fror oder wollte etwas zu essen oder mit jemandem spielen.
Seine Ausdauer, mit der er sie beschäftigt hielt, war eigentlich fast bewundernswert.
Schließlich platzte ihr aber eben doch der Kragen. Er hatte heute zum zweiten Mal seinen Saft ins Bett geschüttet, weil er sich weigerte, aus dem geschlossenen Becher mit dem Strohhalm zu trinken, sondern den Deckel immer wieder abnahm.
»Daniel, jetzt ist es genug. Wenn du den Becher nicht nimmst, wie ich ihn dir gebe, kannst du nichts mehr zu trinken bekommen.«
»Aber ich habe Durst!«
»Dann trink mit dem Strohhalm.«
»Das will ich aber nicht.«
»Daniel, es reicht!«
»Dann will ich zu Oma. Da kann ich…«
»Gut, ich rufe sie an.«
Daniel sah sie entsetzt an. Würde sie das wirklich tun? Er fand es wunderbar zu Hause. Sein Fieber ging bereits zurück, und ein solches Verwöhnprogramm würde seine Oma niemals mit ihm durchziehen…
Christine ging hinaus. Sie hatte sich in eine Ecke manövriert. Was sollte sie jetzt machen?
Das Telefon klingelte. Wenn es jetzt ihre Mutter wäre, würde sie sie bitten, Daniel für zwei halbe Tage zu betreuen, damit sie in die Kanzlei gehen und nach dem Rechten sehen könnte. Besser, ihn für die Zeit noch einmal ihrer Mutter anzuvertrauen, als durchzudrehen…
Es war Daniels Lehrer, der sich erkundigen wollte, wie es Daniel ging.
Christine atmete erleichtert auf. Sie hatte ihn vermißt, sich nach seinem Rat und seinem Verständnis gesehnt, hatte aber andererseits nicht die Kurve bekommen, ihn anzurufen und sich zu entschuldigen. Er mußte sie für launisch und unfähig halten. Sein guter Eindruck von ihr war sicher weg.
»Daniel geht es immerhin gut genug, daß er mich in den Wahnsinn treiben kann«, gab sie schonungslos ehrlich zu. Es war sowieso zu spät, noch Eindruck zu schinden.
Er lachte laut. Christine fiel ein, aber es klang unsicher. Lachte er sie aus oder mit ihr?
»Ja, das habe ich befürchtet. Ich wette, so wie ich ihn hier in der Schule erlebt habe, kennen Sie ihn auch nicht. Daniel ist ein cleverer kleiner Bursche, nicht nur in einer Hinsicht. Er merkt sofort, wie weit er gehen kann.«
»Und Sie meinen, bei mir kann er zu weit gehen?«
»Wie ich Ihnen bereits sagte.«
Mutig war er ja. Aber Christine gefiel es, daß er nicht versuchte, ihr nach dem Mund zu reden.
»Also, was schlagen Sie vor?«
»Ernsthaft?«
»Ja, bitte. Ich war kurz davor, meine Mutter anzurufen und einen Bittgesang anzustimmen.«
»Na, das will was heißen.«
Sie hörte an seiner Stimme, daß Jasper Wolf lächelte.
»Ich würde vorschlagen, daß ich jetzt mal vorbeikomme und mir den jungen Mann vorknöpfe. Währenddessen können Sie einkaufen gehen oder sich ein paar schöne Stunden machen. Sie werden es nötig haben.«
»Das würden Sie wirklich tun?«
»Ich bin schon unterwegs.«
Als habe er Angst, daß sie es ablehnen könnte, legte Jasper Wolf den Hörer auf.
Gleich darauf klingelte das Telefon wieder. Diesmal war es Suse.
»Na, hast du das kleine Ekel schon zur Räson gebracht?«
»Nein, aber das wird Jasper gleich tun.«
»Jasper?«
»Äh…, Jasper Wolf, sein Lehrer.«
»Ich glaube nicht, daß du mir von dem schon erzählt hast…«
»Kann sein. Er ist sehr nett und kommt vorbei, um Daniel zur Räson zu bringen, wie du es nennst. Das hat er selbst angeboten.«
»Den Mann würde ich sofort festhalten. Einer, der sich um die Erziehung fremder Kinder freiwillig kümmert…, toll. Das wäre doch ein viel besserer Partner für dich, oder ist er verheiratet?«
»Nein, aber das spielt keine Rolle. Es ist nichts zwischen uns.«
»Was nicht ist, kann ja noch werden. Sag mal, war eigentlich mit Adrian und dir etwas?«
Suses Stimme klang merkwürdig verhalten. Christine wußte sofort, was das bedeutete. Es gab ihr nicht einmal einen Stich.
»Ich nehme an, du willst mich jetzt schonend darauf vorbereiten, daß zwischen dir und ihm demnächst etwas ist?«
»So ungefähr…«
»Dann hat er dich angerufen?«
»Ich hatte noch einmal beruflich mit ihm zu tun. Und da sind wir uns etwas… nähergekommen.«
»Wenn es dir nichts ausmacht, daß er so schnell wechselt…, nein, es war nichts.«
Aber nicht, weil er nicht wollte…, fügte sie in Gedanken hinzu. Doch wozu sollte sie Suse das unter die Nase reiben? Ihre Freundin nahm ihre Partnerschaften ohnehin nie sehr ernst. Vermutlich würde sie ihre Freiheit nicht aufgeben, sondern weiter genießen, was ihr geboten wurde.
»Dann ist es ja gut. Er will mir heute seine Wohnung zeigen, und ich würde nicht gern in der Bettwäsche liegen, in der sich meine beste Freundin mit ihm gewälzt hat.«
»Also, Suse, wirklich!«
»Du weißt, wie ich das meine. Dann wünsche mir einen schönen Abend und mach dich an diesen tollen Lehrer heran. Du brauchst mal wieder ein bißchen Spaß.«
Ja, das stimmte. Christine sah es genauso. Aber für ein bißchen Spaß war Jasper Wolf viel zu schade. Und sie sich auch.
Es klingelte. Jasper Wolf erschien mit einem fröhlichen Grinsen im Gesicht.
»Na, haben Sie ihn schon vorgewarnt?«
»Nein, er weiß nichts. Wahrscheinlich denkt er jetzt, daß seine Oma auftaucht, um ihn zu holen.«
»Mama…«, rief Daniel in diesem Moment ziemlich kläglich.
»Na, dann wollen wir ihn mal erlösen.«
Jasper Wolf begleitete Christine zum Kinderzimmer. Daniel machte große Augen, als er seinen Lehrer sah.
»Herr Wolf?«
»Ich dachte, wir reden mal von Mann zu Mann. Deine Mama kann ein bißchen ausgehen, was meinst du?«
»Ja, toll…«
Daniel meinte es wirklich so. Christine war erleichtert. Offenbar hatte er vor seinem Lehrer Respekt.
Sie mochte eigentlich gar nicht weggehen, doch Jasper Wolf bestand darauf.
»Sie sehen wirklich fertig aus, also gehen Sie ruhig. Wir kommen bestimmt zurecht.«
»Dann bleiben Sie aber zum Abendessen.«
»Gern.«
Wie einfach es war… Christine lächelte, verabschiedete sich von Daniel mit einem Kuß und machte sich auf den Weg. Sie würde ein schönes Essen zaubern, damit Jasper Wolf wenigstens von ihr als Hausfrau einen guten Eindruck gewann. Es war ihr wichtig, was er dachte…
Suses Worte gingen ihr im Kopf herum, als sie den Einkaufswagen füllte und anschließend noch einen Cappuccino trank. Jasper und sie…, ja, sie konnte es sich vorstellen. Seine gemütliche Wohnung wäre auch für ein Kind geeignet. Er hatte eine so natürliche Art, mit Daniel umzugehen, ganz unverkrampft und ohne die Absicht, ihm gefallen zu wollen. Er war einfach nett, auch wenn sie bei seinem Anblick nicht so schnell feuchte Hände bekam wie bei Adrian von Manger, den sie ihrer Freundin von Herzen gönnte.
Als sie zurückkam, hörte sie die beiden lachen. Wie schön das klang…