Lin Rina

KHAOS


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kaum auf meine Umgebung und landete direkt im Zentrum der Schlacht um unsere Station.

      Vento zog sein Messer aus dem Bauch eines Angreifers, während Tigris neben ihm einem anderen den Schädel mit einer Eisenstange zerschmetterte. Die Clans gingen aufeinander los wie die wilden Tiere, die sie nun mal waren.

      Blut. Überall war Blut. In verschiedenen Farben, je nach Lebensform, bedeckte es den Boden und die Wände wie ein skurriles Kunstwerk.

      Wäre ich durch den Sauerstoffmangel nicht so benebelt gewesen, es hätte mich so sehr erschreckt, dass ich nicht fähig gewesen wäre, es zu verarbeiten.

      Doch der Krampf um mein Herz verschlimmerte sich und ließ nur einen fassbaren Gedanken in meinem Kopf zurück. Wenn mein Ende bevorstand und der Tod mich bald in seinen Armen halten würde, dann musste ich den Mann im Eisschlaf noch einmal sehen.

      Es war völliger Irrsinn, mich durch das Getümmel zu schlagen, für das Gesicht eines schlafenden Mannes. Aber er war das Einzige, das in meinem Leben nicht das Gefühl von völliger Trostlosigkeit hinterlassen hatte.

      Heißes bläuliches Blut spritzte mir ins Gesicht und ich taumelte an der Wand entlang. Jemand brüllte meinen Namen, ein anderer griff nach meiner Jacke, aus der ich mich mühsam herauswand. Wie in Trance tanzte ich vorwärts, immer mein Ziel vor Augen, während um mich herum Seelen erloschen und jede einzelne mir einen schmerzhaften Stich im Kopf versetzte.

      Es fühlte sich an, als würde die Zeit langsamer werden, als versuchte sie mich daran zu hindern, mein Ziel jemals zu erreichen.

      Der Schmerz in meinem Innern wurde unerträglich.

      Ich griff im abrupt endenden Korridor nach den rissigen Rändern des Spalts vor mir. Mühevoll zog ich mich in den Schutt, während mein Geist langsam im Nebel versank. Wie schon heute Morgen rutschte ich auf der anderen Seite das Geröll hinunter und blieb auf dem Rücken liegen, als die Geräusche verklangen und die Welt in Schwärze versank.

      4

      40 ml

      Lautes Dröhnen drang an meine Ohren. Es war so intensiv, dass mein ganzer Körper vibrierte.

      Ich dämmerte dahin, nicht wach und nicht schlafend. Stimmengewirr beherrschte die Luft. Worte, die in meinen Kopf schlichen und wieder verpufften, ohne verstanden worden zu sein.

      »Ist sie verletzt?«

      »Sie ist krank!«, antwortete Boz. Seine grausame Stimme bohrte sich in meinen Schädel.

      »Was?«

      Dann erstarb das Dröhnen. Metall schabte über Metall und der Schutt unter mir rutschte ein Stück ab.

      Ich wollte die Augen öffnen, doch jedes Mal, wenn ich es versuchte, stach mich helles Licht. Da war so wenig Luft. Alles brannte, alles tat weh.

      Mein Körper bewegte sich ohne mein Zutun. Ich wurde hochgehoben, mein Kopf fiel in meinen Nacken und baumelte achtlos herunter.

      »Was wollte sie da drüben?«

      »Das werden wir gleich nachsehen. Erst mal muss sie auf die Kranken­station. Und dann wacht sie hoffentlich wieder auf, bevor Erikson verblutet ist. Unnützes Kind!«, schimpfte Boz und spuckte aus.

      Mir stieg der metallische Geruch von Blut in die Nase, während sich die Stimmen langsam entfernten.

      »Dummes Kind«, drang Cobals Stimme nahe an mein Ohr. Panzerschuppen stachen mir in die Wirbelsäule.

      Eine Tür quietschte, etwas klackerte weit entfernt. Ich konnte kaum noch atmen.

      »Daya«, hörte ich meinen Namen wie durch einen Nebel und wusste, dass er schon ein paarmal gesagt worden war. Ich bemühte mich, die Augen zu öffnen, meine Lider flackerten und doch brachte ich nicht die nötige Kraft auf. Mein Atem ging flach, kleine Atemzüge mit zu wenig Luft in meinen verkrampften Lungen.

      »Wo sind deine Medikamente? Daya!«, ermahnte Cobal mich, und ich versuchte, meine Lippen zu überreden, sich zu bewegen. Wo waren meine Medikamente? Wusste ich es? Würde es mir rechtzeitig wieder einfallen?

      In meinem Innern formte sich ein Bild. Eine Flasche mit gelber Flüssigkeit. Ich befahl meiner Stimme zu sprechen, brauchte drei, sogar vier Atemzüge, bis ich genug Luft für Töne zusammenhatte. »Regal … gelbe Flasche«, hauchte ich und schnappte erstickt nach Luft. »D34F … 40 ml.«

      Mir wurde wieder schwummrig, mein Bewusstsein driftete ins Nichts ab und ich war mir auch nicht sicher, ob ich es überhaupt aufhalten wollte. Die Gleichgültigkeit nahm von meinem Geist Besitz, redete mir ein, wie sinnlos alles war und wie gut ich daran tun würde, es einfach hier und jetzt enden zu lassen.

      Ich verlor den Mut, den Willen zu leben, und war bereit, mich endgültig zu lösen, als der Funke einer Seele in mir auftauchte. Nur dieser eine, weit unter mir, allein und gleichmütig. Ich wusste sofort, dass Er es war.

      »Daya!«, drang lautes Brüllen an mein Ohr, das nichts Menschliches mehr an sich hatte, sondern nur noch zischenden Lauten glich. »Was mach ich damit?« Jemand schüttelte mich, riss mich vom Abgrund weg, über dem ich geschwebt und in den ich hinabgeblickt hatte.

      Wieder zwei Atemzüge. »Haupt … Schlag … Ader«, glitten die Worte über meine Lippen und zerfielen in Partikel aus Bedeutungslosigkeit.

      »Scheiße! Du … ach scheiße!«, fluchte Cobal. »Nimm da eine Spritze und tu in das Ding 40 ml rein!«

      »Wie macht man das?«, beschwerte sich eine andere Stimme, aber bevor ich sie richtig zuordnen konnte, dämmerte ich weg. Weg von allem, weg von diesem Ort, der nicht mehr für mich hatte als Leid und Einsamkeit. Einfach weg.

      Erst der Pikser in meinen Unterarm und das gurgelnde Brausen in meinem Körper holten mich zurück ins Bewusstsein. Erschrocken riss ich die Augen auf.

      Die Muskelrelaxantien lösten meine Verspannungen wie Blitze in der Nacht, meine Lunge weitete sich so sehr, dass ich fürchtete, sie könnte meinen Brustkorb sprengen, und mein Herz setzte zu einem holprigen Galopp an, bevor es seinen Rhythmus wiederfand.

      Cobal stand direkt neben mir, verhinderte, dass ich durch mein plötzliches Zusammenzucken von der Behandlungsliege fiel und beobachtete mich mit seinen gelben Echsenaugen.

      Nefrot zog die Nadel aus meinem Arm und sah ein wenig erschrocken aus.

      Nefrot war noch jung, das Leben hatte ihn noch nicht vollkommen abgehärtet. Ich mochte ihn eigentlich, auch wenn ich seine Sucht nach Anerkennung bei den Großen unseres Clans armselig und abstoßend fand.

      »Daya?«, sprach Cobal mich wiederholt an, und ich blinzelte verstört. Ich wandte ihm den Kopf zu und spürte jeden Muskel, jede Sehne, die sich bei dieser Bewegung spannte, bis hinunter zu den Ellenbogen.

      Verdammt, so schlecht hatte ich mich schon lange nicht mehr gefühlt.

      »Wir brauchen dich!«, beschwor der Echsoide mich und trat zur Seite, sodass ich zur anderen Liege sehen konnte, die keine zwei Meter von mir entfernt stand.

      Zum Glück hatte ich bereits gestern damit begonnen, meine Kranken­station von Krungs Verwüstung zu befreien.

      Es war Erikson, der dort lag, ein armlanges Rohr in der Seite steckend. Er rührte sich nicht und auch sein Brustkorb hob und senkte sich kaum noch.

      Doch seine Seele war noch da, wenn auch nur noch schwach. Das Leben sickerte aus ihm heraus und mir würden höchstens Minuten bleiben, um etwas zu unternehmen, das ihn möglicherweise retten konnte.

      »Hilf mir auf«, bat ich Cobal und er reagierte sofort. Er zog mich hoch, half mir, die Beine über den Rand der Liege zu schieben, und hob mich dann runter auf den Boden.

      Ich versuchte Halt zu