Thomas Einsingbach

Asian Princess


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      William LaRouche bestaunte mit einer Mischung aus tatsächlichem Interesse und gelangweiltem Müßiggang den Sonnenschirm, unter den man seine Strandliege geschobenen hatte. Zum Lesen war es zu warm und zum Essen noch zu früh. Der Schirm war ausschließlich aus Materialien der Kokospalme hergestellt. Palmwedel waren kunstvoll über Speichen aus Stammholz geflochten, wurden von aneinandergeknoteten Kokosfasern zusammengehalten und bildeten so eine Art Naturbaldachin. Das Ganze ruhte auf einem lotrecht montierten Ständer, für den das geölte Holz aus dem Palmenstamm verwendet worden war. William sog über einen Strohhalm die süßlich-milchige Flüssigkeit aus einer aufgeschlagenen grünen Frucht dieses Universalbaumes und wunderte sich, dass das Kokoswasser auch nach fast einer Stunde noch kühl und erfrischend durch seine Kehle rann.

      Außer ihm lagen nur wenige andere Touristen auf dem privaten Strandabschnitt des gemütlichen Boutique-Hotels am Bophut Beach auf der Ferieninsel Koh Samui.

      William verrieb eine Portion Sonnencreme auf der Brust. Während der Sommermonate war es ihm gelungen, sein Gewicht um zehn Pfund zu reduzieren. Er hatte sich mittlerweile daran gewöhnt, regelmäßig im New Yorker Central Park zu joggen, und sich außerdem für die Wintersaison in einem Fitnessstudio angemeldet. Schließlich war es einem Friseur, einem wahren Meister seines Fachs, gelungen, Williams ausgedünnte, blondstruppige Mähne in einen manierlichen Kurzhaarschnitt zu verwandeln. Nur das Rauchen und seine geliebte Coca-Cola hatte er sich nicht abgewöhnen können und gegen seinen hellen Hauttyp war er naturgemäß machtlos.

      Man konnte eben nicht alles haben, dachte er im Stillen, als er seine krebsroten Schultern noch einmal mit der Lotion bearbeitete. Dann streckte er sich behaglich auf der Liege aus. Der Duft von gegrilltem Fisch schwebte von einer rollenden Garküche zu ihm herüber. Er beobachtete, wie hinter der Brandung, dort, wo sich die Wellen auf den Kontakt mit dem Festland vorbereiteten, zwei Speedboote um die Wette jagten. Weiter draußen machte er ein paar Fischkutter aus, die ohne wahrnehmbare Positionsveränderung auf der spiegelnden See des Golfs von Thailand schaukelten.

      Für den Nachmittag waren Gewitterschauer angekündigt. Von Osten schoben sich wie bestellt regenschwere Wolkenungetüme der Küste Koh Samuis entgegen. Urgewaltig würden die Wassermassen auf die Insel herabprasseln, einer leidenschaftlichen musikalischen Eruption gleich. Und wenn nach dem Konzert der Vorhang gefallen war, stand ganz sicher einem Abendessen unter freiem Himmel nichts im Weg. William überlegte: Gedämpfter Seebarsch mit Ingwer, Frühlingszwiebeln und Knoblauch? Ein gegrilltes Thunfischsteak oder rotes Hühnercurry mit Erdnüssen und scharfem Chili? Vielleicht auch alles zusammen? Bis zum Abend war es noch eine Weile und zu dieser Jahreszeit fand sich in jedem Restaurant ein freier Tisch.

      William zog seine Sonnenbrille von der hohen Stirn vor die Augen und ließ sich seinen Körper von der salzig-schwülen Brise streicheln, die von der offenen See heranwehte. Er döste vor sich hin und genoss es, für eine wunderbare Woche dem Alltag seiner Agentur für private Ermittlungen entflohen zu sein. Die Geschäfte liefen gut, er konnte nicht klagen. Sogar den Umzug seines Büros von Hoboken, New Jersey, ins East Village von Manhattan hatte er gewagt und war damit nicht schlecht gefahren. Mittlerweile arbeiteten drei Detektive und eine Sekretärin für ihn. Die Zeit, als er für ein paar mickrige Dollar Tageshonorar untreuen Ehemännern hinterhergeschlichen war, gehörte der Vergangenheit an. Vor fast genau einem Jahr war er im Auftrag des amerikanischen Justizministeriums nach Thailand gereist, um dort einen international gesuchten Folterspezialisten aufzuspüren. Dieser Einsatz hatte, trotz des tragischen Finales, seinem Leben eine Wendung gegeben und ihn zu einem Geheimtipp für komplizierte Vermisstenfälle gemacht. Ein fröhliches Gekicher ganz in der Nähe beendete Williams Tagträumerei für den Moment. Blinzelnd beobachtete er das junge Paar, das ihm schon beim Frühstück aufgefallen war. Die beiden waren offensichtlich bis über beide Ohren ineinander verliebt und damit beschäftigt, sich wechselseitig zu necken.

      William zog eine Lucky Strike aus der Packung, zündete sich die Zigarette an und dachte an Penelope. War das, was vor einem Jahr zwischen ihm und der amerikanischen Juristin in Bangkok geschehen war, tatsächlich Liebe gewesen? Oder war es vielmehr eine Affäre zweier einsamer Seelen, die zur rechten Zeit aufeinandergetroffen waren, um sich gegenseitig Halt zu geben? Zumindest war nicht das eingetreten, was sich vielleicht jeder der beiden insgeheim erhofft hatte. Als Williams Auftrag beendet war, hatte sich Penelope Owens wieder auf ihre Klienten der Bangkoker Niederlassung einer New Yorker Wirtschaftskanzlei konzentriert, und auch William war in sein altes Leben nach Amerika zurückgekehrt. Immerhin hatte er dort das Verhältnis zu seiner Mutter Doris geklärt, war seelisch wieder einigermaßen in der Spur und hatte sich auch beruflich erheblich verbessert. Nicht gerade wenig für einen vorzeitig aus dem Dienst geschiedenen FBI-Agenten, dessen Leben noch vor zwölf Monaten trostlos und ohne Perspektive gewesen war.

      William griff nach seiner Brieftasche, die unter dem Badetuch versteckt lag, und zog eine Fotografie heraus. Er hob die Aufnahme in weitem Abstand vor die Augen. Er konnte sich noch lebendig an den Abend erinnern, an dem dieses Foto aufgenommen worden war. Penelope und er hatten in Bangkoks Chinatown ein paar Kleinigkeiten gegessen und stundenlang geredet. Dabei hatte er eine Zigarette nach der anderen geraucht und sie etliche Flaschen Bier getrunken. Es war jene Nacht gewesen, in der William seine fast fünfzehn Jahre jüngere Landsmännin mit thailändischen Wurzeln das erste Mal geküsst hatte. Penelopes Lachen, ihre Stirnfalten, wenn sie etwas Wichtiges zu sagen hatte, der Duft ihres seidigen schwarzen Haars – das alles und noch viel mehr würde in Williams Erinnerung gegenwärtig bleiben. Aber es hätte zwischen ihnen nicht funktioniert. Für eine dauerhafte Beziehung waren sie sich einerseits zu ähnlich und andererseits zu verschieden. So lautete jedenfalls beim Abschied ihre einvernehmliche Analyse. Vielleicht war es aber auch die Unsicherheit, was geschehen würde, wenn man sich tatsächlich aufeinander einließ. Jedes Mal, wenn William das Foto betrachtete, spürte er von Neuem das Gefühlschaos, dem er damals vernünftigerweise entronnen war, indem er einen Ozean Abstand zwischen sich und Penelope gelegt hatte.

      William sog den letzten Schluck aus der Kokosnuss. In Amerika ließ ihm seine Arbeit kaum Zeit für solch sentimentale Gedanken, was auch sein Gutes hatte. Auf jeden Fall war er mit Penelope in der kommenden Woche in Bangkok zu einem nostalgischen Abendessen verabredet. Anschließend würde er seinen Kurzurlaub in Thailand beenden und den Rückflug nach New York antreten. Seine Sekretärin hatte sicherheitshalber ein Flugticket ohne Umbuchungsmöglichkeit organisiert, schließlich warteten in Amerika interessante Aufträge. William zündete sich eine weitere Zigarette an und überlegte, ob Penelope sich über ein Souvenir von Koh Samui freuen würde.

      3

      Michael Kühnle stieg, wie an jedem Morgen, die Windungen der Silvanerstraße hinauf. Er passierte den Neubau der Winzergenossenschaft, legte am Aussichtspunkt unterhalb der Guldenburg eine erste Verschnaufpause ein und stieß einen schrillen Pfiff aus. Diabolo unterbrach daraufhin die Verfolgung einer aufgenommenen Fährte, hob den Kopf, stellte die Ohren auf und fand den Blick seines Herrchens. Dann trabte der Schäferhund den oberen Teil des Weges zurück.

      „Sodele, do kumscht her un hogscht di hi.“

      Die Kirchturmuhr von Sankt Michael zeigte kurz vor halb acht. Hund und Herrchen blickten einträchtig von der Anhöhe über das verschlafene Rebheim an der badischen Weinstraße. Die beiden schienen die sonntägliche Ruhe zu genießen.

      „Was wolle mir denn heut Middach Feines esse? Mir hädde do noch zwee Brotwörscht un Kadoffelpannekuche“, schlug der alleinstehende Kühnle vor, als sie wenig später die Abkürzung zum Madonnenberg hinaufkletterten. Diabolo war folgsam bei Fuß geblieben und warf seinem Herrchen immer wieder einen kurzen Seitenblick zu.

      „Alla hopp, dann spring mol widda!“

      Michael Kühnle war viele Jahrzehnte Hauptmeister der Schutzpolizei gewesen. Als ihm nach etlichen Bandscheibenvorfällen ein Teil seines Rückgrats versteift wurde, hatte man ihm bis zu seiner Pensionierung die Leitung der Heidelberger Polizeihundestaffel übertragen. Diabolo, der sich im besten Hundealter befand, hatte ihn schließlich in den Ruhestand begleiten dürfen und Kühnle wollte den Tatendrang seines ehemaligen Diensthundes nicht durch seine eigene eingeschränkte Beweglichkeit lähmen. Und so überquerten die