Klaus Muller

Gehen, um zu bleiben


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den Winter 1982/​83 war ich, nach einer 14-tägigen Schnellausbildung, als Filmvorführer im Rostocker Filmtheater „Capitol“ tätig, und dort wurde mir eine wichtige Erkenntnis für die Vorbereitung meines Vorhabens zuteil.

      Die exakten Ränder des Leinwandbildes werden durch schwarze Stoffvorhänge bewirkt, welche die Leinwand umrahmen. Die äußeren Ränder des Lichtstrahls, der aus der Vorführmaschine in den Zuschauerraum auf die Leinwand fällt, werden durch dieses schwarze Tuch völlig absorbiert, das schwarze Tuch bleibt trotz Lichtstrahl schwarz. So sollten auch meine Segel wirken, wenn ich nachts über die Ostsee segeln würde.

      Soweit die Tarnung der Segel gegen Scheinwerferlicht, doch wie stand’s mit dem Radar?

      Radar war eine Zaubertechnik, mit der schon die Engländer während des Zweiten Weltkrieges deutsche U-Boote geortet hatten und die von der Sowjetunion und ihren Satrapen zur Aufbringung von Flüchtlingen aller Art genutzt wurde. Die Radartechnik in ihrer Wirkungsweise wurde in jenem Theoriekursus zum Erwerb des Segelscheins zwar erläutert, hauptsächlich aber in ihrer Unüberwindlichkeit angedroht. Es musste aber auch eine militärische Radartarnung geben, dachte ich mir, schaute daher in der militärtechnischen Abteilung der „Norddeutschen Buchhandlung“ in der Kröpeliner Straße in Rostock, in ein entsprechendes Lehrbuch, das für die Ausbildung der Marineoffiziere der „Volksmarine der DDR“ gedacht war und das ich sogar hätte kaufen können. In diesem Buch war tatsächlich ein ganzes Kapitel über Radartarnung vorhanden.

      Mit heutigem Wissen muss ich sagen, dass dieses Lehrbuch noch veraltete Techniken unterwies. Immerhin hatte damals schon die US-Airforce ihre Steltbomber und entsprechende Überwasserschiffe, welche das Radar rein formgestalterisch zu unterlaufen suchten. Hier wurden aber Techniken aufgezeigt, die aus dem Zweiten Weltkrieg stammten, wo man die Aufbauten der Überwasserschiffe mit genoppten Gummiplatten belegt hatte, in der Hoffnung, so das gegnerische Radarbild zu stören. Die Erläuterung für die Wirkungsweise leuchtete mir aber ein.

      Ich beschaffte mir also gummierten und genoppten Fußbodenbelag von einem Meter Breite, diesen schnitt ich in sieben Streifen von 20 bis 26 Zentimeter Länge, um den Mast von oben sieben Zentimeter bis unten neun Zentimeter Durchmesser belegen und mit einem Spezial-Kunststoff-Haftkleber anbringen zu können. Natürlich musste ich jeden dieser unterschiedlichen Streifen nummerieren und für die am Mast befindlichen Beschläge und die Anbringung mit verschiedenen Ausschnitten versehen.

      Es wurde eine langwierige und komplizierte Arbeit, die ich während eines Aufenthaltes bei meinen Bekannten vom Segelverein in Groß Zicker bewältigte. Natürlich wurde die Anprobe der Noppenstreifen am Mast nachts vorgenommen, jeder Zuschauer hätte ja geahnt, was hier von einem „Straftäter“ gegen die DDR geplant wurde.

      Die fertiggestellten und maßgerechten Tarnstreifen verpackte ich mit mehreren Büchsen des Spezialklebers und einer Büchse Lösungsmittel, Spachteln zum Bestreichen der Streifen und des Mastes sowie vier Schraubzwingen in einem größeren Plastesack und vergrub das auf dem Hügelkamm des Großen Zicker, exakt zwischen zwei großen Findlingen, die seit der letzten Eiszeit dort lagen. In den Ecken des Rasenausstichs, den ich mit einem Campingspaten gegraben hatte und nach dem Vergraben des Plastesacks wieder einsetzte, pflanzte ich zwei Strauchgewächse aus der Umgebung der Findlinge ein, damit ich das Vergrabene leichter wiederfinden würde, wenn ich es brauchte.

      Das Ganze war natürlich eine Schnapsidee, wie ich bald bemerkte, denn das exakte Anbauen dieser Tarnung nur am Mast hätte ohne Tageslicht und ohne Helfer mindestens die halbe Nacht gedauert, und in dieser Zeit sollte ich schon weit draußen sein.

      Zuvörderst musste ich aber erst einmal die xy-Jolle allein beherrschen lernen; dafür benötigte ich einen ganzen Segelsommer, ohne von schwerer und fortwährender Arbeit gestört zu werden. In Thiessow im Mönchgut, vis à vis von Groß Zicker, hatte ich einen Büffetleiterjob in einem größeren FDGB-Ferienheim im Blick, wollte das aber nur im Jobsharing betreiben, damit ich immer mal einige zusammenhängende Tage für meine Segelpraxis nutzen könnte. Ich hatte wieder Monsieur Bernard als Partner im Auge, musste aber bei telefonischer Anfrage in Berlin von seiner Mutter erfahren, dass der Bursche leider einsitzt. Er war bei seinem Militariahandel mit der staatlichen Außenhandelsorganisation KoKo des Schalck-Golodkowski in Konkurrenz geraten, hatte westdeutschen Interessenten gegen DM seine Erwerbungen verkauft, und das brachte ihm zwei Jahre Knast ein. Allein wollte ich den Prachtjob in Thiessow aber nicht übernehmen, ich gönnte mir daher einen Segelsommer gänzlich ohne Arbeit. Der Sommer 1983 wurde deshalb für mich auch zu einer perfekten Schule des Segelns. Ich war in allen mir zugänglichen Segelrevieren im heutigen Vorpommern mit meiner xy-Jolle unterwegs, bei jedem Wetter und zu jeder Tageszeit, auch nachts, obwohl das nicht erlaubt war, aber im Großen Jasmunder Bodden nicht kontrolliert und daher auch nicht verfolgt wurde.

      Natürlich bin ich auch einmal gekentert, hatte vor Barhöft bei Starkwind aus West eine Halse gewagt, musste dann die relativ große Jolle wieder aufrichten und klitschnass zur Insel Ummanz segeln, wo ich die Jolle und mich selbst wieder in einen ordentlichen Zustand bringen konnte.

      Eines anderen Vormittags kam vor der Halbinsel Zudar, bei der Ausfahrt vom Strelasund in den Greifswalder Bodden, ein solch heftiger Nordwest auf, dass ich es nicht wagte, mit einer Jolle im Einhand über das große Gewässer ins anzusteuernde Groß Zicker zu segeln, ich wollte daher bei Palmer Ort mit der Jolle an Land gehen.

      Ich war schon gelandet, bei sommerlichen Temperaturen nur in Takelhose und barfuß, hatte die Jolle bereits halb an den Strand gezogen und wollte nun die nass gewordenen Klamotten abstreifen, um sie an Land trocknen zu lassen. Da sah ich, wie eine steife Böe die Jolle in die See trieb. Sofort die Klamotten vom Leib und dem Plasteboot hinterhergeschwommen. Ich konnte sie aber nicht mehr erreichen, war schon selbst in Gefahr, vom Strom hinausgetrieben zu werden. Also mit Kraft zurück an Land geschwommen und die noch feuchten Klamotten auf den Leib gebracht. Glücklicherweise war damit auch meine Brieftasche noch am Mann, mit Geld und allen Dokumenten. Nun fuhr ich über Mittag und Nachmittag jenes Tages barfuß in Bussen und mit der Eisenbahn über Stralsund und Greifswald nach Ludwigsburg an der dänischen Wieck. Von hier aus suchte ich bis zur Steilküste bei Loissin die Küste nach meiner Jolle ab. Dort fand ich tatsächlich das völlig verkrautete Plasteboot am Strand, es war vom Nordwest über den Bodden getrieben worden, konnte ja durch seine seitlichen Hohlkörper nicht untergehen und hatte auch kaum Wasser in der Pflicht.

      Zuerst holte ich Schlafsack und Luftmatratze aus dem Heckschapp und baumelte sie an das Luvwant zum Austrocknen, dann säuberte ich den Bootskörper, was bis in die Nacht hinein dauerte. Nach diesem anstrengenden Tag, es war nun schon fast Mitternacht, legte ich mich in meiner wiedergefundenen und noch intakten Wanderjolle zur Ruhe. Der Tag war also nicht sonderlich glücklich gewesen, aber wiederum höchst lehrreich für mich.

      Im Laufe dieses Sommers wurde mir klar, dass der Weg mit einer Jolle auf die offene Ostsee hinaus und an westliche Küsten nicht nach Osten, sondern von Hiddensee aus über die Priele an den Sandbänken vor den beiden Ausfahrten Bessin-Bug oder Gellen-Bock führte. Da die dänische Insel Møn von Dornbusch aus in fünfzig Kilometer Entfernung so verlockend zu sehen war, war mein erster Gedanke natürlich, den Weg nach Norden durch den Libben zu nehmen. Es lag nahe, vor dem Bessin über die Priele des Hahnentiefs in den Libben zu schlüpfen, von wo die Ostsee nach wenigen Meilen erreicht war. Seglerisch wäre das aber höchst kompliziert geworden. Ich hätte nachts auf einen Nordnordostwind warten müssen, der dann obendrein noch während der Nacht nach rechts hätte drehen müssen, damit ich bei anbrechendem Tageslicht weiter nach Norden gelangen konnte. Das war äußerst selten, es hätte bedeutet, dass der Kern des Tiefs sich hätte in westlicher Richtung bewegen müssen – was fast unmöglich ist – oder ein Azorenhochkeil sich nach Skandinavien ausbreitet, ohne Mitteleuropa zu berühren – auch selten. Aber zuerst musste ich persönlich überprüfen, ob vor der östlichen Spitze des Neubessin, der ja schon Sperrgebiet war, auch tatsächlich ein Priel verläuft. Bei der westlichen Spitze, dem Altbessin, konnte ich den Priel beim Törn nach Kloster zumindest sehen, wenn auch nicht genau erkunden.

      Ich hatte also die Jolle für einige Tage an einem Liegeplatz nahe dem Hafen von Kloster festgemacht und genoss die herrliche Landschaft und die Strände des nördlichen Teils von Hiddensee. Der nördliche Teil des „Söten