Lin Rina

KHAOS


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Es sei denn, ich hatte eine bessere Idee.

      9

      Täuschungen

      Es war schon wieder das schlürfende Geräusch eines sich leerenden Infusionsbeutels, das mich aus dem Schlaf riss. Der Schreck ließ mich hochfahren und alles drehte sich vor meinen Augen. Ich war wie in Trance, meine Sinne waren nicht synchron und doch schoss mir Adrenalin durch die Adern.

      »Ach scheiße«, murmelte ich und griff mir an den Kopf. Meine Haare waren auf einer Seite platt gedrückt, meine Augen ein wenig geschwollen und ich hatte einen nassen Fleck auf meinem Ärmel, der zum Glück in der Farbe des grau melierten Stricks unterging.

      »Tut mir leid. Ich … Oh Mann, wie lang habe ich geschlafen?«, stammelte ich verlegen und sah über meinen Tisch zu dem Mann mit den dunklen Haaren, der auf meiner Krankenliege saß und mir einen amüsierten Blick zuwarf.

      Ihn zu sehen, ließ in mir das Gefühl aufsteigen, alles hier sei nur ein Traum, und die Verwirrung in meinem Kopf entfremdete mich von der Realität. Ich war einfach noch nicht richtig wach. Eindrücke stürzten auf mich ein und ich musste die meisten davon ignorieren, da mein Gehirn noch nicht fähig war, sie alle gleichzeitig zu verarbeiten.

      »Ein paar Stunden«, antwortete mir der tiefe Bass seiner Stimme und schon wieder bekam ich diese schreckliche Gänsehaut am ganzen Körper, gegen die ich mich einfach nicht wehren konnte und die ein Kribbeln in mir zurückließ.

      »Ich … ich hab letzte Nacht nicht … ähm, geschlafen«, brachte ich stockend hervor, schüttelte meinen Kopf, klatschte mir schließlich selbst mit den Händen gegen die Wangen, um endlich wieder zu vollem Bewusstsein zu kommen. Als ich mich von meinem Eimer erhob, fühlte sich mein Rücken ungewohnt leicht und meine Knie beinahe schmerzfrei an. Die Tabletten taten ihren Dienst.

      Doch ich durfte mich nicht davon täuschen lassen. In Wirklichkeit war ich genauso angeschlagen wie noch vor ein paar Stunden.

      »Dieser Boz. Was ist er?«, kam es plötzlich von Khaos und ich runzelte die Stirn. Der Beutel an Ares’ Liege begann zu fiepen.

      »Welche Spezies er ist?«, erkundigte ich mich, damit ich ihn auch richtig verstand. Ich lief langsam um den Tisch herum und nahm dabei den Beutel mit der Kochsalzlösung von der Tischkante, den ich dort schon vorbereitet hatte.

      Khaos sagte nichts, doch als ich zu ihm aufsah, zog sich eine steile Falte über seine erhabene Stirn und sein Blick, der auf mir lag, verlangte eine Antwort.

      Ich räusperte mich nervös. »Er ist ein Mensch.«

      »Ein gewöhnlicher Erdenmensch?«, wurde ich von der anderen Seite gefragt und ich zuckte instinktiv zusammen. Ares hatte die Augen geöffnet und sah mich prüfend an.

      Ich musste zugeben, ich hatte nicht mehr auf ihn geachtet, seit ich bemerkt hatte, dass er schlief. Genau genommen hatte ich sogar vergessen, dass er noch hier im Raum war, so sehr hatte mich Khaos’ Gegenwart vereinnahmt.

      »Nein, einer aus dem Asteroidengürtel von Kr’wçze.«

      Ich fand es seltsam, dass Ares den Begriff Erdenmensch benutzte. Ein antiquarischer Begriff. Man sagte dazu eigentlich ZentralMensch.

      »Mensch ist Mensch«, brummte Ares und zuckte wenig beeindruckt mit den Schultern.

      »Na ja, er ist schon ein bisschen stärker«, fühlte ich mich gezwungen zu erwähnen, weil ich nicht wollte, dass er Boz zu sehr unterschätzte. Unter einem gewöhnlichen Menschen stellte ich mir etwas anderes vor als einen brutalen, blutrünstigen Schlächter, der anderen wehtat, nur um sich selbst zu beweisen, wie überlegen er doch war.

      Ares schnaubte und grinste dabei sogar selbstsicher, während ich den Schlauch schloss, den Beutel wechselte und mir dann seinen Arm zeigen ließ. Der Einstich in seiner Haut war leicht gerötet, aber sonst schien alles im normalen Bereich zu sein.

      »Gut, dann machen wir es so«, verkündete Khaos und nickte Ares zu, dessen Grinsen sich verbreiterte.

      Moment, waren da gerade Pläne geschmiedet worden, von denen ich nichts wusste? Mein Blick schoss zu Khaos, der sich wieder auf der Liege aufgerichtet hatte und zu allem entschlossen wirkte. Seine Seele zeigte Aufbruchsstimmung, Ungeduld, endlich zur Tat zu schreiten.

      Ich konnte nichts tun, als weiter meiner Arbeit nachzugehen. Um nachzufragen, war ich einfach zu feige. Schon allein, weil ich mich wie ein Nichts fühlte, im großen Schatten eines Mannes mit perfekt geformten Wangenknochen und Augen, die Autorität und Erhabenheit ausstrahlten.

      Oder vielleicht war mein Blick auf ihn auch einfach nur getrübt und die Gefühle, die nicht mehr von mir ablassen wollten, begannen ihn zu idealisieren. Ich wusste selbst nicht mehr, was ich glauben konnte. Nur eines war sicher: Irgendetwas stimmte nicht mit mir!

      Ich öffnete gerade den Schlauch an Khaos’ Infusion, da hielt er mir auch schon seinen Arm hin. Ich unterdrückte ein wohliges Seufzten, als meine Finger nach seiner glatten Haut griffen, und schämte mich für meine eigenen Reaktionen, die so irrational waren, dass ich sie am liebsten einem Trauma zugeschrieben hätte.

      Vielleicht war es passiert, als ich beinahe gestorben war und Cobal mir die Spritze verpasst hatte? Oder eben auch nicht und es lag einzig und allein an diesem Mann, der mir den Kopf völlig verdrehte, umso länger ich in seiner Gegenwart verbrachte und je mehr Facetten seiner Seele sich mir öffneten.

      Sowohl der Hass als auch die Liebe faszinierten mich ungemein, und die krassen Gegensätze seines Inneren zogen mich immer wieder in ihren Bann. Schon allein dadurch, dass nicht viel davon nach außen drang, es sei denn, er wollte es so. Leidenschaftlich, impulsiv und doch wie eine kontrollierte Explosion. Ich hätte ihn einfach stundenlang nur ansehen können.

      »Wie verhalten sich Menschen, die mit einem Sumpfsauger infiziert sind?«, fragte er mich und ich zog ruckartig meine Hände von seinem Arm, die dort schon viel zu lange verweilt hatten. Jetzt starrte ich ihn erschrocken an und konnte mir nicht vorstellen, was er mit dieser Frage bezweckte. Er wollte doch wohl kaum, dass ihm einer seine widerlichen Stacheln in den Nacken rammte!

      Khaos’ Mund verzog sich zu einem angedeuteten Lächeln, als er meinen verschreckten Gesichtsausdruck sah, und er schüttelte den Kopf im Angesicht meiner Leichtgläubigkeit. »Ich will vorgeben, dass so ein Tier mich kontrolliert, damit Boz uns raus in die Wüste schickt und wir uns seine Unterstützung zunutze machen können«, erklärte er und sein Lächeln entblößte eine Reihe weißer Zähne, die gefährlich auf mich wirkten. Als würde er mich gleich fressen. Sein Lächeln war mir nicht geheuer, auch wenn seine Seele sich köstlich über mein verschrecktes Verhalten amüsierte.

      Und ich konnte nur den Kopf über mich selbst schütteln. Natürlich war es nur eine Finte. Warum war ich auch eine so dumme Nuss, die sich vor allem fürchtete?

      »Man wird apathisch, spricht kaum und folgt willenlos Befehlen. Meistens zumindest«, flüsterte ich. Der Schrecken einer Erinnerung überzog meinen Körper mit einem unangenehmen Schauer. Ich dachte nicht gerne daran zurück, fühlte mich immer beklemmt und die Schreie der Seelen klangen in mir nach, so wie damals, als ich mit ansehen musste, wie sie litten. »Es ist ein ständiger Kampf um seinen Willen, den man nicht gewinnen kann, und doch sieht man die Menschen innerlich kämpfen. Vor allem, wenn sie Dinge tun müssen, die sie nicht tun wollen.« Am liebsten hätte ich die Augen geschlossen, die schrecklichen Bilder aus meinem Kopf ausgesperrt, aber ich wusste, dass die Dunkelheit hinter meinen Lidern es nur noch schlimmer machen würde.

      Da waren Männer, die einander totschlugen, Frauen, die sich unter Qualen und doch scheinbar willig hingaben, Leute, die ihre Freunde und Liebsten verrieten, sie somit in den Tod schickten und noch schlimmere Grausamkeiten.

      Doch von allen die Schlimmste war das furchtbare Gefühl, wenn die Kopfschmerzen schlimmer wurden, der Kampf einen in den Wahnsinn