Christina Auerswald

Magdalene und die Saaleweiber


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Gertrud und Rosina begannen wieder mit dem Grünzeug zu arbeiten.

      Else tat gar nichts. Sie blieb stehen und lächelte Magdalene lammfromm an. »Ihr werdet entschuldigen, Frau Meisterin, ich empfinde in diesem Augenblick große Sehnsucht nach Gott. Ich muss in die Marktkirche gehen und ein Gebet verrichten, um dem Herrn für seine Wohltat zu danken.«

      Die Altmagd setzte sich in Bewegung und verließ das Haus, ehe irgendjemand ein Wort zur Erwiderung gefunden hatte. Magdalene war so verblüfft, dass sie die Magd nicht, wie sie um ihrer Autorität willen verpflichtet gewesen wäre, zurückholte und zurechtwies. Stattdessen sank sie auf die Küchenbank und verstummte.

      Lange passierte nichts. Rosina brachte den Eimer nach draußen, Gertrud wischte schweigend die Wasserlache vom Boden auf, dann arbeiteten die jungen Mägde weiter am Mangold. In der Küche lag das Schweigen wie Blei, nur vom Ratschen der Mangoldblätter unterbrochen. Magdalene sah aus dem Fenster zum Hof. Sie starrte auf die Wand des Stallgebäudes, die Hände lagen im Schoß, sie hielt die Finger ineinander geklammert.

      Nach einer Weile schwenkte sie den Blick zum Herd. Sie wies Rosina an, sich um die Suppe zu kümmern, und sah zu, wie die Magd das Hafermehl anrührte. Gertrud stand auf, räumte die Reste des Gemüses zusammen und verschwand mit dem Abfall zum Hühnerfüttern nach draußen.

      Magdalene blieb reglos auf der Bank am Küchentisch sitzen. Sie fragte sich, was Else im Schilde führte, denn es gab keinen Zweifel, dass irgendetwas hinter ihrem Auftritt steckte. Es war nichts Gutes, das wusste Magdalene. Ihr Blick war wieder auf den kümmerlichen Ausblick gerichtet, als könnte sie dort ein Mittel finden, um Else in eine freundliche, gutmütige Frau zu verwandeln.

      2. KAPITEL

      Rosina sah Gertrud nach, die draußen das Hühnergatter öffnete. Sie rührte im Suppentopf, fuhr mit dem hölzernen Löffel einmal ringsum, zog ihn heraus und musterte ihn. Magdalene konnte erkennen, wie die Magd mit sich rang, ob sie den Löffel ablecken durfte. Deshalb warf sie ihr einen Blick zu, dass sie es lassen sollte, und Rosina verstand. Sie legte den Löffel beiseite und den Deckel auf den Topf.

      Meister Georg Rehnikel trat in die Küche, verschwitzt von seinem Gang zum Markt und dort von einer zur anderen Apotheke. Bewegungen bereiteten ihm Mühe; er liebte es viel mehr, in seinem Lager zu sitzen und mit dem Vergrößerungsglas Pflanzen anzuschauen. Der Gang zu den Apotheken musste sein, denn der brachte das Geld, von dem sie lebten. Georg Rehnikel knöpfte sein schwarzes Wams auf, zog es aus und legte es über die Stuhllehne. Dann streckte er die Arme lang und gähnte.

      »Ist etwas passiert, Lenchen?«, fragte er. »Gertrud hat sich quer über den Hof davongemacht, als ich reinkam. Das hat ausgesehen, als ob sie nicht mit mir reden wollte. Rosina sagt auch kein Wort.«

      Rosina stand unübersehbar am Herd, und er redete über sie. Magdalene wusste, dass er das nicht aus Bosheit tat. Nein, er nahm die Magd nicht wahr. Er sah nur Magdalene an, die am Tisch saß. Seit sie verheiratet waren, seit drei Jahren, konnte sie sicher sein, dass sie im Mittelpunkt all seiner Gedanken stand. Trotzdem musste er sich anständig benehmen; sie wollte nicht, dass das Gesinde ihren Mann wegen seiner Zuneigung für einen Trottel hielt. Unter normalen Umständen hätte sie ihm ein paar Takte gesagt, aber das Erlebnis mit Else lenkte sie von allem anderen ab. Sie antwortete missmutig: »Nichts, worüber sich zu reden lohnt. Else hat uns eine Posse vorgeführt und die Mädchen glauben gleich an ein Wunder.«

      »Eine Posse? Was für eine Posse? Erzähl mir davon!«

      Rosina verließ die Küche, und Magdalene atmete auf. Sie konnte freier reden, wenn niemand vom Gesinde in der Nähe war. Außerdem musste sie ihren Groll gegen Else sorgfältig verbergen, und das war schwer, wenn jemand wie Rosina dabei war, die genau zuhörte.

      Dass Else ihre junge Herrin nicht leiden konnte, wusste Magdalene seit dem Tag nach ihrer Hochzeit. Im gleichen Augenblick, als Else an jenem Tag ins Erkerzimmer getreten war, das Schlüsselbund in der Hand, mit dem sie die Herrschaft über den Haushalt abgab, war ihr der Hass zum ersten Mal so deutlich aus dem Blick gestiegen, dass Magdalene ihn wie einen Feuerblitz spürte. Jeder im Haus hatte die Anspannung mitbekommen, die zwischen den beiden Frauen herrschte, nur Georg Rehnikel hatte sie nicht bemerkt.

      Magdalene gab wieder, was sie von Elses Posse gesehen hatte. Am Ende ihrer Erzählung hielt sie einen Moment inne und sah ihrem Mann in die Augen. »Ich weiß, was Else bezweckt. Sie will vor den Mädchen schlau dastehen und ihnen Angst einjagen.«

      Georg schlug den Blick nieder und sagte nichts.

      Magdalene stellte das Brett mit dem Brotlaib und dem Schinken auf den Tisch, schnitt ihrem Mann eine dicke Scheibe von beidem ab und setzte sich neben ihn. Sie sah zu, wie er abbiss und kaute.

      Erst dann raffte er sich zu einer Erwiderung auf. »Diese Sache darfst du nicht ohne Weiteres abtun, Lenchen«, antwortete er mit vollem Mund. »Wer weiß, vielleicht war es wirklich eine Offenbarung. So etwas soll es geben.«

      »Du meinst die extraordinären Weiber.«

      Eifrig nickte er, kaute, schluckte, redete wieder deutlich. »Manche Menschen besitzen eine Gabe, sie können beim Gebet in Verzückung geraten, meistens Weiber. Sie haben vielleicht das zartere Gemüt? Wir haben in unserem Zirkel darüber geredet, was die Ursache der Verzückung sein kann. Wir halten es für möglich, dass tatsächlich die Stimme Gottes aus ihnen spricht.«

      »Das ist Unsinn. Wieso sollte Gott seine Stimme ausgerechnet Mägden leihen?«

      »Warum nicht? Schließlich ist Gott auch in Jesu Gestalt unter die Armen gegangen und hat sich erniedrigt.«

      Magdalene seufzte. Georgs nächste pathetische Rede war nicht mehr aufzuhalten. Erst am Abend zuvor hatte ihr Mann beim Essen aus seinem Pietistenzirkel berichtet, langatmig und mit jeder denkbaren Ausschmückung. Seine Stimme hatte vor Begeisterung vibriert. Es war um Adelheid Schwartz gegangen, eines der extraordinären Weiber. Er hatte geredet, als ob er die Frau selbst erlebt hätte, und hörte gar nicht wieder damit auf.

      »Georg, das hier ist etwas anderes«, beschwor sie ihn. »Else war nicht bei sich. Du hättest sie sehen sollen.«

      »Gerade das ist ein guter Beweis! Außerdem ist es nicht unsere Aufgabe, die Erleuchtung zu begutachten. Das können gelehrte Männer übernehmen.«

      »Glaube mir, Weiber wissen, was anderen Weibern im Kopf herumgeht.«

      »Weiber sind ihresgleichen gegenüber härter im Urteil als Männer.«

      Sein Tonfall war schärfer geworden. Das hieß, er wollte sich von seiner Frau nicht dreinreden lassen. Selten redete er in diesem Befehlston mit ihr.

      Magdalene wusste, dass ihr Mann freundlich war, freundlicher als die meisten anderen, aber sie durfte es nicht übertreiben. Anderswo gab es Schläge und unfreundliche Worte für Ehefrau, Gesinde und Kinder. Hier nicht, hier war der Ton des Hausherrn liebevoll, außer wenn jemand versuchte, ihm bei seinen Glaubenssachen ins Handwerk zu pfuschen. Darin fühlte er sich im Haus als Einziger zum Lehrer berufen.

      Magdalene lenkte ein. »Ich glaube, die Extraordinären lügen nicht absichtlich. Sie glauben, was sie sagen.«

      »Natürlich tun sie das. Sogar Pfarrer Francke glaubt ihnen.«

      »Der Pfarrer aus Glaucha?«

      »Du weißt doch, der Neue. Er ist kaum ein paar Monate im Amt, da hat er sich schon Feinde gemacht. Man nimmt ihm den Kontakt zu Adelheid Schwartz übel, weil die sich nicht an die Regeln des Kirchenlebens hält. Es ist wirklich schwer zu unterscheiden, ob die Weiber tiefgläubig oder Scharlatane sind. Stell dir vor, im Harz gibt es welche, die raten davon ab, den Gottesdienst zu besuchen und am Abendmahl teilzunehmen.«

      »Warum? Geben sie einen Grund an?«