Jutta von Kampen

Mami Bestseller Staffel 4 – Familienroman


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ist passiert?« fragte Olsen knapp, wobei sein von Wind und Sonne gebräuntes Gesicht eine gräuliche Färbung annahm.

      »Ein Autounfall! Die Eltern waren sofort tot. Kai und Heike befanden sich zu diesem Zeitpunkt auf einer Kinderparty. Aber nun sind sie fort. Beide! Sind einfach aus der Wohnung geflüchtet. Wahrscheinlich sind sie auf dem kürzesten Weg zu Ihnen gefahren, Herr Olsen. Warum also halten Sie die Kinder hier verborgen? Aus Mitleid?«

      Aber sosehr Fräulein Krümel sich auch bemühte, von den Lippen des Mannes kam kein Laut.

      Olsen hatte sich brüsk abgewandt und starrte gedankenverloren vor sich hin.

      Jutta war tot. Verunglückt mit Brünnig. So war es also vorbei – vorbei, ohne jemals begonnen zu haben.

      In seinem Innern war es sonderbar still. Eine Art von Betäubung, die keinen Schmerz aufkommen ließ.

      »Wir haben herausgefunden, daß Sie mit dem Vater der jungen Frau in freundschaftlicher Beziehung standen, bis der alte Herr vor Jahren starb. Wir wissen auch, daß Frau Brünnig einige Zeit als Sekretärin bei Ihnen arbeitete und daß die Familie hier oft die Ferien verbrachte. Aber all dies, Herr Olsen, berechtigt Sie nicht, die Kinder nun hier zu verbergen, weil Sie vielleicht annehmen, Kai und Heike gingen nicht gern mit ihrem Onkel und Tante aus Hannover fort.«

      Fräulein Krümel war es ein wenig unbehaglich in ihrer Haut angesichts des schweigsamen Mannes, der nun brüsk zu ihr herumfuhr und sie unterdrückt anherrschte: »Scheren Sie sich hinaus! Ich sage Ihnen, die Kinder sind nicht hier, und damit basta!«

      Fräulein Krümel japste nach Luft. Sie fühlte, wie ihr das Blut in die Wangen schoß, und entgegnete heftig: »Wie… wie reden Sie denn mit mir? Ich bin schließlich eine Amtsperson! Mein Name ist Krümel, Fräulein Krümel von der Familienfürsorge. Ich habe die Pflicht, mich um Kai und Heike zu kümmern!«

      Henry Olsen starrte die Frau zornig an.

      »Es ist mir egal, wer Sie sind und woher Sie kommen, Fräulein Krümel. Soso! Sie sind eine Amtsperson! Schön, dann verschwinden Sie nun, Sie aufdringlicher Käsekrümel!«

      Das war zuviel!

      »Das… das werden Sie bereuen!« stieß Fräulein Krümel empört hervor. »Ich komme wieder! Glauben Sie bloß nicht, Sie könnten mich durch Ihr unmögliches Betragen aus der Nähe; der Kinder vertreiben! Das wäre ja noch schöner! Ihnen überläßt man doch nicht zwei so reizende Kinder! Nicht, solange ich den Fall bearbeite! Nur über meine Leiche, Herr Olsen! Gute Nacht!«

      Fräulein Krümel warf den Kopf in den Nacken, flammte Olsen ein letztes Mal erbittert an und drehte sich dann zur Tür herum.

      »Leben Sie wohl, Fräulein Krümel!« schrie Olsen ihr nach.

      Die beiden Streithähne hatten im Eifer ihres Gefechts die leisen Kichertöne nicht vernommen, die unterdrückt von der Galerie drangen.

      Kai und Heike kämpften vergeblich mit ihrem Lachreiz, als Old Henry die Fürsorgerin bei ihrem Namen anredete. Der beißende Spott in seiner Stimme war nicht zu überhören.

      Als er sie nun gar einen Käsekrümel nannte, war es um Kai und Heike geschehen.

      Wohl hielten sie sich noch zurück, bis die Fürsorgerin die Haustür hinter sich ins Schloß geworfen hatte. Dann jedoch platzten sie heraus und lachten aus vollem Hals!

      Wie vom Blitz getroffen, schnellte Olsen herum und starrte die Treppe hinauf. Was war denn das?

      Dort waren plötzlich zwei kleine Gestalten aufgetaucht, an deren Seite sich der kleine Hund befand. Richtige kleine Wichtelmänner.

      Mit einem einzigen Blick hielt Olsen das Bild fest.

      Er bemerkte, daß in Heikes Gesichtchen Schmutzspuren waren, die nur von flüchtig abgewischten Tränen stammen konnten. Ihre Zöpfe, sonst immer glatt und seidig glänzend, waren halb aufgelöst, und an einem fehlte eine Schleife. Ihre weißen Kniestrümpfe waren beschmutzt und der rechte herabgerutscht.

      Kai sah nicht weniger mitgenommen aus, wenngleich er dem Blick des Mannes tapfer und mit einer Spur Trotz begegnete.

      Olsen bemerkte den halb zugenähten langen Riß an Kais Hose und die rote Schramme, die über seine Stirn lief. Und er sah noch etwas.

      Olsen sah, daß eine sonderbare Reife die kindlichen Züge prägte, wie es nur bei einem jähen, sehr schmerzlichen Erlebnis geschehen kann.

      Dieser Ausdruck von Verlassenheit und sich-nicht-unterkriegen-lassen erschütterte Olsen so sehr, daß er regungslos dastand und den Blick nicht von den beiden kleinen Gestalten wenden konnte.

      Viel rascher faßte sich Kai. Er packte plötzlich Heikes Hand und riß sie blitzschnell mit sich fort um die Ecke des Ganges.

      Gerade konnte Olsen noch den Spaniel sehen, der hinter den beiden her wetzte.

      »He! Kai! Heike! Was soll das? Bleibt gefälligst stehen!«

      Henry Olsen nahm die Treppe mit langen Schritten, er lief über den Flur, stolperte über eine dort stehende Truhe und rieb sich leise fluchend sein Schienbein.

      Als er um die Ecke des Flurs eilte, war von den Kindern und ihrem Hund nichts mehr zu sehen.

      Aber Olsen wußte sie ja in ihrem Gästezimmer, das am Ende des Ganges lag.

      Er klopfte an, erhielt keine Antwort und betrat schließlich den Raum, der ihm dunkel entgegengähnte.

      Er mußte den Lichtschalter erst suchen, um dann festzustellen, daß der Raum leer war und das Bett unberührt.

      Die nächsten Stunden verbrachte Henry Olsen damit, sein Haus auf den Kopf zu stellen. Aber er fand die Kinder nicht.

      Auf den Dachboden stieg er zu guter Letzt auch noch. Aber ein flüchtiger Blick auf das Gerümpel sagte ihm, daß sich die Kinder hier auf keinen Fall verborgen hielten.

      Also im Garten suchen. Irgendwo mußten die beiden ja stecken. Ein Gutes hatte diese Suche.

      Olsens Gedanken waren abgelenkt von dem tragischen Unfall, dem die Frau zum Opfer gefallen war, die er liebte.

      Es war schon Mitternacht, als der Mann sich endlich auf seinem Lager ausstreckte.

      Sein letzter Gedanke galt den Kindern. Kai und Heike! Wo mochten sie sein? Sollte er die Fürsorgerin informieren?

      Bei dieser Überlegung lachte Olsen grimmig auf. Kam nicht in Frage! Wenn die alle so liebenswürdig waren im Waisenhaus, schien Kai das einzig Richtige getan zu haben.

      Ist überhaupt ein prächtiger Bursche, sann Olsen. Zu schade, um bei diesem Max Brünnig und seinen beiden halbwüchsigen Vettern den Blitzableiter spielen zu müssen. Er hatte da ja von Jutta so manches erfahren.

      Jutta! Olsen starrte in die Dunkelheit, vor seinen Augen erschien das fröhliche Antlitz der jungen Frau. Es war ihm, als sprächen die Lippen eine flehentliche Bitte aus.

      Ja, Olsen empfand es fast körperlich. Juttas Lippen formten sich zu beschwörenden Worten.

      »Kümmere dich um meine Kinder!« schienen sie ihm zuzuflüstern. Olsen verschränkte beide Arme im Nacken und starrte in die Finsternis. Bei Gott, er konnte doch nichts tun.

      Die Fürsorgerin hatte völlig recht.

      Niemand würde ihm zwei Kinder anvertrauen.

      *

      Die nächsten beiden Tage gestalteten sich in dem großen alten Haus ganz sonderbar.

      Am Morgen des ersten Tages versuchte Henry Olsen erneut und recht intensiv, den Kindern auf die Spur zu kommen.

      Das war gar nicht so einfach für ihn, denn im Gegensatz zu Kai und Heike war ihm das Haus immer fremd geblieben.

      Gewiß, er hatte es damals spontan gekauft, weil der Preis nicht allzu hoch und weil Jutta von dem Haus begeistert war.

      Dann jedoch trat Eugen Brünnig in ihr Leben und beherrschte es voll und ganz.

      Sie