Lin Rina

KHAOS


Скачать книгу

Das sicherte mir das Überleben.

      Langsam begann der Wirkstoff in den Tabletten seine Pflicht zu erfüllen und das Atmen fiel mir leichter. Erschöpft holte ich tiefer Luft, genoss den Sauerstoff in der Lunge und setzte mich nach ein paar Minuten sogar auf.

      Ich kauerte in einem Gang, der am einen Ende verschüttet war und nur einen schmalen Spalt auf die andere Seite freigab. Als Kind hatte ich dort spielend hindurchgepasst, doch mittlerweile musste ich aufpassen, nicht mit den Hüften stecken zu bleiben. Soweit ich wusste, war ich die Einzige, die sich hier durchzwängen konnte, um an den verlassenen Teil dahinter zu gelangen.

      Dies war einmal der eigentliche Teil des Gefängnisses gewesen. Nicht weit von hier befand sich ein Tor, das auf den Ring hinausführte, an dem entlang sich die Zellen befanden. Von einem hüfthohen Geländer aus überblickte man einen runden Platz. Vor langer Zeit hatten dort Tische und Bänke gestanden, an denen sich die Insassen treffen konnten, um zu essen, Karten zu spielen und sich gegenseitig zu massakrieren.

      Jetzt war hier nur noch ein großer See, der durch ein Leck im Wasseraufbereitungstank gefüllt wurde. Das Wasser, das immer wieder wie leichter Regen von der Decke rieselte, tropfte in den See, wühlte die Oberfläche auf und versickerte weiter unten in kleinen Rissen im Boden.

      Als Kind war ich hier oft schwimmen gewesen.

      Eine Menge Kreaturen tummelten sich in dem schwarzen Wasser und ich konnte ihre Seelen unter mir spüren, wie sie in stetigen, ruhigen Bewegungen ihr Leben fristeten.

      Wenn ich meinen Sinn ausweitete und die unterm Sand verborgenen Sümpfe streifte, fand ich dort ähnliche Seelen.

      Allerdings hatte ich keine Ahnung, wie sie hier reingekommen waren. Doch sie waren da, und obwohl ich wusste, dass sie gefährlich sein mussten, ließen sie mich in Ruhe.

      Das taten eigentlich alle Tiere. Selbst die biestigen Veko-Spinnen, die draußen in ihren Löchern im Wüstensand hausten und nur darauf warteten, einem ihre messerscharfen Fangzähne ins Fleisch zu rammen.

      Möglicherweise lag es an meiner Gabe. Sicher war ich mir aber nicht.

      Ich rappelte mich auf und ließ meinen Geist hinauf in die oberen Stockwerke steigen, dort wo Krung gerade tobte und meine halbe Kranken­station verwüstete. Sein Zorn hatte einen noch höheren Level erreicht, und ich war furchtbar erleichtert, jetzt nicht in der Nähe zu sein.

      Andere eilten gerade zu ihm, packten ihn und zogen ihn aus dem Raum. Es waren Alex und Cobal. Sie würden ihn schon wieder zur Vernunft bringen. Für dieses Mal zumindest.

      Ich ließ den See zu meiner Linken liegen und trat durch ein anderes Tor, in dem einmal automatische Türen den Zugang versperrt hatten. Doch die Verwüstung, die hier unten herrschte, hatte sie aus den Schienen gerissen und ich stieg über das verbogene Metall hinweg, durch die zerstörte Schleuse und den Flur, in das unentdeckte Labyrinth von dahinterliegenden Gängen.

      Viele von ihnen hatte ich bereits beschritten. Doch hier unten zu sein, hatte in mir immer ein mulmiges Gefühl hinterlassen und so war ich bisher nicht exzessiv auf Erkundungstour gegangen.

      Ein paar Räume hatte ich durchsucht und nichts Wertvolles entdeckt, was nicht schon vor dem Einsturz von den anderen geplündert worden war. Doch es gab noch etliche Türen, die ich noch nicht durchschritten hatte und die vor den Beben noch verschlossen gewesen waren.

      Begonnen hatte es mit einem Meteoritensturm, der in die Oberfläche des Planeten eingeschlagen war. Durch ihn war es zu heftigen Erdbeben und Sandstürmen gekommen, die nach und nach die halbe Station zerstört und es den Insassen des Gefängnisses ermöglicht hatten, die Herrschaft über diesen Planeten an sich zu reißen.

      Eine Menge Türen waren aus den Verankerungen gesprungen, als das gesamte Gefängnis in der Mitte durchgebrochen war und die eine Seite sich einige Grad abgesenkt hatte.

      Ich spazierte ein Stück den leicht abschüssigen Flur nach unten. Graue Wände, angelaufenes Metall und roter Sand in jeder Ritze. Ohne wirkliches Ziel bog ich wieder rechts ab, in einen Komplex, den ich noch nie betreten hatte, da der durch die ständige Wärme mumifizierte Leichnam eines Offiziellen mitten im Raum an einer Kette baumelte. Ein Haken war durch seine Rippen gejagt worden.

      Doch der Körper war bereits so verdörrt, dass er mir keine so große Angst mehr machte wie früher, als überall noch Blut und der Gestank des Todes gewesen waren.

      Schnellen Schrittes ging ich an dem Toten vorbei und ignorierte das schmerzhafte Ziehen in meinen Knien, als ich mich unter einem zerquetschten Türstock hindurch bückte und auf der anderen Seite eine schmale Treppe nach unten stieg. Die spärliche Notbeleuchtung, die alle Teile der Station erhellte, flackerte an einigen Stellen und ich biss mir auf die Unterlippe. Am liebsten wäre ich sofort wieder umgekehrt.

      Ich war ein schwaches Gemüt. Auch wenn man behaupten könnte, dass ich nach all der Zeit unter Verbrechern und Mördern, nach all den Fleischwunden und gebrochenen Knochen, die ich behandelt hatte, langsam mal ein bisschen abgehärtet sein müsste, war ich es nicht. Ich war klein, mit hochgezogenen Schultern, einem schüchternen Blick und erschreckte mich sogar häufig vor meinem eigenen Schatten.

      Im dämmrigen Schein der Notbeleuchtung machte ich eine farblose Metalltür aus, die sich nur schwach von den Wänden des Ganges abhob. Sie war zwar unverschlossen, doch die Schienenführungen waren verrostet und verbogen, und sie quietschte herzzerreißend, als ich sie öffnete, wie ein Schmerzensschrei in der sonst vollkommenen Stille.

      Vorsichtig betrat ich den Bereich, der sich dahinter befand. Meine Schritte wirbelten Staub und Sand auf, der mir in der Nase kitzelte.

      Vor mir lag eine Art Lagerraum. Kisten in verschiedenen Größen standen herum, aus Holz, Metall – sogar Pappe. Ich öffnete eine davon, lugte hinein und fand zu meiner Überraschung einige Konservendosen, die ich mit spitzen Fingern herauszog.

      Obwohl ich mich über meinen Fund freute, fühlte ich mich unwohl. Irgendwas war hier nicht richtig. Ich konnte es spüren. Als ob etwas im Hinterhalt lauerte, das ich nicht ausmachen konnte.

      Über mir war ein leichtes Pochen zu hören und ich schreckte zusammen. Ich stieß mit dem Arm an die Kiste voller Konserven und sie rutschte auf dem gewölbten Untergrund nach hinten. Schnell versuchte ich sie noch zu erwischen, doch sie hatte bereits Überhang bekommen und fiel mit lautem Scheppern zu Boden.

      Mein Herz schlug mir hart gegen die Rippen, stach mich bei jedem neuen Pumpen und ich fragte mich, warum ich mich heute unbedingt selbst umbringen wollte.

      Ich lehnte mich an die seltsame längliche Metalltruhe mit dem gewölbten Deckel und atmete tief die staubige, abgestandene Luft ein. Dann schloss ich für einen kleinen Moment die Augen und lauschte auf meinen zusätzlichen Sinn. Es dauerte keine Sekunde, da tauchten zwei Personen direkt über mir auf. Es waren starke Seelen, die beide sehr markant waren.

      Tigris und Vento, zwei Männer, ein ZentralMensch und ein Tolaner, die man besser fürchtete. Sie ließen sich gegenseitig nur in Ruhe, weil sie noch nicht auf die Idee gekommen waren, den anderen als Gefahr zu betrachten.

      Aus Furcht vor unserem Clanchef hielten sie ihm die Treue. Doch sollte sie jemals jemand drauf aufmerksam machen, dass sie selbst die Stärke besaßen, es mit Boz aufzunehmen, würden sie erst ihn umbringen und sich dann gegenseitig in Stücke reißen.

      Das Gefüge der Machtverhältnisse war zu diesen Zeiten sehr wackelig, da es uns an einem gemeinsamen Feindbild mangelte. Die Clans im Norden hatten sich immer weiter zurückgezogen oder waren den Veko-Spinnen zum Opfer gefallen. Wir besaßen die einzige bewohnbare Station auf dem ganzen Planeten und niemand traute sich mehr an uns ran, weil Boz ein brutaler Mann ohne Gewissen und ohne Gnade war.

      Es beruhigte mich ein bisschen, zu wissen, woher das Klopfen gekommen war und ich hoffte, dass sie ihrerseits das Krachen der Konserven nicht gehört hatten. Auf keinen Fall wollte ich meinen letzten sicheren Ort hier unten verlieren. Denn zumindest von Vento wusste ich, dass seine Blicke schon mehr als einmal an mir hängen geblieben waren.

      Er war nicht dumm. Schlauer als