Robert Mccammon

BOY'S LIFE - Die Suche nach einem Mörder


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Bowlingpokal totgeprügelt hat?«

      Ich ging zum Milchtruck zurück und wartete auf meinen Dad. Die Sonne war jetzt ganz aufgegangen, leuchtete auf die Welt hinunter. Oder zumindest auf die Welt, die ich kannte. Aber mich bedrückte etwas. Mir schien, dass es zwei Welten gab; eine vor der Sonne und eine nach dem Sonnenaufgang. Und wenn das stimmte, dann gab es vielleicht auch Menschen, die Bürger dieser verschiedenen Welten waren. Manche bewegten sich ungehindert im Land der Nacht und andere klammerten sich an die hellen Stunden. Vielleicht hatte ich in der Welt vor der Sonne einen dieser Bürger der Finsternis gesehen. Und – ein lähmender Gedanke – vielleicht hatte er auch mitbekommen, dass ich ihn gesehen habe.

      Ich merkte, dass ich Lehm in den Milchtruck gebracht hatte. Meine Keds waren ganz verschmiert.

      Ich sah mir die Sohlen und die Erde an, die sich daran festgetreten hatte.

      Unter meinem linken Schuh klebte eine kleine grüne Feder.

      Runter in die Dunkelheit

      Ich steckte mir die grüne Feder in die Tasche. Von dort wanderte sie in eine White-Owl-Zigarrenschachtel in meinem Zimmer, in der auch meine Schlüsselsammlung und vertrocknete Insekten lagen. Ich klappte den Deckel der Schachtel runter, stellte sie in eine der sieben geheimen Schubladen und machte die Schublade zu.

      Und dann vergaß ich sie.

      Je länger ich überlegte, ob ich diese Gestalt am Waldrand tatsächlich gesehen hatte, desto sicherer war ich mir, dass ich sie mir nur eingebildet hatte. Meine Augen hatten es mit der Angst zu tun bekommen, als Dad neben dem Auto im See untergegangen war. Ich setzte mehrmals an, Dad davon zu erzählen, aber jedes Mal kam etwas dazwischen. Mom wurde fuchsteufelswild, als sie herausfand, dass Dad in den See gesprungen war. Sie schluchzte vor Wut, während sie ihn anschrie, und Dad musste sie auf einen Stuhl am Küchentisch ziehen und ihr in aller Ruhe erklären, warum er es getan hatte.

      »Ein Mann saß hinter dem Steuer«, sagte Dad. »Ich wusste ja nicht, dass er schon tot war, ich dachte, er hatte sich den Kopf angeschlagen und war bewusstlos. Wenn ich da nur rumgestanden wäre – wie hätte ich dann später jemals wieder in den Spiegel schauen können, nachdem alles vorbei war?«

      »Du hättest ertrinken können!«, schoss sie zurück, während ihr Tränen über die Wangen liefen. »Du hättest mit dem Kopf auf einem Stein landen und ertrinken können!«

      »Ich bin nicht ertrunken. Ich bin nicht mit dem Kopf auf einem Stein gelandet. Ich habe getan, was ich tun musste.« Er reichte ihr eine Papierserviette und sie wischte sich damit die Augen ab.

      Einen letzten Schuss vor den Bug hatte sie aber noch: »Der See ist voll mit Wassermokassinottern! Du hättest in ein ganzes Nest davon schwimmen können!«

      »Bin ich aber nicht«, sagte er, und sie seufzte und schüttelte den Kopf, als lebte sie mit dem verrücktesten Idioten zusammen, der je das Licht der Welt erblickt hatte.

      »Zieh dir besser die nassen Sachen aus«, sagte sie nach einer Weile zu ihm. Sie hatte ihre Stimme wieder unter Kontrolle. »Ich danke Gott, dass nicht auch noch deine Leiche unten auf dem Grund des Sees liegt.« Sie stand auf und half ihm, das durchweichte Hemd aufzuknöpfen. »Weißt du dann, wer’s war?«

      »Hab den noch nie gesehen.«

      »Wer würde einem andern Menschen so was antun?«

      »Das herauszufinden ist J.T.s Job.« Er pellte sich das Hemd vom Leib, und Mom nahm es mit zwei Fingern entgegen, als sei das Seewasser mit Lepra verseucht. »Ich muss auf die Wache gehen und das zu Protokoll geben. Rebecca, als ich diesem toten Mann ins Gesicht gesehen habe, ist mir fast das Herz stehengeblieben. So was hab ich noch nie gesehen, und ich hoffe bei allem, was mir heilig ist, dass ich so was auch nie wieder sehen werde.«

      »Oh Gott«, sagte Mom. »Was, wenn du einen Herzinfarkt bekommen hättest? Wer hätte dich denn gerettet?«

      Sich Sorgen zu machen lag in der Natur meiner Mutter. Sie machte sich über das Wetter Sorgen, über den Preis von Lebensmitteln, dass die Waschmaschine kaputtgehen könnte, darüber, wie die Papierfabrik im Adams Valley den Tecumseh River verschmutzte, wie teuer neue Kleidung war, und alles, was es sonst noch unter der Sonne gab. Für meine Mutter war die Welt wie eine unermesslich große Steppdecke, deren Nähte ständig aufgingen. Irgendwie waren ihre Befürchtungen wie eine Nadel, die diese gefährdeten Nähte stramm zog. Wenn sie sich den schlimmstmöglichen Ausgang einer Situation vorstellen konnte, schien sie eine Art Kontrolle darüber zu entwickeln. Wie gesagt, so war sie einfach. Mein Vater konnte, ohne groß nachzudenken, um Entscheidungen würfeln, aber meine Mutter quälte sich mit jeder Stunde. Ich nehme an, sie ergänzten sich; wie zwei Menschen, die sich lieben, es sollten.

      Die Eltern meiner Mutter, Grand Austin und Nana Alice, lebten ungefähr zwölf Meilen weiter südlich am Rande der Robbins Air Force Base in einer Stadt namens Waxahatchee. Nana Alice machte sich sogar noch mehr Sorgen als Mom. Irgendetwas in ihrer Seele verlangte nach Drama und Tragik, während Grand Austin – der Holzfäller gewesen war und zum Andenken an den Ausrutscher einer Bandsäge ein Holzbein hatte – sie warnte, dass er sein Bein abschrauben und ihr damit eine verpassen würde, wenn sie nicht endlich still war und ihn in Ruhe ließ. Er nannte sein Holzbein seine Friedenspfeife, aber soviel ich weiß, hat er es nie zu einem anderen Zweck als dem benutzt, für den es geschnitzt worden war. Meine Mutter hatte einen Bruder und eine Schwester, beide älter als sie, aber mein Vater war ein Einzelkind.

      An jenem Tag ging ich in die Schule und erzählte Davy Ray Callan, Johnny Wilson und Ben Sears bei der allerersten Gelegenheit, was passiert war. Bis die Schulglocke schellte und ich nach Hause ging, hatten sich die Neuigkeiten in Zephyr wie ein lodernder Waldbrand verbreitet. Das Wort Mord war in aller Munde. Meine Eltern wurden mit Anrufen bombardiert. Jeder wollte die grausigen Einzelheiten wissen. Ich ging raus, um Rebel hinter meinem rostigen Fahrrad her durch den Wald jagen zu lassen, und mir kam der Gedanke, dass einer dieser Anrufer die Details vielleicht schon kannte. Vielleicht versuchte einer von ihnen nur herauszufinden, ob er gesehen worden war, oder was Sheriff Amory wusste.

      Als ich auf meinem Fahrrad durch den Wald fuhr und Rebel neben mir herrannte, wurde ich mir bewusst, dass möglicherweise jemand in meiner Heimatstadt ein Mörder war.

      Die Tage vergingen, wärmten sich auf zur Mitte des Frühlings hin. Eine Woche, nachdem Dad in Saxon’s Lake gesprungen war, sah der Stand der Dinge so aus: Sheriff Amory hatte weder in Zephyr noch den umliegenden Städten einen Vermissten ausfindig machen können. Ein Artikel auf der ersten Seite des wöchentlich erscheinenden Adams Valley Journal kitzelte keine neuen Informationen heraus. Sheriff Amory und zwei seiner Deputys, ein paar Feuerwehrmänner und ein halbes Dutzend Freiwillige fuhren in Ruderbooten auf den See hinaus und zogen Netze hin und her, fingen aber nur aufgebracht schnappende Schildkröten und Wassermokassinottern.

      Saxon’s Lake war in den Zwanzigerjahren Saxon’s Steinbruch gewesen, bis die Dampfschaufeln in einen unterirdischen Bach eingebrochen waren, der weder eingedämmt noch umgeleitet werden konnte. Der See wurde auf eine Tiefe von neunzig bis hundertfünfzig Meter geschätzt. Auf der gesamten Welt existierte kein Netz, welches das versunkene Auto wieder an die Oberfläche ziehen konnte.

      Eines Abends kam der Sheriff vorbei, um mit Mom und Dad zu reden, und sie ließen mich dabei sein. »Wer auch immer das getan hat«, erklärte Sheriff Avery, dessen Nase einen Schatten warf, als er mit dem Hut auf dem Schoß dasaß, »muss mit dem Auto rückwärts in die Schotterstraße reingefahren sein, die dem See gegenüberliegt. Die Reifenspuren haben wir gefunden, aber die Fußspuren waren alle verwischt. Der Mörder muss irgendwas auf das Gaspedal geklemmt haben. Kurz bevor Sie um die Kurve kamen, hat er die Handbremse gelöst, die Tür zugeknallt und ist zurückgesprungen, und das Auto hat die Route Ten überquert. Natürlich wusste er nicht, dass Sie dort vorbeikommen würden. Wären Sie in dem Moment nicht dagewesen, wäre das Auto in den See gestürzt, versunken, und niemand hätte je gewusst, dass was passiert ist.« Er zuckte die Achseln. »So reime ich mir das zusammen.«

      »Haben Sie mit Marty Barklee gesprochen?«

      »Ja,