Daddy?«
»Nun ja, natürlich freut es mich, eine so hübsche und talentierte Tochter zu haben.«
»Ich glaube nicht, dass Nanni das gern hören würde«, sagte Rubinchen. »So schön ist es auch wieder nicht, wenn man bei der Kälte auf die Eisbahn muss und dann auch noch geschimpft kriegt, wenn man hinfällt. Nanni ist ganz närrisch geworden, als ich mit dem schlimmen Bein laufen musste. Sie hat Tante Lilo auch die Meinung gesagt.«
»Und dann bist du auf den Gedanken gekommen, wegzulaufen?«, fragte er forschend.
»Erst am Abend, als ich ganz allein in der Wohnung war. Ich musste so viel denken, und mir war so heiß und schwindlig. Tante Lilo hatte mir deinen Brief vorgelesen, wo du geschrieben hast, dass du heiraten wirst. An alles das habe ich denken müssen und konnte mit keinem reden, und da wollte ich zu Nanni gehen. Es hat so geschneit, und die Straße war so glatt, und da bin ich ausgerutscht. Aber Pipp hat mich gleich gefunden. Er hat mich nämlich auch gleich leiden können. Aber mit Pipp durfte ich auch nicht spielen.«
»Und seitdem bist du hier?«
Rubinchen nickte. »Ich habe mein Gedächtnis verloren«, sagte sie treuherzig. »Ich kann niemand mehr erkennen. Nur Nanni und ihre Eltern und die Schoeneckers, sonst niemand. Auch Tante Lilo nicht.«
So ein schlaues kleines Ding, dachte er, aber er konnte ihr wirklich nicht böse sein. »Pipp kennst du aber, und mich hast du auch erkannt«, sagte er.
Rubinchen warf ihm einen schrägen Blick zu. »Dich habe ich auch schon lange nicht mehr gesehen«, sagte sie. Sie warf die Arme um seinen Hals. »Ich will nicht wieder zu Tante Lilo. Ich möchte lieber nach Sophienlust, wenn ich schon bei Nanni nicht bleiben kann. Warum musst du Yasmin heiraten? Sie hat mich bestimmt nicht so lieb wie Nanni. Warum kannst du nicht Nanni heiraten, Daddy?«
Sie ahnte nicht, welche Zweifel, welchen Zwiespalt sie in ihm weckte. »Und in einer Eisrevue willst du wohl nicht auftreten?«, fragte er ablenkend.
»Willst du denn das?«, fragte sie erschrocken. »Weißt du denn, wie man da drangsaliert wird? Onkel Friedrich kann es dir erzählen. Er weiß es. Er hätte es nie erlaubt, obwohl Nanni auch so gut eislaufen konnte. Es ist doch kein Spaß mehr, es ist Schwerstarbeit, sagt Onkel Friedrich. Aber deine Yasmin will wohl auch ein berühmtes Kind?«
»Das ist alles Unsinn, Rubinchen. Ich will nur das Beste für dich. Was du dir wünschst, soll in Erfüllung gehen.« Er sagte es leichthin und ahnte nicht, was es für Folgen haben würde.
»Was ich mir wünsche, soll in Erfüllung gehen?«, fragte Rubinchen gedankenverloren. Sie machte eine kleine Pause. »Dann möchte ich immer bei Nanni bleiben, wenn du deine Yasmin heiratest. Und noch viel lieber wäre es mir, wenn du Nanni heiraten würdest. Das würde ich mir wünschen.«
»Aber ob das in Erfüllung geht, liegt nicht allein an mir«, sagte er.
»Das ist es eben. Man kann sich noch so viel wünschen, doch was geht schon in Erfüllung?«
»Du bist eine sehr kritische junge Dame geworden«, versuchte er zu scherzen.
»Ich habe auch hart trainiert«, erklärte sie. »Da muss alles bis aufs I-Tüpfelchen stimmen. Das ist nicht so, wie wenn wir miteinander gelaufen sind und Spaß gemacht haben.«
»Nun wollen wir aber von Nanni reden«, sagte er.
»Da werden wir so schnell aber nicht fertig. Angefangen hat es, als Nanni früh im Stadion war. Da war gleich der erste Krach mit Tante Lilo, weil Nanni gesagt hat, dass es viel zu kalt für mich wäre. Lilo hat gesagt, sie solle ihren Mund halten und außerdem gestatte sie ihr nicht, mit mir zu sprechen. Von euch Willbrechts habe ich genug, hat sie gesagt. Dann haben Nanni und ich uns bloß noch zugeblinzelt, aber wir wussten genau, was wir meinten. Mit Nanni kann man sich auch verstehen, ohne zu reden, Daddy. Ich glaube, dass Lilo Nanni nur nicht leiden kann, weil sie so hübsch ist.«
Jan sah sein Töchterchen überrascht an. »Du findest sie hübsch?«
»Du etwa nicht? Sie ist die allerschönste Frau von der ganzen Welt. Sie hat Augen wie Sterne, und sie sieht aus wie eine Prinzessin aus dem Märchen, wenn sie ihr Haar offen trägt. Alle Männer schauen ihr nach, und das ärgert Lilo mächtig. Ganz grün wird sie immer im Gesicht. So schön kann deine Yasmin gar nicht sein.«
»Du kennst sie doch gar nicht«, meinte Jan. »Yasmin ist auch sehr hübsch. Sie sieht aus wie eine orientalische Prinzessin.«
Er sagte es ohne Überzeugungskraft, und das wurde ihm auch bewusst. Yasmin sah exotisch aus, und sie fiel deswegen auf, aber sie hatte nicht die Klasse von Nanni. Ihm stieg das Blut in die Stirn bei diesem Gedanken.
»Aber sie ist fremd«, sagte Rubinchen heftig. »Daran kann ich mich bestimmt nicht gewöhnen. Ich will nicht in das fremde Land zu dieser fremden Frau. Lieber will ich nach Sophienlust zu der lieben Tante Isi, zu Nick und Henrik und den andern Kindern. Du hast gesagt, dass ich mir etwas wünschen darf. Nun wünsche ich mir, dass ich nach Sophienlust darf.«
»Ich werde mit Frau von Schoenecker sprechen«, erklärte Jan.
Rubinchen war mit sich zufrieden. Sollte Daddy nur glauben, dass sie keinen größeren Wunsch hätte, als nach Sophienlust zu kommen. Wenn er erst wieder weit vom Schuss war, würde sie sich schon etwas ausdenken, um wieder bei Nanni zu sein.
Mit Tante Lilo musste Daddy fertig werden. Ob er seine Yasmin wirklich so gern heiraten wollte? Er hatte gar nicht so freudig dreingeschaut. Vielleicht mochte er sie doch nicht so sehr. Aber das würde sie schon herauskriegen. Rubinchen fühlte sich in blendender Form. Ihr Unfall hatte keine Spuren hinterlassen. Selbst die Erkältung hielt sich im Rahmen. Sie hätte schon wieder herumspringen können, doch das wollte sie nicht, bevor die ganze Situation geklärt war. So tat sie immer noch ein bisschen leidend.
Denise gewann unterdessen einen recht guten Eindruck von Jan Campen. Er redete nicht um den heißen Brei. Er schilderte ihr seine Situation, die sie schon ungefähr kannte. Yasmin ließ er jedoch aus dem Spiel. Es ging ihm vor allem darum, nicht den Eindruck zu erwecken, dass er Rubinchen ihretwegen loswerden wollte. Das entsprach schließlich auch der Wahrheit. Er konnte sich Yasmin kaum noch als Mutter für Rubinchen vorstellen, und er ahnte auch die größten Schwierigkeiten wegen der Einstellung des Kindes voraus.
»Es steht nichts im Wege, dass wir Rubinchen gleich mitnehmen«, sagte Denise freundlich. »Wir fahren morgen ohnehin zurück.«
Darüber wollte Jan aber noch mit Nanni sprechen. Zuvor musste allerdings die Auseinandersetzung mit Lilo stattfinden.
Nanni kam mit Pipp vom Einkaufen zurück, als er sich auf den Weg machte. Sie sah entzückend aus in dem moosgrünen Umhang und der weichen Fuchsmütze, die ihr feines Gesicht umrahmte. Selbstvergessen betrachtete er sie und konnte sich überhaupt nicht erklären, was in ihm vor sich ging.
»Ich begebe mich jetzt in die Höhle des Löwen«, sagte er.
»Lassen Sie sich nicht verschlingen«, erwiderte sie fröhlich.
»Nach einem Zimmer muss ich mich auch umschauen.«
»Da werden Sie Pech haben. Alles belegt. Aber warum wollen Sie nicht bei uns übernachten? Gefällt es Ihnen nicht?«
»Wenn das möglich wäre?«
»Wir sind schließlich ein Pensionsbetrieb.«
»Übrigens …« Er geriet ins Stocken, und Nanni sagte: »Bringen Sie das erst hinter sich, dann können wir miteinander reden.«
Er griff nach ihrer Hand und zog sie an seine Lippen. Verwirrt sah sie ihn an, und Pipp stupste ihn mit der Schnauze.
»Er bewacht Sie sehr gut«, sagte Jan lächelnd. »Ihnen darf wohl niemand zu nahe treten.«
Verstohlen blickte Nanni ihm nach, als er über die Straße ging. Sie versuchte, sich an jenen jungen Jan Campen zu erinnern, dem sie damals flüchtig begegnete, aber er hatte sich zu sehr verändert. Er war ein ganzer Mann geworden – und was für ein Mann!
Dieser