daß Leute da sind, welche in jedem Augenblick bereit sein müssen, meine Würde aufrechtzuerhalten!«
Dann fuhr er, sich wieder zu dem Schwachsinnigen wendend, fort: »All dieses Unglück, mein Freund, ist das Werk eines schändlichen Brandstifters. Du verabscheust diesen Elenden, nicht wahr?«
»Ja«, sagte Cocoleu.
»Du willst, daß er bestraft wird?«
»Ja, ja!«
»Nun wohl! Du mußt mir helfen, ihn zu entdecken, damit er von den Gendarmen ergriffen, ins Gefängnis geworfen und gerichtet werde. Du kennst ihn, du hast selbst gesagt, daß du ihn kennst.«
Er hielt einen Augenblick inne; als aber Cocoleu in seinem Schweigen fortfuhr, wandte er sich mit der Frage: »Zu wem hat der arme Teufel denn überhaupt gesprochen?« an die Bauern.
Ja, das wußte keiner von ihnen zu sagen. Man erkundigte sich, man forschte, aber vergebens. Vielleicht hatte Cocoleu die Auskunft gar nicht gegeben, die man ihm zuschrieb.
»Soviel ist sicher«, erklärte einer der Meiersleute von Valpinson, »daß dieser arme, hirnlose Bursche sozusagen niemals schläft und jede Nacht wie ein Wachhund um die Häuser schleicht.«
Das schien für Herrn Galpin-Daveline ein Lichtstrahl zu sein.
Indem er jählings die Form seines Verhörs veränderte, fragte er:
»Wo hast du den Abend zugebracht?«
»In ... in ... dem Hof.«
»Schliefst du, als die Feuersbrunst ausbrach?«
»Nein!«
»Du hast also ihren Anfang gesehen?«
»Ja!«
»Wie hat sie angefangen?«
Hartnäckig hielt der Idiot, mit dem furchtsamen und unterwürfigen Ausdruck des Hundes, der in dem Auge seines Herrn zu lesen sucht, die Blicke auf Frau von Clandieuse gerichtet.
»Antworte, mein Freund«, sprach die Gräfin, »gehorche!«
Gleich einem Blitzstrahl glänzten Cocoleus Augen auf.
»Man ... man hat das Feuer angesteckt ...« stotterte er.
»Absichtlich?«
»Ja!«
»Wer?«
»Ein Herr.«
Es war nicht einer unter den Zeugen dieser Szene, der nicht, um besser zu hören, den Atem angehalten hätte. Nur der Doktor richtete sich mit dem Ausruf empor: »Dieses Verhör ist unsinnig.«
Aber der Untersuchungsrichter schien ihn nicht zu hören, und indem er sich zu Cocoleu herabbeugte, sprach er mit vor Aufregung zitternder Stimme: »Du hast ihn gesehen, diesen Herrn?«
»Ja.«
»Und du kennst ihn?«
»Sehr ... sehr wohl!«
»Du kennst seinen Namen?«
» O ja!«
»Wie heißt er?«
Der Ausdruck schrecklicher Seelenangst verzerrte Cocoleus fahle Züge; er zögerte, dann aber antwortete er endlich mit einer gewaltsamen Anstrengung: »Bois ... Bois ... Boiscoran.«
Ein unzufriedenes Gemurmel und ungläubiges Hohngelächter erhob sich bei Nennung dieses Namens. Auch nicht der Schatten eines Argwohns, eines etwaigen Zweifels ließ sich unter den Zuhörern spüren.
»Herr von Boiscoran ein Brandstifter? Wem in aller Welt will man das glauben machen?«
»Es ist unsinnig!« erklärte Herr von Claudieuse.
»Unsinnig!« bestätigten Herr Sénéchal und Herr Daubigeon.
Der Doktor Seignebos hatte seine Brille abgenommen und rieb sie mit triumphierender Miene.
»Was hab' ich vorhergesagt?« rief er. »Doch der Herr Untersuchungsrichter hat es nicht der Mühe wert gehalten, auf meine Bemerkungen zu achten.«
Der Herr Untersuchungsrichter aber war bei weitem der Aufgeregteste von allen. Er war sehr blaß geworden, und nur mit sichtlicher Anstrengung gelang es ihm, seine unbewegliche Gemessenheit beizubehalten.
»An Ihrer Stelle«, murmelte der Staatsanwalt, indem er sich zu ihm beugte, »würde ich nicht weitergehen und den ganzen Vorgang als nicht geschehen betrachten.«
Aber Herr Galpin-Daveline war einer von jenen durch überspannte Wertschätzung ihrer eigenen Person geblendeten Leuten, die sich eher in Stücke hauen lassen, als daß sie zugeben, sich in irgend etwas geirrt zu haben.
»Ich werde bis zum Äußersten gehen«, antwortete er. »Verstehst du wohl, mein Bursche, verstehst du wohl, was du sagst?« fragte er, von neuem sich zu Cocoleu wendend, inmitten so tiefer Stille, daß man das leiseste Geräusch einer Fliege vernommen hätte. »Begreifst du, daß du jemanden des entsetzlichsten Verbrechens beschuldigst?«
Ob nun Cocoleu begriff oder nicht, um was es sich handelte, jedenfalls war er von entsetzlicher Aufregung ergriffen. Große Schweißtropfen rannen über seine eingedrückten Schläfen herab, nervöse Zuckungen schüttelten seine Glieder und verzerrten sein Gesicht.
»Ich ... ich sage die Wahrheit!« stotterte er.
»Hat Herr von Boiscoran das Feuer in Valpinson angesteckt?«
»Ja.«
»Wie hat er es angefangen?«
Cocoleus verworrener Blick irrte unablässig von dem Grafen von Claudieuse, der tief entrüstet schien, zu der Gräfin, die mit schmerzlicher Überraschung zuhörte.
»Sprich!« drang der Untersuchungsrichter in ihn.
Nach nochmaligem Zögern begann der Idiot zu erklären, was er gesehen hatte. Es bedurfte wenigstens fünf Minuten langer Anstrengungen, Stöhnens und verzweifelnden Stotterns, bis es Cocoleu gelang, seinen Zuhörern begreiflich zu machen, daß er gesehen habe, wie Herr Boiscoran, den er sehr wohl kannte, ein Journal aus seiner Tasche gezogen, es mit einem Schwefelholz angezündet und es unter einen Strohhaufen gesteckt, der dicht neben zwei mächtigen Holzhaufen lag, welch letztere sich gegen die Mauer eines mit Branntwein gefüllten Gebäudes lehnten.
»Das geht bis zum Wahnsinn!« schrie der Doktor, der hiemit ohne Zweifel die Meinung aller Anwesenden aussprach.
Mittlerweile war es Herrn Galpin-Daveline gelungen, seine Aufregung zu beherrschen.
»Bei der ersten Äußerung der Zustimmung oder Mißbilligung«, sprach er, mit einem boshaften Blick um sich schauend, »rufe ich die Gendarmen und lasse alle hinausweisen. – Da du Herrn Boiscoran so gut gesehen hast«, fuhr er, sich wieder an Cocoleu wendend, in seinem Verhör fort, »wie war er denn gekleidet?«
»Er trug«, sagte der Idiot, immer auf eine fürchterliche Weise seine Worte herausstoßend, »helle Hosen, eine braune Weste und einen