Patricia Vandenberg

Sophienlust Paket 3 – Familienroman


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glaube, sie ist schon süchtig«, konterte Herta.

      Der Chauffeur zündete sich eine Zigarette an. Wieder machte er keine Bemerkung. Aber er dachte an seine vielen Fahrten zu den Apotheken. Immer wieder bekam Frau Cornelius Rezepte von den Ärzten. Sie wechselte sie allerdings wie die Kleider. Ein Glück, dass sie nun ins Sanatorium kam.

      Lotte griff mit einem Seufzer nach dem voll beladenen Tablett. »Ihr habt es gut!«, rief sie von der Tür her zurück. »Ihr braucht nicht jeden Tag mehrere Male in die Höhle des Löwen zu gehen.«

      *

      Betty Cornelius saß im Frühstückszimmer und war denkbar schlechtester Laune. Zwei tiefe Querfalten standen auf ihrer Stirn. Falten, die die letzten Jahre in ihr stets missmutiges Gesicht eingegraben hatten. Das hellblonde Haar war ohne Glanz. Struppig umstand es ihren Kopf. Allein schon der Gedanke, zum Friseur gehen zu sollen, war ihr zuwider.

      An diesem Morgen trug Betty einen rosa Morgenrock, der über der Brust spannte. Erst am Tag zuvor hatte sie dem Hausmädchen einen riesigen Krach gemacht, weil es den Morgenrock angeblich zu heiß gewaschen hatte, sodass er dadurch eingegangen sei. Dass sie wieder zugenommen hatte, wollte sie nicht wahrhaben.

      Lotte öffnete leise die Tür. Lautlos stellte sie das Tablett auf der Anrichte ab. »Guten Morgen, gnädige Frau«, sagte sie forsch.

      »Na, endlich!«, rief Betty gereizt. »Ich warte schon seit einer geschlagenen Stunde auf das Frühstück! Da hat man eine Köchin, ein Hausmädchen und einen Chauffeur, und trotzdem bekommt man nichts pünktlich!«

      »Gnädige Frau, Sie haben erst vor fünf Minuten geläutet«, widersprach das Mädchen furchtlos.

      »Das ist eine infame Lüge!« Betty Cornelius griff sich an die Stirn. »Ich bin mehr als froh, dass ich euch in den nächsten Wochen nicht mehr sehen muss.« Sie klopfte das Frühstücksei auf.

      Lotte schenkte Kaffee in die versilberte Porzellantasse ein und zog sich dann eiligst zurück, um weiteren Beschimpfungen aus dem Weg zu gehen. So musste Betty mit ihrem Ärger über das angeblich zu harte Ei allein fertig werden.

      Wütend griff sie in die Tasche ihres Morgenmantels und nahm ein Glasröhrchen heraus, das noch halb mit Tabletten gefüllt war. Zwei davon schluckte sie mit etwas Kaffee hinunter. Danach atmete sie wie erleichtert auf. Nun würde es nur einige Minuten dauern, bis ihr Unbehagen verschwunden sein würde.

      Die Wirkung hielt auch die nächsten Stunden noch an. Zwar ärgerte Betty sich, weil ihr der Hosenanzug zu knapp geworden war. Trotzdem zwängte sie ihre rundlichen Formen in die Hose. Dann rief sie im Werk an und verlangte ihren Mann zu sprechen. Als ihr Ennos Mitarbeiterin Julia van Arx mitteilte, Herr Cornelius sei in einer Sitzung, in der man ihn nicht stören dürfe, knallte sie empört den Hörer auf. Julia van Arx war ihr ein Dorn im Auge. Sie hatte die Fremdsprachenkorrespondentin erst vor einigen Tagen bei einem Besuch im Werk ihres Mannes kennengelernt. Seitdem war sie von einer krankhaften Unruhe befallen, die sie nur mit ihren Tabletten betäuben konnte.

      Eine Frau wie diese Julia van Arx war Betty unheimlich. Ihr sicheres Auftreten, ihre Intelligenz und ihr gutes Aussehen – leider musste sie das zugeben – schienen Enno stark anzuziehen. Zudem war Julia Witwe und zehn Jahre jünger als sie, Betty. Bei ihrer tadellosen Figur brauchte Julia sich gewiss nicht zu kasteien und immer wieder auf die Waage zu steigen, um ihr Gewicht zu kontrollieren.

      Betty trat vor den Spiegel in ihrem Schlafzimmer. Nach ihrem Sanatoriums­aufenthalt würde sie auch wieder schlank sein, hoffte sie. Dann würde sie wieder so schön sein wie früher. Und Enno würde sie wieder lieben.

      Betty sank erschöpft aufs Bett. Wenn ich doch endlich von diesem Martin Aarhof befreit sein würde, dachte sie. Dieser Mann saugt mir noch das Blut aus den Adern. Allerdings besorgt er mir auch immer wieder die Tabletten, die ich so nötig brauche, um mich wohl zu fühlen.

      »Claus, ich hätte nie gedacht«, murmelte sie und presste beide Hände gegen ihre Schläfen, »dass du so gemein sein könntest und deinen Bruder zu mir schicken würdest.« Mit zitternden Händen zog sie die Nachttischschublade auf und entnahm ihr zwei Tabletten. Gierig schluckte sie sie mit Wasser hinunter. Das Herz schlug ihr plötzlich bis zum Hals hinauf. Ganz schlecht wurde ihr. Aufstöhnend sank sie auf die Kissen zurück. Der Schweiß brach ihr aus allen Poren.

      Dann ging der Anfall vorüber. Tränen der Erleichterung liefen über ihre bleichen Wangen. »Mein Gott, warum ist alles so gekommen?«, schluchzte sie auf und warf die Hände vors Gesicht.

      Nach einer Weile zog sie sich aus und legte sich ins Bett. Auch als Enno heimkam, brachte sie nicht die Energie auf, noch einmal aufzustehen. Als das Hausmädchen ihm sagte, wo er seine Frau finden könne, lief er die Treppe hinauf und betrat leise das Schlafzimmer, in dem die Vorhänge zugezogen waren.

      »Endlich, Enno«, stöhnte Betty auf. »Wo bleibst du nur so lange? Hat dich Frau van Arx aufgehalten? Ach, werde ich froh sein, wenn ich endlich fort bin. Fort von dir, von allen Menschen hier! Mir wird alles zuviel. Viel zuviel!«, rief sie und setzte sich auf. »Schau mich nicht so an! Ich weiß ja, dass ich wie eine Hexe aussehe. Aber mir macht nichts mehr Freude. Ich bin immer allein und …«

      »Soll ich dir etwas zu trinken bringen?«, fragte er leise.

      »Nein, Enno, nur keinen Alkohol. Du weißt doch, dass ich jedes alkoholische Getränk verabscheue.«

      »Es wäre besser, du würdest hin und wieder einen Schluck Wein oder Bier trinken und nicht diese Tabletten einnehmen. Deine Nerven müssen ja ruiniert sein.«

      »Du willst doch damit nicht behaupten, dass ich süchtig bin?«, schrie sie hysterisch.

      Enno hielt es für klüger, Betty nicht zu widersprechen. In dieser Verfassung war sie völlig unberechenbar. Es kam dann vor, dass sie hemmungslos losschrie.

      Betty musterte ihn lauernd. »Du kannst es wohl nicht mehr erwarten, dass ich fortgehe?«, fragte sie gefährlich leise.

      »Bitte, Betty, das ist doch Unsinn. Der Sanatoriumsaufenthalt war deine Idee.«

      »Weil du sie mir eingeredet hast, ja, so ist es. Und ich weiß auch, seit wann du dir wünschst, mich loszuwerden. Seitdem diese Frau van Arx bei dir im Büro arbeitet. Nicht wahr, sie gefällt dir? Wenn du das Gegenteil behauptest, lügst du. Ja, dann bist du ein schamloser Lügner. Gibst du es zu?«

      »Wenn du es willst, dann gebe ich es zu.« Er sah sie voller Mitleid an. »Bitte, Betty, willst du mir nicht erzählen, was dich so nervös macht? Damals, nachdem unser Pieter geboren wurde, schien doch alles wieder gut zwischen uns zu werden. Du hast dich gepflegt, warst liebenswert. Aber dann änderte sich das von einem Tag auf den anderen. Irgendetwas quält dich. Hast du ein Problem, mit dem du nicht fertig wirst? Warum hast du kein Vertrauen zu mir? Wir sind doch Mann und Frau. Auch haben wir ein gemeinsames Kind, auf das wir Rücksicht nehmen sollten. Vielleicht …«

      Ihr schrilles Lachen unterbrach ihn. »Ach, das alles ist zu komisch! So unendlich komisch, dass ich nur lachen kann.«

      »Betty, komm zu dir.« Er rüttelte sie, als ihr lautes hysterisches Lachen nicht aufhören wollte. Endlich ging es in ein hemmungsloses Schluchzen über.

      »Betty, sei ruhig. Um Himmels willen, schreie doch nicht so! Denke an das Personal!«

      »Lass mich in Ruhe! Geh doch zu deiner Frau van Arx. Liebe sie und …«

      Enno verließen die Nerven. Er floh förmlich aus dem Zimmer. Erst nach dem zweiten Whisky beruhigte er sich ein wenig. Er sagte sich, dass Betty ja am nächsten Tag nicht mehr da sein würde.

      Wie unnatürlich war es doch, dass sie stets tat, als gäbe es Pieter gar nicht, als habe sie niemals einem Kind das Leben geschenkt. Er konnte sich einfach nicht des Gefühls erwehren, dass Betty ihr eigenes Kind hasste. Was sollte nur aus ihnen allen werden? Seine einzige Hoffnung war, dass Betty in diesem Sanatorium tatsächlich an Leib und Seele gesunden würde.

      Am nächsten Morgen weigerte sich Betty, abzureisen. Sie schrie hysterisch und schlug mit der Faust in den Spiegel ihres Schlafzimmers. Das Blut der Schnittwunden brachte