ihr tauchte ein Lichtkranz auf, ein an einer Stange befestigtes bemaltes Holz, das der dritte Schauspieler trug. Die Leute johlten, Gelächter wogte durch die wachsende Menschenmenge.
»Ich sprech’ selbst mit dem Höchsten Herrn. Er salbt und segnet mich sehr gern.«
Der bunte Mann hockte sich vor die Frau und gaffte sie mit aufgerissenen Augen an. »Und wie, sagt an, kommt er Euch nah?«
Sie hob ihre Hände hoch und sah gegen den Himmel. »’s ist nicht lang her, dass ich ihn sah!« Danach murmelte sie ein Kauderwelsch, das an Latein erinnerte. Sie wurde schriller und schrie alle Augenblicke »Puh!«, worauf der hockende Mann Schreckensrufe von sich gab und umfiel.
Schon johlten und lachten die Leute wieder. Die Frau säuselte: »Er sagt, ein Apfel täte mir sehr gut!«
Der Buntgekleidete stand auf und zog einen grünen Apfel aus seiner Rocktasche. Er ließ die Frau einige Male danach schnappen, bis sie ihn griff, so tat, als ob sie hineinbiss und das Gesicht zu einer Grimasse verzog.
Die Leute lachten.
»Den Herrn verspotten ist Übermut«, kreischte die bemalte Person.
»Nein, nein, ich dachte an das Paradies.« Der Mann wandte sich an das Publikum. »Nicht dass sie mich jetzt Schlange hieß!«
Die Leute klatschten vor Begeisterung.
»Die Schlange will ich anders reichen!«, kreischte die Frau und versohlte ihm mit einem Strick aus ihrer Tasche den Hintern. Das Johlen der Leute hörte gar nicht auf, sie bogen sich vor Lachen. »Wenn ich das will, gibt Gott ein Zeichen!« Sie hob die Hände hoch und zeigte ihre Handflächen, von denen auf einmal rote Farbe lief.
Abrupt brach das Lärmen ab, das Lachen erstarb. Noch ein paar Pfiffe tauchten aus dem Raunen, dann war es still. In den Gesichtern rings um Magdalene stand erschrockenes Blinzeln.
Die beiden Männer auf dem freien Platz hielten inne und tauschten einen verunsicherten Blick. Magdalene begriff, dass sie keine Ahnung von Anna Maria Schuchardt hatten und nicht wussten, was mit ihr in Halle passiert war.
Der Bursche neben Magdalene, ein Nichtsnutz von Mitte zwanzig, schaute genauso verständnislos wie die Schauspieler. Sein zotteliges, schief und schräg geschnittenes rotbraunes Haar fiel in den Blick. Das geflickte Wams musste früher in reicheren Händen gewesen sein; man konnte noch die Stellen an Ärmeln und Kragen sehen, an denen der Spitzenbesatz abgeschnitten worden war. Die blaue Farbe seiner Kleider war verblichen, am stärksten auf den Schultern. Risse ließen das grobe Hemd darunter hervorlugen.
Dieser Nichtsnutz war ein Bettler, und solchen war alles zuzutrauen. Magdalene legte die Hand auf ihren Gürtel, unter dem der Geldbeutel steckte, und trat nach hinten, bis er zu der Fleischersfrau rückte. Sie sah ihn die großen grauen Augen aufschlagen. »Was meinen die?«, fragte er die Fleischerin. Er kam nicht von hier, sonst hätte er über solche Frauen wie die Schuchardt Bescheid gewusst. Jeder hier wusste von der Angelegenheit.
»Habt Ihr noch nie von den hysterischen Weibern gehört?«
Der Nichtsnutz schüttelte den Kopf.
»Hier in Halle hatten wir eins, die Schuchardt. Manche sagen hysterische Weiber zu ihnen, andere, die es gut meinen, nennen sie extraordinäre Weiber.« Der junge Mann sah sie fragend an, und sie fügte bissig hinzu: »Die Schuchardt haben sie letzten Winter aus Halle verjagt, aber die Leute waren uneins wegen ihr. Wenn Ihr mich fragt, ich halte sie für eine gewöhnliche Magd. Die ist nichts Besonderes, die spielt sich bloß auf. Die ist schon aus Erfurt ausgewiesen worden und hat gedacht, in Halle würde es ihr besser gehen. Raffiniert ist sie aber schon. Zuerst versenkt sie sich ins Gebet, als Nächstes wird sie starr, als ob sie entrückt wäre, und danach soll sie singen. Die Leute reden von Visionen, richtigen Prophezeiungen, aber das ist Blödsinn. Die Wahrsagungen treten nämlich nie ein oder sind allgemeiner Kram. Aber eine Sache gibt es, wegen der wissen wir alle nicht so recht, ob es mit der Schuchardt nicht doch stimmt. Im Haus des Sekretärs Ringhammer hat eine Andacht stattgefunden, da ist der Frau, ohne dass sie verletzt war, blutiger Schweiß von ihren Händen gelaufen. Es sieht aus, als wollten sich die Schauspieler da vorn über die Schuchardt lustig machen.«
Ehe der Mann etwas erwidern konnte, hatten sich die Komödianten gefasst und versuchten das Theaterstück wieder aufzunehmen. Der mit der roten Farbe an den Händen schrie: »Na, willst du endlich für mich springen und mir schöne Speisen bringen!« Und den Leuten zugewandt: »Ich würde einen Besen fressen, brächt er mir jetzt nicht feines Essen.« Der Buntgekleidete kniete sich auf den Boden und tat, als würde er beten.
Nur noch wenige Leute lachten. Einige hatten die Brauen verärgert zusammengezogen, andere die Arme in die Hüften gestemmt. Ein dunkel gekleideter, flaumbärtiger Student drängte sich nach vorn. »Was ist das für eine Schmierenkomödie?«, rief er mit dünner Stimme den Schauspielern entgegen.
»Jawohl, jawohl«, hörte Magdalene rings um sich, wo die Leute eben noch gejohlt hatten.
»Ihr seid in Halle. Das ist keine gewöhnliche Stadt, wenn es um die Stimme unseres Herrn geht. Hier hat Gott aus dem Mund von Menschen gesprochen. Die extraordinären Weiber mögen über Euren Horizont steigen, über sie spotten dürft Ihr deshalb noch lange nicht.«
Die Schauspieler unterbrachen ihr Spiel zum zweiten Mal. Die lachend nach oben geschminkten Lippen des als Weib Angezogenen standen in einem grotesken Gegensatz zu seinen fragend erhobenen Augenbrauen.
»Ach was«, tönte es vor Magdalene, »lasst sie weiterspielen und stört den Spaß nicht.« Die Fleischerin schob sich nach vorn zu dem Studenten. »Es war richtig, dass man die Schuchardt aus der Stadt geworfen hat. Die konnte genauso gut schauspielern wie die Komödianten hier. Ich würde gern wissen, wie sie das mit den blutigen Malen auf den Händen angestellt hat. Ihr glaubt wohl an diesen Spuk?«
Der Student reckte sich zu seiner ganzen Größe auf. »Ich verkehre im Haus des königlich-schwedischen Legations-Sekretärs Ringhammer.« Zwischen den Leuten setzte vorsichtiges Gemurmel ein. »Während ihrer Ekstase hat die Schuchardt Hochdeutsch geredet, wo sie sonst Thüringisch spricht. Das war keine Komödie, die Frau war verwandelt. Ich habe es selbst gesehen.«
Die Fleischerin stemmte die Hände in die Seiten und maß den Studenten mit Blicken. »Wenn es um die Qualitäten der Schuchardt geht, da weiß ich mehr. Ich habe sie auch selbst erlebt. Sie hat sich jeden Tag im Leben so angenehm wie möglich zu machen versucht. Mit Arbeit hatte die nicht viel am Hut. Eine Menge Leute findet es richtig vom Salzgrafen, sie aus der Stadt zu weisen.«
Der Student trotzte. »Das ist doch der Beweis für den göttlichen Ursprung der Geschehnisse. Der Allmächtige hat den Charakter dieses Weibs verwandelt. Wisst Ihr überhaupt, was seitdem passiert ist? Noch mehr Frauen haben Visionen, die Tochter des Sekretärs Ringhammer und zwei Töchter des Herrn von Wolff, Christiane und Sophie. Sie sind bei Herrn Francke im katechetischen Unterricht. Der glaubt ihren Entzückungen.«
Die Fleischerin winkte ab. »Mir ist der Spaß sowieso verdorben. Die reichen Weiber können mir gestohlen bleiben.«
Der Student nickte zufrieden. Er drehte sich zum Publikum und hob die Hände. »Geht nach Hause, liebe Leute! Die Komödie ist zu Ende. Wir kommen wieder, wenn es etwas Gescheiteres zu sehen gibt als Spott über Gottes Gnade.«
Das Raunen wurde stärker. Unentschlossen standen die Komödianten auf dem freien Platz, flüsterten miteinander und verschwanden einer nach dem anderen in ihrem Wagen. Der Nichtsnutz vor Magdalene nickte. »Die haben Erfahrung, die wissen Bescheid, wann sie besser unsichtbar werden.« Er drehte sich um und drängte durch die Leute nach hinten. Die Menschentraube, die sich um den Wagen gebildet hatte, löste sich auf, einer nach dem anderen ging fort.
Magdalene blieb stehen. Um sie herum strebten alle vom Platz weg, bald rollte auch der Wagen der Komödianten in Richtung Rannisches Tor. Sie stand einsam an der eben noch bevölkerten Stelle beim Corps du Garde. Spätestens morgen würde die ganze Stadt wissen, dass die Komödianten in diesem Jahr mit ihrem schlechten Schauspiel am tiefen Glauben der Hiesigen gescheitert waren. Das war für die