Gabriele Reuter

Gabriele Reuter – Gesammelte Werke


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zu be­geg­nen, wenn sie ihn auch im Grun­de ver­ach­te­te. Er ver­stand es, sie zum Wi­der­spruch zu rei­zen, sie wur­de im­mer leb­haft und be­kam rote Ba­cken, wenn sie mit ihm zu­sam­men­kam.

      »Ach«, sag­te sie ver­trau­lich zu ihm, »ich bin sehr schlech­ter Lau­ne – ganz me­lan­cho­lisch! Ich war in ei­nem Tee mit al­ten Jung­fern.«

      »Schreck­lich!« rief er schau­dernd. »Wie kam denn das? Da ge­hö­ren Sie doch nicht hin!«

      »Es wa­ren al­les sehr vor­züg­li­che Mäd­chen«, seufz­te Aga­the. »Nein – es ist schlecht von mir, dass ich so über sie rede.«

      »Ach sei­en Sie nicht zu ge­wis­sen­haft.«

      Bei­de spra­chen halb­laut, da­mit ihre Um­ge­bung sie nicht be­auf­sich­ti­ge.

      »Nein, wirk­lich – ich müss­te doch In­ter­es­se da­für ha­ben, dass sie ver­su­chen, un­ser Ge­schlecht wei­ter­zu­brin­gen. Es ist ober­fläch­lich und egois­tisch von mir – aber – ich kann es nicht er­klä­ren, was mich so ab­stößt. Se­hen Sie – zum Bei­spiel: wenn man harm­los sagt: ich habe Veil­chen ger­ne – da heißt es un­fehl­bar: Ja, wür­den die Frau­en ihre In­tel­li­genz mehr zu­sam­men­neh­men, dann könn­ten sie Veil­chen-Kul­tu­ren grün­den, die wür­den gu­ten Er­trag ge­ben. Macht man die Be­mer­kung: das Bild dort hängt schief an der Wand, muss man hö­ren: Das kommt da­von, dass kein Sys­tem in der weib­li­chen Er­zie­hung ist. Ha­ben wir erst Gym­na­si­en, so wird kein Bild in der Welt mehr schief hän­gen …«

      Rai­ken­dorf lach­te.

      »Ach, mein gnä­di­ges Fräu­lein – bei uns Män­nern ist es auch nicht viel an­ders. Je­der rei­tet eben sein Ste­cken­pferd – und schließ­lich – wohl dem, der eins hat. Aber in al­lem Ernst – ge­hen Sie nur da nicht wie­der hin! Zu der Ge­sell­schaft, die man fre­quen­tiert, wird man schließ­lich auch ge­zählt.«

      »Ich ge­hö­re doch dazu!«

      »Un­sinn! Par­don … Se­hen Sie mich ein­mal an. Na – Fält­chen sehe ich vor­läu­fig noch nicht – kein ein­zi­ges …!«

      »Was ha­ben Sie da für wun­der­vol­le Ro­sen!«

      »Nicht wahr? Frau von Thie­len hat sie mir ge­pflückt – ich war heu­te Nach­mit­tag drau­ßen auf dem Wer­der, in ih­rem Gar­ten. Jetzt wol­len wir ein­mal eine her­aus­su­chen für Sie? Eine, die Ih­nen ähn­lich sieht? Was?«

      Sei­ne grün­li­chen Au­gen wa­ren nur klein und nicht be­son­ders hübsch, aber sie konn­ten sehr freund­lich bli­cken. Und er hat­te so et­was ein­fach Na­tür­li­ches beim Spre­chen.

      Er wähl­te eine schö­ne, zar­te Tee­ro­se, gab sie ihr schwei­gend, und sie nahm die aus­er­le­se­ne Blu­me mit ei­nem flüch­ti­gen »O dan­ke sehr.«

      Ihre Wan­gen rö­te­ten sich leicht vor Ver­gnü­gen.

      »Sie wer­den mir doch ge­stat­ten, Sie nach Haus zu be­glei­ten?«

      »Ja, sehr gern! Ich fürch­te mich des Abends al­lein auf der Stra­ße.«

      »Es ist auch un­an­ge­nehm für eine Dame.«

      »Wir soll­ten nicht so un­selbst­stän­dig er­zo­gen wer­den.«

      »Aha – die Gym­na­si­en …? – Sie se­hen doch, dass Sie zu rech­ter Zeit einen Be­schüt­zer ge­fun­den ha­ben.«

      »Ja – das war aber nur Zu­fall.«

      »Al­les Gute in der Welt ist Zu­fall.«

      »So müs­sen Sie nicht re­den.«

      »Was wol­len Sie – ich möch­te auch gern an eine hö­he­re Fü­gung glau­ben – aber ich sehe sie zu sel­ten wal­ten. Sie sind fromm – ich fin­de das sehr schön! Ich könn­te Sie mir gar nicht an­ders den­ken, mit Ihrem sanf­ten Ge­sicht­chen! – Hier müs­sen wir aus­stei­gen. So – ge­ben Sie mir die Hand. Vor­sich­tig!«

      Sie wa­ren schon ein Weil­chen die letz­ten Pas­sa­gie­re ge­we­sen und hat­ten un­ge­stört plau­dern kön­nen.

      »Wol­len Sie nicht mei­nen Arm neh­men?« frag­te der Lan­drat. Aga­the zö­ger­te eine Se­kun­de – es war ei­gent­lich, nicht üb­lich … Sie hat­te so große Lust …

      »Man geht bes­ser in Schritt und Tritt«, sag­te er über­re­dend, und sie folg­te ihm. Er drück­te ih­ren Arm leicht an sich, sie fühl­te sei­nen war­men kräf­ti­gen Kör­per und ging be­hag­lich an sei­ner Sei­te. Es war ihr sehr wohl, ru­hig und still fühl­te sie sich.

      »Fah­ren Sie heut Nacht noch nach Evers­ha­gen zu­rück?« frag­te sie.

      »Nein, ich blei­be in Mengs Ho­tel. Da habe ich ein stän­di­ges Ab­stei­ge­quar­tier. Auf die Wei­se kann man die länd­li­che Ein­sam­keit schon er­tra­gen.«

      »Ich kann Sie mir gar nicht auf dem Lan­de vor­stel­len.«

      »O jetzt im Som­mer ist es hübsch da drau­ßen. Viel Ver­kehr mit den Gü­tern. Und Wald in der Nähe. Ich habe mir einen Pony­wa­gen an­ge­schafft. Sie soll­ten mich wirk­lich ein­mal be­su­chen. Dann fah­ren wir mit den Po­nys in den Wald. Was? Wol­len Sie?«

      »O ja – ich weiß nur nicht, ob Papa …«

      »Wenn ich däch­te, dass Sie Lust hät­ten, wür­de ich an Ihre El­tern schrei­ben und mir das Ver­gnü­gen er­bit­ten … Vi­el­leicht kämen Ihre Ge­schwis­ter auch?«

      »Eu­ge­nie will an die See und hat noch große Schnei­de­rei«, sag­te Aga­the, es er­hob sich in ihr der Wil­le, Eu­ge­nie von der Par­tie fern­zu­hal­ten.

      … Jede Frau kann einen Mann in sich ver­liebt ma­chen, so­bald er nicht eine an­de­re große Lie­be hat …

      Und Rai­ken­dorf? Hat­te er eine an­de­re große Lie­be? –

      »Also – zu wann wol­len wir Ihren Be­such ver­ab­re­den?« frag­te er.

      »Bald«, ant­wor­te­te Aga­the schnell, »sonst kommt es ge­wiss nicht dazu.«

      Un­ter dem Schein der Gas­la­ter­ne hob sie den Kopf und blick­te Rai­ken­dorf in die Au­gen. Nie­mals hat­te sie einen Mann auf die­se Wei­se an­ge­se­hen. Auch nicht Lutz.

      Es wur­de ihr ganz schwin­de­lig vor Scham über sich selbst.

      »Nun wol­len wir den Him­mel um Son­ne bit­ten – Sie ste­hen bes­ser mit ihm, tun Sie es für mich«, sag­te Rai­ken­dorf, nach­dem er ih­ren Blick gleich­sam mit den Au­gen fest­ge­hal­ten hat­te.

      »Auf Wie­der­se­hen!« Er drück­te ihr die Hand. Und sie emp­fing das leich­te Zei­chen von au­gen­blick­li­cher Zu­nei­gung nicht gleich­gül­tig wie sonst un­zäh­li­ge Male.

      Als Rai­ken­dorf »Auf Wie­der­se­hen« sprach, er­schrak sie, wie über eine böse Vor­be­deu­tung – es wa­ren die­sel­ben Wor­te, die sie zu­letzt von Lutz ge­hört hat­te.

      Woll­te der Herr, ihr Hei­land, sie war­nen?

      III.

      Fröh­lich spie­gel­te sich der Son­nen­schein auf der Glat­ze des Lan­drats, als er den Hut lüf­te­te, um den her­an­brau­sen­den Zug mit sei­nen Gäs­ten zu be­grü­ßen. Der Re­stau­ra­ti­ons­wirt, die zwei Kof­fer­trä­ger und der Sta­ti­ons­vor­ste­her von Evers­ha­gen be­ob­ach­te­ten neu­gie­rig, wen er emp­fan­gen wür­de.