspur gesichert. Auf dem Holm über der Kabinendecke fanden sich auch noch einige Haare.